Nomen est omen

Einem Fischnamen wird der Prozess gemacht. Ein Lehrstück der politischen Korrektheit aus Amerika

In einem Zoologischen Garten in Florida schlendern ein Mann und seine Großmutter zwischen Wasserbecken umher, in denen verschiedene Meerestiere schillern. Der Mann ist Jeffery Swanagan und Direktor des Florida Aquarium. Er nennt der alten Dame die Namen der Fische und gibt ihr hier und da Erläuterungen. An einem Becken kommt er ins Stottern. Darin gleitet ein Zackenbarsch umher, einer der größten Barsche überhaupt – mehr als 400 Kilogramm kann ein Prachtexemplar auf die Waage bringen. Die meiste Zeit hält sich das im Atlantik und Pazifik lebende Tier nahe dem Meeresboden auf, gern bei gesunkenen Wracks, an Steinen oder Riffen. „Das ist, äh, ein großer Barsch“, sagt Swanagan. Der wissenschaftliche Name des Tieres: Epinephelus itajara. Der offizielle Trivialname wäre gewesen: „Jewfish“, „Judenfisch“. Doch Swanagan will seiner jüdischen Großmutter den Namen nicht zumuten.

Wie Swanagan verspürten auch andere Bürger bei dem Namen „Judenfisch“ ein Unwohlsein, das sie meist nicht weiter begründen konnten. Viele hielten den Namen für beleidigend und diskriminierend. Bei dem Komitee für Fischnamen der American Fisheries Society, der im Jahr 1870 gegründeten ehrwürdigen amerikanischen Institution, gingen jahrzehntelang Proteste ein. Andere hielten den Namen für harmlos, nicht zuletzt die Mitglieder des Komitees, die sich einer Änderung des Barschnamens standhaft widersetzten.

Judenfisch“ – ein unschuldiges Wort? Oder ein verwerfliches? Über diese Frage saß das Komitee im Jahr 2000 schließlich zu Gericht, nachdem die Beschwerden nicht abreißen wollten. Und wie in einem schwierigen Indizienprozess mussten die Richter, sieben angesehene Ichthyologen, Fischkundler, aus den USA, Kanada und Mexiko, die Argumente der Verteidigung und der Anklage gegeneinander abwägen.

Als Kronzeugen der Verteidigung treten auf: die Wörterbücher. Kaum ein Schriftwerk, das mehr Unantastbarkeit und Allgemeingültigkeit verheißt. Was also hat das „Oxford English Dictionary“, die große Autorität der englischen Sprache, zum „Jewfish“ zu sagen? Der „Jewfish“ werde erstmals 1697 erwähnt, heißt es da, im damals berühmten Reisebuch eines William Dampier, „A New Voyage Round the World“. Dampier beschrieb darin einen „Jewfish“, der in den Gewässern um Jamaika zu finden war. „Der Judenfisch ist ein sehr guter Fisch und wird meiner Meinung nach von den Engländern so genannt, weil er Schuppen und Flossen hat, also ein sauberer Fisch nach levitischem Recht ist. Die Juden von Jamaika kaufen ihn und essen ihn reichlich … Sein Fleisch ist sehr süß und gewöhnlich fett.“

Auch andere Lexika erklären, unter Berufung auf Dampier, der Fisch verdanke seinen Namen der Eigenschaft, dass er Schuppen und Flossen habe und darum koscher sei. Die Tafeln an den Aquarienbecken wie dem in Florida folgen ebenfalls dieser Herleitung. Das klingt doch alles ganz einleuchtend, finden zunächst auch die Hüter der Fischnamen.

Dann aber tragen die zwei entscheidenden Vertreter der Anklage, der Ichthyologe James W. Atz und sein Kollege Richard G. Gould, ihre Argumente vor. Zuerst stellen sie eine respektlose und doch nahe liegende Frage: Wer in aller Welt war dieser Dampier, auf dessen Aussage sich alle stützen? Ein Fischkundler oder ein Sprachwissenschaftler, ein Historiker vielleicht? Nichts von alledem. William Dampier, der von 1651 bis 1715 lebte, war ein englischer Abenteurer mit Hang zur Piraterie. Er segelte kreuz und quer über den Atlantik, um Kap Hoorn herum und nahm an profitablen Raubzügen unter anderem an der Westküste Südamerikas teil. Zwar gibt es lobende Erwähnungen seiner Navigationsfähigkeiten, auch sei er „ein akkurater Beobachter der Naturgeschichte“ gewesen, heißt es in einem Buch aus dem 19. Jahrhundert. Doch weitere Qualifikationen Dampiers finden Atz und Gould nicht.

Während die beiden Naturwissenschaftler in der Geschichte des umstrittenen Namens graben, stoßen sie auf immer mehr „Judenfische“. Plötzlich wimmelt es geradezu von unterschiedlichen Fischspezies rund um den Globus, die „Judenfisch“ genannt werden. Bei der Zahl 40 hören sie auf zu zählen.


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mare No. 46

No. 46Oktober / November 2004

Von Judith Reker

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