Vor einiger Zeit durfte ich Wale beobachten, und ich muss schon sagen – wow! Wale! Pottwale, Minkwale, das Meer und so. Dann der Himmel, das Licht, der Geruch. Wow! Und die Wale. So voll dick und ganz nah. Mal waren sie über Wasser, mal unter Wasser, das ging richtig ab. Wale, Wale, Wale. Ich kann meine Begeisterung gar nicht in Worte fassen. Sicher liegt es daran, dass ich überhaupt nicht begeistert war. Ach, reden wir nicht lange drum herum: Es war eine Enttäuschung.
Nennen Sie mich undankbar, aber so war es. Ich habe es versucht, ich wollte unbedingt fasziniert sein, es hat ja auch viel Geld gekostet. Vergeblich. Irgendwie sehen Pottwale im Fernsehen gigantischer aus. Aber groß waren sie natürlich trotzdem noch. Das Boot jedoch war klein, so klein. Sie hätten uns jederzeit versenken können, nur aus Versehen. Wie in dem Vers: „Ein Pottwal, der durch Flossenhieb / ’nen Kutter mal zu Neptun trieb, / sprach arg verlegen zu dem Kahn: / ‚Entschuldigung, ich war im Tran.‘“
Zum Glück passten sie auf. Doch was, wenn sie sich bewusst zusammenrotteten, wie in dem Buch „Der Schwarm“, wo sie dann ein Fischerbötchen gezielt attackieren? Angst hatte ich also auch noch.
Eine Enttäuschung, wie gesagt. Doch mal ehrlich, was können Wale sonst noch, außer groß und vom Aussterben bedroht zu sein? Es ist Zeit, jene zu loben, die im Schatten der Flossenprotze schwimmen. Deren Lebensleistung aber wirklich verblüffend ist. Irgendwie viel „wow!er“ also.
Man braucht ja sein Netz nur kurz ins Internet zu halten. Schon beim ersten Hol ergeben sich beeindruckende Funde: Der fette Fisch Eulachon kann, von einem Docht durchzogen, als Kerze genutzt werden. Der Nördliche Elektrische Sterngucker (Astroscopus guttatus), ein Kiemenfisch, atmet durch die Nase. Auch der Aal darf seine Nase weit oben tragen, denn er riecht Nelkenöl selbst dann noch, wenn nur ein einziger Tropfen davon in ein Gewässer von der Größe des Bodensees gelangt ist. Beim Atlantischen Lachs (Salmo salar) stellen Forscher sogar noch nach seinem Tod Hirnaktivität fest. So etwas gelingt manchen sehr viel höher entwickelten Geschöpfen nicht mal zu Lebenszeiten. Schollen haben Augen, die gern mal über den Körper wandern. Südamerikanische Welse gehen noch weiter, buchstäblich. Sie klettern, falls es ihnen zu Hause nicht gefällt, Felswände hoch – in den Anden, nicht unter Wasser! Und die Qualle Turritopsis nutricula gilt sogar als unsterblich. Nur zum Vergleich: Das Bemerkenswerteste, das in letzter Zeit zu Walen in den Nachrichten stand, handelte von einem Pottwal, der auf einer japanischen Straße detoniert war. Er ist da nicht mal selbst hingekrochen, sondern auf einem Hänger transportiert worden. Er war ja auch tot, in seinen Gedärmen aber hatten sich hoch explosive Stoffe entwickelt. Irgendwann machte es bumm!, und die Japaner durften wischen.
Ja, ich weiß, das ist harter Tobak für alle Walfreunde. Ich möchte trotzdem bitte keine – in Worten: keine – empörten E-Mails bekommen. Mein Ordner ist nämlich schon voll davon. Nicht voller empörter Briefe, aber voller Mails, welche mich an die Lage der Wale erinnern. Bereits zum Frühstück liegen drei Schreiben von Walschutzorganisationen im Postfach, die mich davor warnen, Walfleisch zu essen.
Ich hätte die Warnung nicht gebraucht, Walfleisch tu ich mir sowieso nie aufs Brötchen. Doch es hört bis zum Abendbrot nicht auf. Ich soll außerdem Geld spenden, Protestbriefe abschicken, zu Demos kommen und Norweger verächtlich angucken, wenn ich sie treffe. Ich hatte mal über Wale geschrieben, vielleicht gelte ich darum als Freund der Wale. Aber sie haben es sich versaut. Sie haben sich schon zusammengerottet und attackieren uns. Dicke, aggressive Spamwhales, und ich bin ein Ziel.
Hört mich an, Wale: Gestern fand ich euch noch interessant, heute nur noch langweilig. Morgen jedoch werde ich mir eine Harpune und ein Boot kaufen und aufs Meer fahren. Ich werde euch jagen. Und ich werde nicht aufhören, bis ihr alle in meinem Junkmailordner liegt. Alle!
Vita | In dieser Folge mokiert sich unser Kolumnist Maik Brandenburg vordergründig über die Haarpracht heutiger Festspiel-Störtebekers und sieht tatsächlich Parallelen zwischen jenen und den Piraten am Horn von Afrika. |
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Vita | In dieser Folge mokiert sich unser Kolumnist Maik Brandenburg vordergründig über die Haarpracht heutiger Festspiel-Störtebekers und sieht tatsächlich Parallelen zwischen jenen und den Piraten am Horn von Afrika. |