Notizen einer Landratte, 16.

Diesmal beklagt unser Kolumnist Maik Brandenburg mit Bierernst den Verlust einer großen Tradition, erläutert geistreich die Rolle von Madeira bei Entdeckungsfahrten und ist hochprozentig überzeugt von der Beseeltheit der Schiffe

In den letzten Jahren sind die alkoholbedingten Unfälle auf See drastisch gesunken. Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen erwähnt den Alkohol nur noch am Rande. Allerorten wird nun Ursachenforschung betrieben und nach Wegen gesucht, die bedenkliche Entwicklung aufzuhalten.

Man müsse „zurück in die goldenen Achtziger“, mahnte ein Sprecher des „Verbands zum Schunkeln auf Ozeanen und Peripheriegewässern“ (V.S.O.P.). Seinerzeit wurden laut Statistiken der Seeberufsgenossenschaft noch gut 30 Prozent der Seeleute dienstuntauglich geschrieben, hauptsächlich wegen Trunksucht. Eine tägliche Schluckimpfung für jeden Matrosen mit Köm oder Aquavit, so die Initiative „Takeln und Torkeln“ in Kiel, solle darum obligatorisch werden. Schluckimpfung wogegen? „Zum Beispiel gegen alles“, betonte ein Sprecher. Ein Mitglied des Hamburger Traditionsvereins „Total Blaue Jungs“ forderte zudem eine Promilleuntergrenze für Matrosen. „Ohne Rum und Branntwein würden wir doch heute noch unter Eichen liegen statt unter Palmen.“

Das ist nicht untertrieben. Was wären die großen Seefahrer ohne ihren hochprozentigen Treibstoff? Von Christoph Kolumbus ist bekannt, dass er eine Zeit lang auf Madeira lebte, um dann gen Westen aufzubrechen. Madeira ist die Heimstatt des Poncha, eines so süffigen wie hinterhältigen Cocktails. „Damit kann man sonstwo landen“, erklärte ein maritimer Historiker, „Kolumbus erfuhr das wie kein Zweiter.“ Und hätte Alexander von Humboldt jemals seine wegweisenden Reisen auf der nach ihm benannten Zweimastbark unternehmen können ohne die Hilfe einer Bremer Brauerei? Selbst der sonst so puritanische James Cook vertraute auf die Wirkungen des Fusels. Letzterer nämlich hielt die Crew in Stimmung und ersetzte das rasch verkeimte Trinkwasser.

Auf seiner ersten Fahrt in den Pazifik ließ Cook darum sukzessive 260 000 Liter Bier, Wein und Schnaps bunkern, das entspricht immerhin der Ration einer FDP-Vorstandssitzung (ohne Rainer Brüderle). Am Ende war jedenfalls kein Platz mehr für das kleinste Stückchen Seife, wie alte Schiffsrollen offenbaren. Mit Siff und Suff fuhr die christliche Seefahrt in die Moderne, nach einem Kompass übrigens, der am besten mit Alkohol funktionierte.

Heute sind selbst gute alte Bräuche verpönt. Kaum einer kennt noch Rituale wie den „Festmacherschnaps“, das „Anlegebier“ oder den „Manöverschluck“. Vorbei die Zeiten, als die Bordwache unter „Besondere Vorkommnisse“ notierte: „Kapitän erschien nüchtern zum Dienst.“ Und wenn ein wackerer Seemann auf den Spuren der großen Entdecker fährt, kommt er nicht in die Annalen, sondern ins Gefängnis. So geschehen einem ukrainischen Kapitän, der vor Jahren mit beinahe drei Promille einen neuen Seeweg durch die Elbe erkundete. Er wurde kurz vor der Reeperbahn gestoppt, samt seinem Frachter natürlich.

Etliche Kapitäne, die mit Trunkenheit am Ruder erwischt werden, verteidigen sich übrigens auf die gleiche Art. Sie geben vor, nicht sie, sondern „der Frachter ist voll gewesen“, was ja auch meistens stimmt. Ihre Schiffe hätten wahlweise „zu viel geladen“ oder „zu viel getankt“. Zudem seien Leute an Bord gewesen, das Schiff hätte demnach „einen im Kahn gehabt, mindestens“. „Ich hätte es merken müssen“, so ein ertappter Kapitän reumütig, „der Pott schwankte schon bedenklich, als ich aufstieg.“ Ein anderer verwies auf die große psychische Last, die sein Schiff zur Flasche greifen ließ: „Schiffe haben eben unglaublich viel zu verdrängen. Bei meiner ‚MS Soberia‘ sind es sage und schreibe 7000 Tonnen.“

Möglicherweise wurde es als kleines Beiboot zu früh vom Mutterschiff getrennt, ein Trauma, wie jeder Schiffsarzt weiß. Eine hohe Dunkelziffer an Jungschiffen mache außerdem viel zu zeitig Erfahrungen mit Alkohol, etwa bei der Schiffstaufe oder bei der ersten Motorwäsche auf der Werft. Ein Schock sei es auch immer wieder, „wenn ein pubertierendes Schiff plötzlich erkennt, sächlichen Geschlechts zu sein“. Nüchtern betrachtet bricht so eine Verteidigungsstrategie dann aber schnell zusammen.

mare No. 93

No. 93August / September 2012

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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