Notizen einer Landratte, 17.

In dieser Folge bricht unser Kolumnist Maik Brandenburg eine Lanze für das ängstliche Misstrauen gegenüber dem Fisch, erinnert uns an unsere Gründe, Skandinavien zu lieben, und rät zur Vorsicht beim Googeln von „Rollmops“

Fischvergiftungen sind die Rache der geschundenen Kreatur. Eine Fischvergiftung führt zu abfälligen Äußerungen (Fluchen, Erbrechen), im schlimmsten Fall ist man tot. Und es passiert so leicht – schwuppdiwupp fängt man sich ein paar unkooperative Bakterien ein, dabei wirkte die Dorade so frisch. Offenbar ist es bei Fischen wie bei Menschen, man sieht ihnen ihre innere Verderbtheit nicht an. Diese Gefahr hat keiner besser erkannt als die Franzosen. Bei ihnen heißt Fisch „poisson“, während „poison“ Gift bedeutet. Zwischen Leben und Tod steht also nur ein mickriges S. Letzteres beginnt schon am dritten Tag zu stinken, am vierten ist es fast zersetzt. Am fünften Tag finden die Mitarbeiter des französischen Duden-Verlags, die jedes Satzglied in Worthülsen stecken und mittels Magnetresonanzorthografie überprüfen, nur noch hoch toxische Abbauprodukte.

Die Franzosen sind also gut sensibilisiert, bei ihnen kommen Fischvergiftungen selten vor. Das ist unter den Skandinaviern anders. In Schweden liebt man den „surströmming“, hier handelt es sich um müffelnden Hering in Dosen. Warum man einen fast verwesten Hering noch in Konserven steckt, hat sich mir bislang nicht erschlossen. Ich gehöre aber auch nicht einer Nation an, die ihre berühmteste Popgruppe nach einer Fischfabrik benennt. Die Norweger hängen Kabeljau in den Wind und warten, bis er mumifiziert ist. Manchmal vergraben sie ihn auch, um ihn ein paar Generationen lang zu vergessen. Auf der Hochzeit seines Enkels lässt sich dann ein norwegischer Großvater nicht lumpen und packt Gammelguppys auf den Tisch, die ihm schon sein Großvater zur Hochzeit ausgegraben hatte. Die Schweden verloren schon vor langer Zeit die Vorherrschaft im Ostseeraum, wahrscheinlich wegen ihrer Verdauungsprobleme, während es die norwegische Bevölkerungszahl partout nicht über die Fünf-Millionen-Marke schafft.

Ein lockeres Verhältnis zu Giftfischen zeichnet auch die Japaner aus. Sie essen Fugu, einen eigentlich letalen Kugelfisch, den nur speziell geschulte Köche zubereiten dürfen. Weil trotzdem immer mal was schiefgeht, werden sie zugleich zu Rettungsärzten und beglaubigten Notaren ausgebildet. Als solche haben sie einen verendenden Gast so lange am Leben zu erhalten, bis sein letzter Wille aufgenommen ist. Wie Piloten müssen sie außerdem in einem psychologischen Test ihre bedingungslose Menschenliebe nachweisen. Hierfür bereiten die Köche einem Finanzbeamten, der gerade ihre Bücher durchsieht, einen Fugu zu, dabei sollen sie singen oder pfeifen. Wer durchfällt, darf aber in die Nachprüfung und den Hinterbliebenen des Beamten zur Beerdigung aufkochen. Als ultimative Herausforderung ans Schicksal gilt bei japanischen Gourmets jedoch der Verzehr von Garnelen aus südostasiatischen Aquakulturen.

Fische greifen Menschen allerdings auch auf andere Art und Weise an, selbst die sogenannten Friedfische sind da keine Ausnahme. Am gefährlichsten ist der Rollmops. Tatsächlich sind im letzten Jahr in Deutschland mehr Menschen von einem Rollmops attackiert worden als von einem Weißen Hai. Rollmöpse suchen den direkten Weg in ihr Opfer, sind sie erst mal drinnen, holen sie Holzspießchen heraus, um gnadenlos zuzustechen. Im Internet finden sich erschütternde Fotos von blutgetränkten Gedärmen, in denen Spieße stecken.

Auch andere Fische, die im gastronomischen Bereich tätig sind, scheinen alles andere als harmlos. Sie gehen den Menschen an die Kehle, buchstäblich. Queen Mum etwa überlebte eine quergestellte Gräte in ihrem Schlund nur knapp. Vorsicht: Ein Gefrierfisch, der angibt, „praktisch grätenfrei“ zu sein, lügt! Er blufft wie das angeblich alkoholfreie Bier. Eine Ausnahme bilden die Kieler Sprotten, sie sind definitiv grätenfreie Filets und darum bei Kindern und anonymen Alkoholikern sehr beliebt. In England, Singapur und in der Bibel kann man sogar mit Fischen erschlagen werden, dort regnen sie gelegentlich vom Himmel. Und Aale beißen noch auf dem Grill, auch das ist mehrfach dokumentiert.

mare No. 94

No. 94Oktober / November 2012

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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