Notizen einer Landratte, 33.

In dieser Folge bekundet unser Kolumnist Maik Brandenburg Verständnis für die Nöte der japanischen Walwissenschaft ebenso wie für die Gewohnheitsrechte norwegischer Ureinwohner und begrüßt die Ächtung des Islandpullovers

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat den Walfang in der Antarktis verboten. Die Jagd auf die Meeressäuger sei illegal, verkündete die höchste weltliche Instanz in Den Haag. Japan dagegen möchte das marine Waidwerk zu „wissenschaftlichen Zwecken“ fortführen. Zwar stehen nun weniger Tiere auf seiner Abschussliste, aber maximal 333 Zwergwale sollten es für 2015 schon sein.

Immer noch zu viel, monieren die Wissenschaftsfeinde von Greenpeace. Sie bezweifeln den akademischen Wert der Waltötungen. Unverständlich, denn fast alle Japaner sind erfüllt vom Forscherdrang. Insbesondere sind sie Verhaltensforscher, die etwa ergründen wollen, wie sich die Leber eines Wales im Sake-Zwiebel-Sud bei 250 Grad Celsius verhält. Der IGH zeigte dennoch kein Verständnis, obwohl jedes japanische Restaurant eine „Menükarte“ genannte Bachelorarbeit auslegt, die den Forschungsstand des Lokals dokumentiert. Müssen nun Tausende Laboratorien zwischen Wakkanai im Norden und Ishigaki im Süden geschlossen werden?

333 Zwergwale sei nämlich eine geradezu winzige Zahl, klagte der japanische Fischereiminister. Unter Tränen fragte er, wie eine seriöse Forschung fortzuführen sei. Ohne Forschung aber würde Japan auf den Entwicklungsstand der Vorkriegszeit zurückgeworfen. Das heißt, es gäbe noch gar keine Kleinwagen von Honda oder Suzuki. Das kann auch hierzulande niemand wollen.

Woran aber genau soll geforscht werden? „Zum Beispiel am Alter der Walpopulationen“, so der Fischereiminister. „Wir wollen ja kein abgelaufenes Walfleisch in den Handel bringen.“ Das Mindesthaltbarkeitsdatum sei bekanntlich unterhalb der Schwanzflossen zu finden. Da komme man nur schwer ran, der Stress während der Untersuchungen sei für die Tiere außerordentlich. „Ihre rasche Tötung ist darum schon eine Frage der Ethik“, so der japanische Minister, der bei dieser Gelegenheit eine neuartige Granatharpune vorstellte.

Umweltschützer meinen hingegen, dass einschlägige wissenschaftliche Daten auch leichter zu erheben wären, beispielsweise aus angeschwemmten Kadavern oder aus den Fäkalien der Tiere. Das aber empört viele Japaner. „Wir machen uns doch nicht die Hände schmutzig!“, rief kürzlich eine aufgebrachte Menge während einer Protestveranstaltung in einem Einkaufscenter.

Außerdem würden sowieso nicht genügend Kadaver angetrieben, so der Fischereiminister. Denn das Ermitteln des Alters müsse regelmäßig passieren, da ein Wal vermutlich jedes neue Jahr ein völlig anderes Alter entwickelt. Zu überprüfen wäre in diesem Zusammenhang auch, ob die Tötung vornehmlich junger Wale das Durchschnittsalter der Population erhöht. Oder ob umgekehrt das Schlachten alter Gruppenmitglieder den Bestand verjüngt. „Das sind ja alles drängende Fragen. Wer sonst sollte die angehen, wenn nicht wir?“, fragte der Fischereiminister.

Nun, vielleicht die Norweger und Isländer. Die bestehen ebenfalls auf der Jagd nach den Meeressäugern. Ihnen geht es allerdings weniger um den Forscherdrang. Die Nachfahren der Wikinger sehen sich als Ureinwohner, als solche hätten sie eine Art Gewohnheitsrecht auf die Wale. Das sei schon in den berühmten Runenstein von Fagernes gemeißelt, den Wikingerkönig Erik der Rote einst aufstellen ließ. Sinngemäß sagt er da, es solle in seinem Land keinen geben, der „sonntags nicht seinen Wal im Topf hat“.

Auch wirtschaftlich ist die Waljagd nicht unerheblich. Ein Norweger lebt eben von allem, was die Natur hergibt. Also vorwiegend von dem Holz aus seinen Wäldern, von rasch nachwachsenden Hotels an seinen Fjorden oder vom Erdöl aus seiner Nordsee. Auch die Isländer leben seit Urzeiten von den unterschiedlichsten Formen der Jagd. Am bekanntesten ist wohl ihre archaische Hatz auf Schafe, denen sie dann bei lebendigem Leib die Wolle abtrennen.

Die daraus produzierten „Islandpullover“ sind neuerdings zu Recht durch die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen geächtet. Bleibt den Isländern nur mehr der Walfang. Oder der Export vulkanischer Flugasche aufs europäische Festland, der aber ebenfalls stark umstritten ist.

mare No. 111

No. 111August / September 2015

Von Maik Brandenburg

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