Notizen einer Landratte, 31.

In dieser Folge hat unser Kolumnist Maik Brandenburg die Nase voll von Meeresgerüchen, erfindet einen neuen altehrwürdigen Beruf und erläutert uns den Zusammenhang von Ambra und Salbei

Es werden ja immer mal Parfümflaschen in gesunkenen Schiffen gefunden. Manche dieser Flaschen haben sogar in Wracks aus dem Mittelalter überdauert. Das ist dann sehr interessant, wenn solch ein Flakon geöffnet wird. Meist riecht es zuerst nach „faulen Eiern“, also nach Schwefelwasserstoff, was aber nicht weiter überrascht. So was erwartet man vom Mittelalter, wo der Teufel noch kein Schauspieler war, sondern echt, sozusagen ein leibhaftiger Leibhaftiger. Wenn sich der Höllendunst aber verzogen hat, dann riecht auch das alte Parfüm nach Orangen, nach Myrrhe oder Sandelholz. Da es kein „Museum für antike Düfte“ gibt, bin ich dafür, den Inhalt dieser Flaschen in die Meere zu kippen.

Denn die haben es nötig. Die Ozeane verkommen zu Müllhalden, wie die Ökoverbände warnen. Das sehe dann nicht nur hässlich aus, es stinke auch ganz gewaltig. Da hilft es nur geringfügig, wenn einem Frachter, wie vor einiger Zeit geschehen, Tanks voller Parfümmischungen leckschlagen und auslaufen. Ein Frachter ist zu wenig, man sollte schon systematisch und in großen Dimensionen verklappen. Duftöle statt Schweröle, es muss ja nicht immer „Cool Water“ sein.

Auch wegen des marinen Muffs empfiehlt es sich also, unter Wasser die Luft anzuhalten. Oder wenigstens nur ab und zu durch die Nasen zu atmen. Auch eine Art Gasmaske hat sich bewährt, vor allem Taucher vertrauen schon lange darauf. Der Geruch von Hafenschlick, von Klärschlamm oder Dünnsäure ist so kaum noch wahrnehmbar. Derart ausgerüstet, dürften selbst gelegentliche Brisen von Senfgas, entwichen aus porösen Granaten des letzten Weltkriegs, einen Spaziergang in ufernahen Tiefen nicht verleiden.

Aber das gilt nur für die ganz schweren Fälle unterseeischer Geruchsbelästigung. Es ist nicht alles Mief, wo Meer draufsteht. Eine Seegraswiese im Frühling ist immer noch ein schöner Anblick. Wenn die Seeschmetterlinge um die Seeanemonen flattern, wenn die Seewespen Nektar aus den Seelilien saugen, dann möchte man sich ausstrecken und die Nüstern blähen. Der gute Wille vermag sogar aus schwimmendem Kehricht noch Wohlgerüche zu destillieren, buchstäblich: Ein großer Kölner Parfümier brachte jüngst sein „Wunderwasser“ auf den Markt, das, so die Beschreibung, „Spuren von facettenreichem Treibholz“ enthält.

Das wirft allerdings auch Fragen auf. Was nehmen sie da? Schiffsplanken? Angeschwemmte Lattenroste? Bananen- oder Apfelkisten bringen sicher eine fruchtige Note, aber welches Odeur lässt sich aus Paletten gewinnen, auf denen Windeln gestapelt waren? Und wer fischt das alles heraus?

Vielleicht gibt es ja den altehrwürdigen Beruf des Treibholztreidlers. Männer mit verwitterten Gesichtern ziehen nach schweren Stürmen teerschwarze Bohlen durch den Spülsaum. Manchmal auch fahren sie hinaus auf See, um die geborstenen Rümpfe der Holzsegler zu bergen. Ihre Arbeit ist schwer und längst nicht mehr so ertragreich, seit GFK-Yachten die Meere besiedeln. Sie wissen: Plastikteile sind facettenarm.

Die Frauen der Treibholztreidler, schweigsame Arbeiterinnen in Wollmützen und Gummistiefeln, kratzen derweil Algen und Muscheln von zersplitterten Masten. Sie riechen nach Tang und Maloche, aber nicht nach „Wunderwasser“, so feine Herrschaften sind sie nicht. Am Rand der Klippe steht ein Lkw mit Kölner Kennzeichen, dort laden sie irgendwann alles auf. Wenn sie in die Städte gehen, um Brot und Kartoffeln und vielleicht etwas Fleisch für den Sonntag zu kaufen, dann weht bisweilen ein süßer Duft um ihre Nasen. Dann lächeln sie in sich hinein, ein wenig sehnsüchtig, aber auch ein bisschen stolz.

So dachte ich. Aber ach, es ist ganz profan. „Die Inhaltsstoffe des Duftöls enthalten nicht wirklich Treibholz. Hier handelt es sich eher um eine Duftbeschreibung aus dem Marketingbereich“, erklärte der Abfüller des „Wunderwassers“. Sie machen das künstlich, so wie alles. Man quetscht ja auch keine Moschusochsen mehr durch Destillierkolben oder wringt Biber aus, um an ihre teuren Duftstoffe zu kommen. Das geht alles per Synthese. Selbst das legendäre Ambra der Pottwale wird mittlerweile aus stinknormalem Salbei gekratzt. Das ist dann zwar nicht so aromatisch, dafür hilft es auch gegen Husten.

 

mare No. 109

No. 109April / Mai 2015

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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