Notizen einer Landratte, 36.

In dieser Folge mokiert sich unser Kolumnist Maik Brandenburg vordergründig über die Haarpracht heutiger Festspiel-Störtebekers und sieht tatsächlich Parallelen zwischen jenen und den Piraten am Horn von Afrika.

Ich bin auf eine besondere Form von Fremdenfeindlichkeit gestoßen, auf eine Mischung aus Rassismus und Piraterie. Ich nenne sie Pirassismus. Es hat mit Klaus Störtebeker zu tun, dem noch vor Joachim Gauck größten Sohn Norddeutschlands.

Viel weiß man nicht über Klaus Störtebeker, weder seinen Geburtsort noch seinen Geburtstag. Nicht mal sein richtiger Name ist bekannt. Einig ist man sich merkwürdigerweise darin, dass er blonde Haare hatte, vorzugsweise halblang. Dabei ist der im Hamburg Museum ausgestellte Kopf von Klaus Störtebeker blank wie das Konto eines Dschungelcampers. Außerdem trägt er einen dicken Schiffsnagel quer durch den Schädel. Wer solche Piercings trug, das nur nebenbei, war kein Waschlappen.

Aber ein Kahlkopf war Störtebeker, das wohl. Trotzdem sind fast alle Störtebekers in den Filmen blond, und sie tragen halblang. Auch der Titelheld der jährlichen „Störtebeker-Festspiele“ auf der Insel Rügen. Dort, auf Rügen, gab es in den letzten Jahren drei Darsteller des Klaus Störtebeker, und alle trugen sie blond und halblang. Der aktuelle Akteur ließ sich die Haare sogar blondieren und die Augen bläuen, sagt man so? Sie sind jedenfalls strahlend blau, dabei ist er von Geburt ein eher glanzloser Typ und außerdem so braunäugig wie Bambi. Auf seiner Homepage jedoch leuchtet das Haupt des neuen Störtebeker-Mimen, als schiene ihm die Sonne aus dem Schädel. Seine Augen aber funkeln wie zwei Blue Holes.

Helles Haar sei die Verkörperung der Unschuld, der Güte und der Stärke, sagen führende Haarspalter des Internets. Halblanges oder langes Haar kennzeichneten den Rebellen, den Gesetzlosen. Das alles repräsentiert ja auch Störtebeker, und die Frisur soll es beweisen. Schwarzes, krauses Haar dagegen symbolisiere das Böse. Die Motorbootpiraten vor Somalia haben schwarzes, krauses Haar. In dem Film „Captain Phillips“ heißt ein somalischer Pirat Abduwali Muse. Er steht für das Böse, während Klaus „Störti“ Störtebeker der Inbegriff des Guten ist. Das ist für mich Pirassismus.

Denn abgesehen von Haut und Haar, so unterschiedlich sind Störtebeker und Muse gar nicht. Beide haben schwer festzustellende Personalien, sie lieben ausgefallene Dienstfahrzeuge und  hängen mit dubiosen Freunden ab. Außerdem üben sie den gleichen Beruf aus. Sie überfallen friedfertige Leute auf Schiffen, manchmal töten sie sie auch. Sie nehmen nur von den Reichen, was sie erbeuten, teilen sie unter sich und unter den Ärmsten auf. Auf dem Arbeitsamt hätten sie das gleiche Ausbildungs­profil.

Doch Störtebeker wird gefeiert, er ist ein Held, ein Vorbild für die Jugend. Er führt ein rührendes Schurkenstück auf, und Tausende klatschen. Der reale Abduwali Muse aber dürfte sich weder in Hamburg noch auf Rügen blicken lassen, er wird auf keiner Bühne besungen. Dafür wird er eventuell von schwer bewaffneten deutschen Jungs beschossen, die mal ein Poster von Klaus Störtebeker in ihrem Kinderzimmer hängen hatten. Störtebeker ist der Santa Klaus der Meere, Muse nur sein fieser Knecht Ruprecht, der Zwarte (!) Piet.

Was sollte man jetzt tun? Es hülfe nichts, dem „Ungeheuer Rassismus“ das Haupt abzuschlagen, wie es manche fordern. Das brächte bei Störtebeker nichts, er ist seinerzeit in Hamburg ohne Kopf einfach weitermarschiert, heißt es. Auch auf Rügen wurde  er schon mehrfach geköpft, dann war für einen Wimpernschlag der Geschichte die Hoffnung groß, nie wieder verdrehte Worte  zu hören wie „ein Wimpernschlag der Geschichte“. Doch Klaus Störtebeker kam im nächsten Jahr wieder. Wahrscheinlich hatte er mehr Auferstehungen als der Dalai Lama.

Blonde Perücken ans Horn von Afrika zu liefern, die das dunkle Image der Piraten sozusagen aufhellen, wäre sicher ebenfalls nicht förderlich. Auch ein paar Recken aus dem Nordfriesischen hinunterzuschicken, die den Job der Somalier täten, würde nicht viel bringen. Ebenso wenig wie eine weitere gewagte Konjunktivkonstruktion von mir, deshalb lasse ich das jetzt. Doch sollten eines Tages dunkelhäutige Menschen mit krausem Haar und Kalaschnikows an Deutschlands Tür klopfen, dann sollen sie wissen: Ich kenne einen guten Regisseur.

mare No. 114

No. 114Februar / März 2016

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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