Notizen einer Landratte, 18.

In dieser Folge macht sich unser Kolumnist Maik Brandenburg frei von sublimierter Schamlosigkeit, er gesteht auch schlechte Witze, erläutert das Wärmende von Arbeiterliedern und das Entwaffnende von Nacktheit

Eine Zeitschrift wollte einen Beitrag über die Freikörperkultur in der DDR. Die Redakteurin sagte gleich, wie sie sich das vorstellte: Ich solle nichts verheimlichen!! Sie sagte es tatsächlich mit zwei Ausrufezeichen in der Stimme. Ich sollte beispielsweise nicht verheimlichen, dass FKK damals ein Mittel zur Unterdrückung war. Ich fragte, ob sie vielleicht „Mittel zum Widerstand“ meinte, das hätte mir irgendwie eingeleuchtet. Es gab da Gestalten, deren Bäuche aus dem Bild der postulierten „sozialistischen Persönlichkeit“ sozusagen herausquollen. Das war dann mutig, wenn die erst sich und zugleich die Ideologie bloßstellten. Aber die Kollegin meinte tatsächlich Unterdrückung. „Frei“ und „DDR“, so was ginge doch gar nicht zusammen! Ich lauschte, ob noch ein Ausrufezeichen kam, aber nein.

Ich fragte dann, was sie damit meinte. Gab es also seinerzeit nur eine „Vorgetäuschte Freie Körperkultur“, die VFKK? Oder die EFKK, die „Erzwungene Freie Körperkultur“? Mithin eine umgekehrte, eine DDR-Variante des Märchens von „Des Kaisers neue Kleider“ – alle behaupten, sie wären nackt, dabei haben sie was an? „Klar waren wir angezogen“, sagte ich launig, „wir trugen ja unsere Haut, Haut Couture sogar.“ Das war ein Kalauer, sicher, aber ich war doch unter Schock. Ich gab sofort zu, dass ihr Witz der bessere war.

Aber sie hatte nicht gescherzt, not at all. Ich überlegte noch mal. Eigentlich hatte ich nur schöne Erinnerungen gehabt. Jetzt aber fielen mir die Demütigungen ein, denen ich als sozialistischer Nackedei ausgesetzt war.

Nach der Schule wurden wir sommers an den Strand getrieben, wir mussten unsere Kleider ausziehen, auch die roten Socken. Lediglich das rote Halstuch der Thälmann-Pioniere durften wir anbehalten. Dann sollten wir Arbeiterlieder singen, so laut, dass sie bis Schweden und Dänemark zu hören waren, „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ und „Immer lebe die Sonne“, denn der Imperialismus war kalt und düster. Dem Sonnenbrand versuchten wir mit minderwertiger Creme beizukommen, vergebens. Anschließend scheuchte man uns ins Wasser, das verseucht von Bitterfeld herüberschwappte. Aber es härtete uns ab gegen Kälte und Chemikalien. Von Lubmin am Greifswalder Bodden strahlte der Atomreaktor auf unsere Hintern, so wurden wir gegen Radioaktivität gefeit. Als im Jahr 1986 der Reaktor in Tschernobyl explodierte, waren wir immun, und dank FKK an wirklich jeder Stelle. Die DDR-Medien brauchten dieses Thema darum auch nur am Rande abzuhandeln.

Ich hatte das alles offenbar völlig verdrängt.

Ich fragte meine Eltern, wie sie sich an die Zeit der Unterdrückung erinnern. Jeden Tag des Sommers verbrachten wir am FKK-Strand, wir zogen los, wenn der Morgen graute, und kehrten heim im Schein der Abendröte. Ich traf dort meine Verwandten, die Klassenkameraden mit ihren Eltern, auch unsere Nachbarn. Meinem Mathelehrer versaute ich manchmal, wenn der im Wasser war, die exakt gezirkelte Strandburg. Meine Eltern denken gerne daran, doch die Repressionen haben sie verdrängt. Selbst an Prora konnten sie sich kaum erinnern.

Als kleiner Junge gingen wir oft in Prora an den Strand. Ein Zaun trennte uns von einem militärischen Übungsgelände. Während ich im Sand buddelte, passierte gelegentlich Folgendes: Ein Luftkissenboot rauschte ans Ufer, eine Luke öffnete sich, und Soldaten mit MPis im Anschlag sprangen heraus. Sie schossen nicht, sie hätten ihre Ziele sowieso verfehlt. Denn am Zaun drängelte sich die halbe FKK-Belegschaft, auch die junge weibliche. Sie müssen wissen, dass ein Soldat seinerzeit nur alle paar Wochen, mitunter alle paar Monate aus der Kaserne kam. Ich war noch zu jung, um es zu verstehen, doch nie vergesse ich die verzweifelten Gesichter der Kämpfer für den Frieden. Meine Söhne müssen das nicht mehr erfahren, Gott schütze den Freiherrn zu Guttenberg.

Ich werde jetzt einen Text schreiben über die Unterdrückung der DDR-Bürger durch FKK, er wird heißen „Die nackte Gewalt“. Ich werde ganz besonders die perfide, die menschenverachtende Triebunterdrückung herausstellen, o ja, das werde ich!!!

mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Mehr Informationen
Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.
Person Von Maik Brandenburg
Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.
Person Von Maik Brandenburg