Notizen einer Landratte, 11.

Heute bereitet unser Kolumnist Maik Brandenburg uns vor auf die Herrschaft der Kraken, will unsere Neugier mit der Verwendung des Begriffs „Revolverherz“ kitzeln und denkt nach über Frikassee

Kraken. Die Kraken werden die Macht übernehmen. Nicht die sogenannten Finanzkraken oder die Datenkraken, die nenne ich Scheinkraken. Außerdem haben sie die Macht sowieso schon. Ich meine die echten Kraken, die Octopodiae. Sie werden über zehn Meter groß sein und auf acht Beinen durch die Wälder stampfen. Das wird aussehen, als ob lauter wabblige Häuser auf Pfeilern durch die Gegend rennen. In ungefähr 500 Millionen Jahren ist es so weit.

Das sollte niemanden überraschen, Kraken haben bekanntlich einiges drauf. Eigentlich sind sie ja heute schon der Zeit voraus. Sie können, zum Beispiel, die Fußballergebnisse weissagen. Ich sage nur Krake Paul. Bei der Frauen-Fußball-WM waren sogar mehrere Kraken am Start, die auch nicht schlecht tippten. Bei einem Kraken war übrigens nicht klar, ob es ein Männchen oder Weibchen ist. Bei ganz jungen Oktopoden soll das wohl schwer zu unterscheiden sein. Man kann sagen: Zu Beginn der Frauen-Fußball-WM war die Geschlechterfrage nicht geklärt.

Womöglich sind Kraken ja längst Intelligenzbestien, und ihre größte Leistung besteht darin, uns Menschen an der Nase herumzuführen. Sie liegen unter irgendwelchen Steinen im Meer, stellen sich dumm und warten, bis sich die Menschheit von selbst erledigt hat. Bis das System heißläuft und implodiert, etwa wegen der Frage, ob es „die“ oder „der“ Krake heißt.

In der Zwischenzeit lösen sie Sudoku-Aufgaben. Die Tinte dazu haben sie ja, und das Papier liegt mittlerweile auch überall im Meer herum. Warum sollen sie nicht schreiben können? Wir können es nur nicht lesen, weil sie so krakeln. Spaß muss sein, gell?

Man kann sich auch vorstellen, dass sie die Sudoku-Aufgaben einfach im Kopf lösen. So wie gute Schachspieler ihre Partien im Kopf spielen, indem sie sich die Figuren und Züge und alles nur vorstellen, mit einem Brett vorm Kopf, sozusagen. Es sind Kopffüßer, denken Sie daran. Kraken machen alles mit ihrem Hirn, außer das Gehen, da schwimmen sie meistens. Kein Bauch, kein Bauchgefühl, keine Emotionen. Kraken sind reiner Geist. Jetzt schon. Darum konnten sie auch erkennen, was Frauen wirklich wollen, als erste Lebewesen dieser Erde. Ich will das hier nicht ausführen, ich sage nur: Hokusai, „Der Traum der Perlentaucherin“. Im Schöpfungsmythos der Hawaiianer stammen die Kraken, nebenbei bemerkt, aus einem anderen Universum. Ihr Reich ist nicht von dieser Welt!

Ohne Zweifel. Es gibt neuerdings Spekulationen, dass Kraken neun Gehirne besitzen: Eins ganz oben, das ist das zentrale Hirn. Und dann noch acht in ihren Armen. Ein Hirn im Arm! Es steuert dann die Bewegungen, damit sich die Tentakel nicht verheddern. Das Bein denkt mit. Drei Herzen haben sie obendrein. Was für Möglichkeiten! Man kann einem Kraken praktisch mehrmals das Herz brechen, und der sagt: „So what?“ Haie haben Revolvergebisse, Kraken haben Revolverherzen, alles klar? Außerdem haben sie bereits die Fähigkeiten von Maurern. Wenn es sein muss, mauern sie ihre Höhlen zu. Sie nehmen dazu Kokosnüsse, nachhaltig denken sie also auch schon. Und wenn das Häuschen fertig ist, versammelt sich die ganze Familie vorm Eingang, und der Wunderpus photogenicus macht ein hübsches Bildchen. Gibt es, ist eine Krakenart, googeln Sie doch.

Die Kraken werden die neuen Menschen. Nur viel schlauer. Die BBC hat das dokumentiert. In 500 Millionen Jahren ist es so weit.

500 Millionen Jahre zurück, nur mal so, da gab es zweiarmige Kraken. Ist auch wissenschaftlich belegt. Zweiarmig wie wir Menschen, merken Sie was? Außerdem gehen sie aufrecht, wenn sie gehen, und zwar auf nur zwei Tentakeln. Mir hat es sowieso nie eingeleuchtet, warum uns die Evolution aus Fischen geformt haben soll. Weil wir immer noch Schuppen in den Haaren haben? Ja, haha, war Spaß. Lachen können Kraken sicher auch.

Noch ein paar Fähigkeiten von Kraken: Gewichte heben, Türen, Ventile und Schraubverschlüsse öffnen, durch die Luft fliegen, mit Legosteinen spielen, Beherrschung der Kunst der Traves-tie, tanzen können, eine Weltanschauung haben.

„Gut, gut, ich hab’s ja verstanden“, sagte die Kellnerin, „die Spaghetti al polpo wollen Sie nicht. Wir hätten dann noch Frikassee im Angebot.“

mare No. 88

No. 88Oktober / November 2011

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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