Notizen einer Landratte, 23.

In dieser Folge lotet unser Kolumnist Maik Brandenburg seine Abgründe aus, erklärt, wieso es ein Leichtes ist, Segelexperte zu sein, und ist einmal mehr unmanierlich zu einer Touristin

In dieser Folge lotet unser Kolumnist Maik Brandenburg seine Abgründe aus, erklärt, wieso es ein Leichtes ist, Segelexperte zu sein, und ist einmal mehr unmanierlich zu einer Touristin

Ich sitze auf einem Poller und sehe ablegenden Segelschiffen zu. Das ist schön, das ist Aufbruch, Ferne, Abenteuer. Noch schöner ist, dass ich nicht dabei bin. Ich werde nicht demnächst mit kollabiertem Gesicht über der Reling hängen, also hohlwangig, bleich und die Augen blutunterlaufen. Ich werde keinen grünen Glibber im Bart haben und auch danach riechen. Ich werde nicht unter Deck liegen und aus allen privaten Luken auslaufen. Und ich werde am Ende auch nicht von Bord wanken, mit lächelndem Gesicht, um Spaß zu heucheln.

Nein, ich sitze lieber entspannt auf dem Poller und sehe den Wellenzombies zu. Sie gehen als Menschen, sie kehren zurück als Leichen. Als aufrechte Wasserleichen. Ist es ein Wunder, wenn ich bei diesen Gelegenheiten an Seebestattungen denke?

Heute zur Abwechslung an meine eigene. Bis jetzt halten mich die meisten Menschen für liebenswert. Gut, denken sie, nervig ist er ja manchmal, ein wenig wirr mitunter, aber ansons-ten – harmlos. Das verletzt mich. Irgendwo bin ich auch ein voll gemeines Schwein. Ich habe nicht einfach nur Tiefe, in mir sind Abgründe! Nur glaubt mir das keiner.

Doch der Tag wird kommen. Es ist der Tag meiner Seebestattung. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde dafür sorgen, dass Windstärke acht herrscht. Und meine Asche wird genau am Rande der Zwölf-Meilen-Zone verstreut werden, keinen Zentimeter davor. Zuvor werden Liedtexte an die Trauernden verteilt und gemeinsam Shantys gesungen. Und zwar jede verdammte Strophe von „What Shall We Do With the Drunken Sailor“ bis „Wir lagen vor Madagaskar“. Das ist mein letzter Wille, das gesamte Repertoire. Und zum Schluss noch ein ganz langsames von den Schwarzmeerkosaken. So etwas träume ich, wenn ich auf einem Poller im Hafen sitze und den Seglern zusehe.

Aber nur so lange, bis sich eine Touristin neben mich setzt. In ihrem Brötchen steckt ein Bückling wie in einem zu kleinen Sarg. Die Frau weist auf eine angeleinte Yacht vor uns.

„Wie schnell ist denn das Boot?“, fragt sie. Was weiß denn ich? Habe ich Boardies an, trage ich ein Offshore Jacket mit einem Spraytop darunter? Stecke ich in Deck Slippers mit Neoprene Socks? Sehe ich aus wie ein Segler, bin ich „dressed to spill“?

Offenbar, denn sie legt nach. „Bestimmt 50 Stundenkilo-meter, oder?“ Ich sehe sie an. „Wahrscheinlich viel weniger“, antworte ich, „es ist ja vertäut.“ Für einen Moment hört sie mit dem Kauen auf. Oder, wie wir Segler sagen, der Fisch dümpelt kurz in ihrem Mund vor sich hin. Dann fasst sie sich und sagt mit vollen Backen: „Nein, ich meine, wenn Sie da draußen auf See sind.“

„Dann natürlich mehr.“

Offenbar denkt sie über meine Schätzung nach, denn sie kaut schweigend weiter. Aber nur kurz.

„Wie weit kommt man denn mit so ’ner Yacht?“, fragt sie schließlich.

Ich streiche über meinen Seebart. „Falls man genug Wind mitnimmt, bis nach Australien“, antworte ich. Sie kriegt Bullaugen.

„Ach, man kann den Wind mitnehmen?“

„Natürlich.“

„Und wo? Etwa in Seesäcken?“ Sie kichert.

„Nein“, erwidere ich ernst, „in Windbeuteln.“ Sie ist beeindruckt. Ich von mir auch. So leicht ist das, ein Segelexperte zu sein. Ein überraschend gutes Gefühl. Ich erkläre der Frau dann noch, warum der Bug immer vorne ist (damit ihn keiner mit dem Heck verwechselt), wie man nach den Sternen navigiert (erste Regel: niemals am Tag!) und wie man die Seekrankheit vermeidet (nur bei Flaute segeln). „Und wenn uns der Proviant ausgeht, schlachten wir das Kielschwein“, sage ich.

„Ha, ha“, ruft sie launig, „ich dachte, Seeleute kriegen ihr Fleisch nur von den Maden im Schiffszwieback!“

Wie bitte? So redet man nicht mit einem, dessen Wiege die Wellen waren. „Na, und?“, sage ich und gucke schief auf ihr halb vertilgtes Bücklingsbrötchen. „Manche Menschen essen ihre Haustiere, statt sie ordentlich zu beerdigen.“

Das war unhöflich, sicher. Aber so sind die Segler eben: nicht nur Masochisten in kauzigen Klamotten, sondern auch ohne Manieren. Vor allem bei Landratten.

 

mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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