Notizen einer Landratte, 32.

In Archiven, die nur ihm bekannt sind, stieß unser Kolumnist Maik Brandenburg auf sensationelle Tagebuchaufzeichnungen berühmter Vielreisender. Er fragt sich: Muss die Geschichte der Seefahrt neu geschrieben werden?

James Cook, Bark „Resolution“, Sommer 1772, weit hinter Kapstadt
„Schon den dritten Tag hintereinander Sauerkraut. Blöde Wette. Wie kommt das Zeug eigentlich an Bord? Muss wohl dem Quartiermeister mal das Salz aus dem Brägen schlagen. Immerhin ist das Saufutter eine tolle Strafe, da kommt sogar Kielholen nicht mit. Der freche Midshipper krümmt sich immer noch auf dem Unterdeck. Pfützensegler! Dachte wohl, dass ich nicht so weit gehe, ihm Sauerkraut einzuhelfen. Aber ich werde zur Not weiter gehen, als je ein Mensch zuvor gegangen ist! Zeigt sich ja auch wieder bei der Wette: Wem von der Crew zuletzt die Eingeweide platzen, darf dem Südkontinent seinen Namen geben. Dabei gibt es das Ding gar nicht, weiß es längst. Ich lass sie trotzdem das Unkraut fressen, muss ja weg. Über Bord damit? Arme Fische. Ich halte durch, und wenn dieses verdammte Spiel eine Woche dauert. Schon wegen des Deutschen [meint wohl den Naturforscher Georg Forster, der bei der zweiten Weltumsegelung Cooks dabei war, d. Verf.]. Arrgh! Eher murkst mich ein Nacktfuß in der Südsee ab, als dass die Bratwurst gewinnt. Hab noch extra Kümmel reingemacht, sollte ja richtig leiden, der Preußenstock. Fuc … [unleserlich] sh … [unleserlich], der Typ scheint der Einzige, dem das Zeug schmeckt. Will sogar das Rezept. Kann er haben. Ein Volk, das einen lieblichen Black Pudding nicht zu schätzen weiß, mögen die Darmwinde zerreißen.
Notabene: Den sieben Heulbojen mit dem Skorbut geht es seit heute besser. Merkwürdig.“

Charles Darwin, HMS „Beagle“, Spätsommer 1835, bei Galapagos
„Göttliche Athene, welch ein Radau am Heck. Bibo ergo sum! Sie raufen mal wieder um den Branntwein. Horribler Liquor, wenn’s nicht grad so lecker wäre. Aus wack’ren Mannsbildern werden Infanten, nein, richtige Affen, vanus simiae, der Sprache kaum mehr mächtig. Am Ende liegen sie wie Einzeller (Protozoen) im eigenen Schleim. Bäh! Evolution kann offenbar auch retour. Ich trinke da nicht mit, trotzdem dies kein leichtes Unterfangen ist. Nur die Harten kommen in den Garten (gute Idee, nur sollte ich für die Herren Academicusse die Worte ein wenig expolieren). Congratulatio, Charly, wieder etwas entdeckt. Jetzt mag mir noch ein weißer, wallender Bart wachsen, dann zweifelt keiner mehr, dass ich von Gott abstamme. Vielleicht bin ich’s ja selber, Deo volente. Ei, diese Reise wird ein einziger Triumph für meine Theorien. Wenn sie bloß nicht so arg dauern würde. Schon die vierte Woche ohne Land, das ist nicht gut. Ein Schiff ist ja auch eine Insel, fern aller Welt. Weiß doch, was dann passiert – es generieren sich anatomische Abnormitäten, da graut’s dem Metzger. Hier auf dem Schiff sind schon nur noch Arschnasen, Spatzenhirne und Ferkelfressen. Und der Kapitän ist ein, ach, irgendetwas Ekliges auf Latein. Jedenfalls eine ganz neue Species.“

Christoph Kolumbus, „Santa María“, Herbst 1492, Indien!
„Halbnackt, mit kaum einem Fetzen am Leib, betraten wir die rettenden Gestade. Freundliche Leute, wirklich. Lächelnd übergab uns ihr Anführer (sein Name ist Andrew Walter, ich sollte ihn einfach An Walt nennen) ein Geschenk. Gold? Nein, ein dicker Stapel Papiere. Eine Klage wegen ,Entblößung in der Öffentlichkeit‘. Sieht so aus, als müssten wir alle Schätze, die wir in Eldorado finden, an eine ,Kanzlei‘ abliefern. Keine Ahnung, was das ist. Aber wie sollen wir dann die Schiffe reparieren lassen? Oder Trinkwasser und Nahrung bezahlen? Frage mich sowieso, wie wir damit zurechtkommen sollen. Zwar essen sie hier auch so runde Teigtaschen mit Füllung, ähnlich unserem Pasticcio. Aber da ist wenigstens Fleisch drinnen. Und ihr Wasser scheint ungenießbar. Es ist wie schwarzes, flüssiges Zucker, es brennt in der Kehle, als verschlucke man ein Sägeblatt. Ihre Kutschen fuhren fast bis ins Meer. Überhaupt, nie sah ich einen von ihnen laufen. Aber sie haben Füße! Das alles macht mir arge Bedenken. Dies ist definitiv eine neue Welt. Soll sich ein anderer damit rumschlagen. Vespucci von mir aus, der Kerl will ja auch bald hierher. Ich bleib einfach dabei: Ich war in Indien, Punkt.
Komisch, der Anführer wusste gleich meinen Vornamen.“

mare No. 110

No. 110Juni / Juli 2015

Von Maik Brandenburg

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