Notizen einer Landratte, 24.

In dieser Folge würdigt unser Kolumnist Maik Brandenburg einen wunderbaren Schwindel des DDR-Fernsehens, wärmt sich das Herz mit Senfeiern und erklärt, warum bayerische Separatisten bessere Chancen haben als sächsische

In der DDR gab es eine sehr beliebte TV-Sendung, die der Seefahrt gewidmet war. Sie hieß „Klock 8, achtern Strom“. Namhafte Sänger wie Fred Frohberg oder Siegfried König sangen Shantys, denen der sächsische Akzent deutlich anzuhören war. Alle taten so, als säßen sie in einer Hafenbar am Kai – Steuerräder hingen von der Decke, Schiffssirenen heulten, hin und wieder schlug jemand die Schiffsglocke. Allerdings wurde die Sendung in einem Fernsehstudio aufgezeichnet, in Rostock zwar, doch Meer und Hafen waren trotzdem weit weg. Vor der Tür hupten Autos, heute sind dort immer noch keine Poller, sondern Parkuhren. Die Mitwirkenden trugen Matrosenhemden und Kapitänsmützen, aus Österreich waren Jonny Hill oder Lolita zu Gast, aus der ebenso großen Seefahrernation Tschechoslowakei schaute Karel Gott vorbei. Auch ein Schweizer Shantychor trat auf.

Den Machern gelang aber noch beeindruckenderer Schwindel. Rostock galt als „Tor zur Welt“, was in den Augen der DDR-Landeswärter gleichbedeutend war mit dem „Tor zur Hölle“. Nun handeln Seemannslieder aber vor allem von Ferne und Heimkehr. Doch war der Junge erst mal weg, kam er oft genug nicht wieder. Die Herausforderung der TV-Leute war also, Fantasie und Sehnsüchte einerseits über Wellen und Wogen gleiten zu lassen, sie aber andererseits schön im Zaum zu halten. Sie mussten dieses Tor sozusagen halb durchlässig lassen: Die Träume durften durch, die Träumer nicht. Ach was, am besten, auch die Träume blieben zu Hause. „Es gibt Naturschönheiten unserer Heimat, die einen … in gesundem Sinne romantischen Text durchaus lohnen; es gibt nicht nur Jonnys und Jans als Matrosen …, nicht nur glutäugige Señoritas, sondern auch sehr charmante Verkäuferinnen im Warenhaus der HO“, schrieb ein Kulturfunktionär. „Drum lass doch dein Gepäck und fahr erst gar nicht weg“ forderte folgerichtig ein Lied gegen das zersetzende Fernweh.

Dennoch schnupperte das Publikum bei „Klock 8 …“ den Duft der großen weiten Welt. Wenn man allerdings durch die Studiotür nach draußen ging, roch es schon wieder nach Hausmannskost, nach gebratenen Zwiebeln oder Senfeiern. Denn nahe dran war die Kulisse der Sendung „Der Fernsehkoch empfiehlt“. Hier rührte der Thüringer Kurt Drummer zusammen, was gerade so da war in der DDR. Er brachte Spaghetti und Hühnchen in neue, spannende Zusammenhänge oder pries als volkseigener Geschmacksverstärker den Weißkohl „zu allen Gelegenheiten passend“. Manchmal versuchte er sich an bulgarischem Güwetsch oder Szegediner Gulasch, denn auch die sozialistische Bruderliebe ging durch den Magen.

Gegenüber in der „Hafenbar“ tanzten derweil richtige Matrosen der Volksmarine, die zumeist aus Thüringen oder Sachsen eingezogen worden waren. Immerhin war der Gastgeber von „Klock 8, achtern Strom“ ein Rostocker, doch schon sein Sidekick, ein Barkeeper, stammte wieder aus Leipzig. Aber auch eine echte Hamburger Deern gehörte zur Stammcrew der „Hafenbar“. Sie war einst von Hamburg nach Rostock übergesiedelt. Wenn man so will, war die Sendung die einzige in der DDR, in der ein Republikflüchtling auftreten durfte. Alles vermittelte den Eindruck einer großen, die Völker verbindenden Kraft: Stars aus dem kapitalistischen Ausland sangen gemeinsam mit Kulturschaffenden der DDR. Die Kraft der Seemannslieder führte selbst Mecklenburger und Sachsen zusammen. Ansonsten schlugen sich die beiden Ethnien bekanntlich an den Stränden um die Sandburgen oder schubsten sich vor den Restaurants der Seebäder aus der Schlange. Bei „Klock 8, achtern Strom“ aber war das vergessen.

Gibt es Vergleichbares heutzutage? Schunkeln Bayern in niederdeutschen Tele-Katen? Wann sind, umgekehrt, die letzten Plattfööt im „Musikantenstadl“ aufgetreten? Ist das überhaupt jemals passiert? Wundert sich wer, wenn also die Bayern ihren eigenen Staat wollen? Die Sezessionsbewegungen in Dresden, Erfurt und Leipzig hingegen sind politisch träge, regelrecht lahm. Ich meine, das liegt auch an „Klock 8, achtern Strom“, dieser wunderbaren Fake-Show des Maritimen, und man sollte sie endlich mal würdigen. Was ich hiermit getan habe.

mare No. 102

No. 102Februar / März 2014

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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