Notizen einer Landratte, 37.

In dieser Folge zeigt unser Kolumnist Maik Brandenburg Zuneigung für das thüringische T, plädiert für rücksichtsvolle Missachtung von Kapitänen zu Lande und prangert die Perfidie mancher Tourismusmanager an

Wo die Ostseewellen drecken an den Sstrand“, singt Karl-Heinz und tut, als sei er beschäftigt. Er rührt im heißen Teer, mit dem er die Netze einpinseln will, die zwischen Mast und Bug hängen. Ein Räucherofen dampft, als wäre er der Schornstein und der kleine Kutter lege gleich ab.

„Das heißt aber nicht drecken, nich’ wahr?“ Vor Karl-Heinz steht ein Tourist. Schon wieder so ein Bescheidwisser, ein Aufseher des deutschen Kulturguts. „Es heißt trecken!“ Triumphierend blickt der Mann hoch. Vom Bug oben wirkt er erst recht wie ein naseweiser Dreikäsehoch. Karl-Heinz haut den Pinsel in den Teer. Das gibt hundert Pro einen Eintrag von dem Typen auf der Website des Tourismusverbands, denkt Karl-Heinz, samt fünf wütenden Smileys. Scheiß drauf.

Natürlich weiß Karl-Heinz selbst, dass das trecken heißt. Aber, he, drecken passt doch, so viel Müll, wie die heiligen Wellen hier täglich anspülen. Und außerdem – er ist nun mal Thüringer! Schlimm genug, dass er als gelernter Agrochemiker den Fischkopp geben muss. Das sanfte thüringische T lässt er sich jedenfalls nicht nehmen, das T von Luther und Bach. Schon gar nicht von so einem Wortwart.

Fehlt nur, dass sich ein Rüganer im Hafen blicken lässt. Die rümpfen über den Quatsch mit dem Teer nur die Nasen. Netze sind heutzutage aus Plastik, die braucht man mit der braunen Brühe nicht zu schützen. Ist aber auch nicht so „pittoresk“, wie der Chef das nennt. Karl-Heinz sieht über die Kais: Die Pizzabude in der alten Bordschlosserei hat schon die Sonnenschirme rausgestellt, am Rüstkai dümpelt das Museumsschiff, im Schaufenster der „Heimatstuww“, wo früher mal der Parteisekretär des Fischkombinats saß, hängen Muscheln, Haischwänze und Perlen. Tolles Lokalkolorit, denkt Karl-Heinz, nur am falschen Längengrad.

Ein Mann mit weiten weißen Hosen geht am Kutter vorbei. Ein Tourist, was sonst, nur so einer zieht sich die „original Mönchguter Fischerbüx“ an. Wahrscheinlich aus dem Museumsshop. Karl-Heinz schnauft durch. Ein alter Fischer kommt hier höchstens noch hin, um sich im Hafenbecken zu ertränken.

Karl-Heinz schiebt einen Priem aus der goldfarbenen Priemdose ein. Muss er dreimal die Stunde machen, die Dosen verhökert der verbandseigene Laden. Ekliges Zeug, aber er hat den Tabakflatsch gegen ein Lakritz ausgetauscht, merkt ja keiner. Wenigstens das hat er dem Fritzen vom Tourismusverband abgehandelt, einen Priem statt der Pfeife. Wegen dieses Jobs fängt er nicht wieder zu rauchen an. Nee, nicht für Mindestlohn.

„Sie sind perfekt!“, hatte der Tourismuschef gejubelt. Mit seiner Wampe, dem hellgrauen Haar und vor allem mit dem Backenbart sehe er aus wie der echte Käpten Brass. Die Kapitänsmütze, die Pluderhose und das Fischerhemd kaufte der Hafenverein im Internet. Warum es aber ausgerechnet ein Friesenhemd wurde, konnte keiner genau sagen. Doch dem Chef war das egal. Der Chef kam aus Köln, der kann überall Karneval.

„Wir wollen gelebte Tradition“, hatte der Jeck geflötet. Natürlich wisse er selbst, dass kaum noch ein hiesiger Fischer rausfährt. Die Lobby der großen Pötte in der EU, die Ansprüche der kleinen Fischer verscherbelt gegen „höhere Interessen“ – „die  Deutschen haben sich den Butterfisch vom Brot nehmen lassen, weiß ich doch“. Aber das sei große Politik, sagte der Tourismuschef, er macht lokalen Tourismus. „Paris hat den Eiffelturm. Sie sind unser Wahrzeichen, Herr Schulzbach.“ Wahrzeichen. Helau.

„An der Ostseeküste, am plattdeutschen Strand …“ Ein paar Urlauber zucken zusammen. So soll es sein, gelebte Tradition muss auch bemerkt werden. Er soll viel singen, dann achte man nicht so auf seinen Akzent. Und bei Fragen darf er den Maulfaulen geben, ein Platter redet eh nicht viel. „Klappe halten haben Sie als Ossi ja trainiert, was, Herr Schulzbach?“ Zur Sicherheit soll er immer mal bannich in die Sätze streuen und jo und Schiet ook.

Karl-Heinz fällt der Pinsel in den Teereimer. „Verdammte Scheiße“, ruft er, gar nicht „in character“. Seine weiße Pluderhose dampft von heißen, schwarzen Flecken. Aber Karl-Heinz Schulzbach beruhigt sich schnell. Andere haben schließlich überhaupt keine Arbeit.

Er jedoch stellt immer noch was dar. Zurzeit einen Fischer.

mare No. 115

No. 115April / Mai 2016

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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