Seit der Antike tragen Schiffe Namen, als seien sie Lebewesen. Der Name erhebt ein Schiff zur Persönlichkeit, mit dem Namen gibt der Namensgeber dem Schiff eine Mission mit auf den Weg durchs Reich der Meere. Mit der Mission eine Idee und mit der Idee eine Ideologie, gern mit einer Prise Poesie: Fortuna, Aurora, Victoria. Was immer die Menschen und Nationen der Welt trennen mag, die Benamung von Schiffen ist ein universaler, über Jahrtausende hinweg gepflegter Brauch, der oft genug ein Politikum ist.
Seit pharaonischen Zeiten geht es um Götterbeschwörung und Machtsymbolik; mit dem Namen des Schiffs ruft sein Besitzer Götter an und Mythen auf, in der personifizierten Identität des Schiffs repräsentiert sich das Selbstverständnis des Eigners. Nomen est omen: Der Name ist Prophezeiung und programmiert immateriellen Geist in das materielle Gerüst. Santa María, Ariadne, Freya: Das Schiff wird durch seinen Namen zu einem missionarischen oder heilsgeschichtlichen Subjekt erhöht, wohingegen Flugzeuge oder Züge trotz Benamung (meist durch Städte oder Länder) persönlichkeitslose Vehikel bleiben.
Weil die Ewigkeit auf Erden letztlich eine geringe Halbwertzeit hat, werden Schiffe umbenannt und ihre Missionen insofern umprogrammiert. Manchmal geschieht dies mitten in einem epochalen Umbruch, dann symbolisiert sich in der amtlichen Umbenennung eines Schiffs die historische Halse. Oder anders: Die Zeitenwende offenbart sich durch die Umbenennung. So geschehen kürzlich in den USA, als ein bemerkenswerter Akt der Umwertung der Werte vollzogen wurde. Im Juni 2025 beschloss die Regierung, ein nach Harvey Milk benanntes Kriegsschiff nicht länger nach Harvey Milk zu benennen. Der Flottentanker, 2016 auf Vorschlag von Ex-Präsident Barack Obama fünf Jahre später „USNS Harvey Milk“ getauft, wurde zu „USNS Oscar V. Peterson“ umbenannt. Ziel war, wie es hieß, das „Kriegerethos zu stärken“. Pentagonsprecher Sean Parnell teilte mit, US-Verteidigungsminister Pete Hegseth setze sich dafür ein, dass Namen militärischer Anlagen „die Geschichte unserer Nation und das Ethos des Kriegers widerspiegeln“.
Zwischen Harvey Milk und Oscar Peterson gab es vermutlich manchen Unterschied, sicher aber einen für die Umbenennung entscheidenden: Milk war offen homosexuell. Mit schwulen Männern, so darf man Hegseth’ Anliegen verstehen, ist eine Kriegerkultur nicht zu machen. Milk war eher Kämpfer als Krieger, eine ganz andere Art Held, als die US-Administration es für ihre MAGA-Ideologie im Sinn hat; derzufolge können und dürfen nur kernige Heteros Amerika great again machen.
1930 im Bundesstaat New York geboren, hatte Milk der US Navy als Taucher gedient, war Oberleutnant im Koreakrieg und Tauchlehrer einer Marinebasis und wurde zu Lebzeiten eine Symbolfigur dessen, was man heute als woke bezeichnen würde. Nach der Entlassung aufgrund seiner Homosexualität engagierte er sich als Bürgerrechtler und wurde 1977 für die Demokraten Stadtrat in San Francisco und am 27. November 1978 von einem radikalen Gegner erschossen. Seither ist Milk eine Ikone für den Kampf um Freiheit, nicht für den Kampf im Krieg.
Oscar Verner Peterson hingegen mag sich weit mehr als Kronzeuge einer militanten Männlichkeit eignen denn ein schwuler Seemann. Als Teilnehmer der Schlacht im westpazifischen Korallenmeer 1942, so berichten die Quellen, ist Peterson schwer verletzt worden. Um seinen Heldenmut zu ehren, war schon einmal ein Schiff nach ihm benannt worden: der 1965 ausgemusterte Zerstörer „Peterson“. Für seine patriotischen Dienste hatte der Kriegsheld im Zweiten Weltkrieg posthum die Medal of Honor erhalten, während Milk 2009 durch Obama posthum die Presidential Medal of Freedom zuerkannt wurde.
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Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft in München und Wien und lebt heute in Hamburg. Er schreibt Romane, Essays und Sachbücher. Zuletzt erschien „Vom Glück, unterwegs zu sein“, eine Philosophie des Reisens. Seit 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
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| Vita | Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft in München und Wien und lebt heute in Hamburg. Er schreibt Romane, Essays und Sachbücher. Zuletzt erschien „Vom Glück, unterwegs zu sein“, eine Philosophie des Reisens. Seit 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. |
| Person | Von Christian Schüle |
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| Vita | Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft in München und Wien und lebt heute in Hamburg. Er schreibt Romane, Essays und Sachbücher. Zuletzt erschien „Vom Glück, unterwegs zu sein“, eine Philosophie des Reisens. Seit 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. |
| Person | Von Christian Schüle |