Niemals mit der Stahlklinge!

Die vornehme Geschichte des Fischbestecks

Dem Fisch ist es egal, wie man ihn isst; er ist tot. Für alle anderen gibt es besondere Regeln für den Umgang mit dem Tier auf dem Teller – und ein spezielles Esswerkzeug: das Fischbesteck. Dabei ist die Genese von Fischmesser und Fischgabel – bis heute Zier herrschaftlicher wie bürgerlicher Tafeln und sicherer Stolperstein für Unwissende – kaum mehr als ein besteckgeschichtlicher Zufall. 1815, bei einer der vielen Veranstaltungen des Wiener Kongresses, werden erstmals Spezialmesser zum Zerlegen von Fisch bei Tisch aufgelegt – um anschließend in Vergessenheit zu geraten.

Seine Existenz verdankt das traditionell aus Silber angefertigte Fischbesteck dem Umstand, dass der säurehaltige Fischsaft den Stahl rosten lässt, aus dem im 19. Jahrhundert Messerklingen hergestellt werden. Der hohe Kohlenstoffanteil des Messerstahls löst eine unerwünschte chemische Reaktion zwischen Fisch und Besteck aus, was „einen widerwärtigen Geschmack“ verursacht, wie das Benimmbuch „Manners and Tone of Good Society“ (London 1911) urteilt, und Fisch „teils unlecker, teils auch ungenießbar“ macht, wie es bei „Der gute Ton in allen Lebenslagen“ (Leipzig 1921) heißt. Stellvertretend für Generationen von Benimm-Autoren warnt Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem 1889 die Leser ihres „Katechismus des guten Tons und der feinen Sitte“: „Man berühre Fisch niemals mit der Stahlklinge!“

Die gelungene Liaison zwischen Silber und Fisch ist der Zartheit des Fischs geschuldet, denn eigentlich taugt Silber nicht, um Klingen einen wirklich scharfen Schliff zu geben. Doch die Faserstruktur von Fisch ist – frisch gebraten, gekocht oder gegrillt – so nachgiebig, dass er nicht geschnitten werden muss, sondern eher gehoben und zerhebelt wird. So kommt es, dass Fischmesser, egal aus welchem Material, bis heute eine stumpfe Klinge haben.

„Die Klinge braucht nicht lang zu sein, um in den Fisch einzudringen und Fleisch vom Rückgrat abzulösen“, weist Besteckhistoriker Henry Petroski den Weg zum Filet, ist sie „doch scharf genug, um Kopf und Schwanz abzutrennen und entlang dem Rückgrat ein Stück abzuschneiden. Aber eine Klinge, die breiter ist als normal, verhindert wirkungsvoll, dass der Fisch zerfällt und an den Gräten hängenbleibt.“

Die eigentümliche Form des Fischmessers „wie ein Krummsäbel mit eingekerbtem Rücken“ (Petroski) dient vor allem der Unterscheidbarkeit gegenüber anderen Tischmessern. In der typischen Kerbe nahe der Messerspitze erkennt der Forscher das Überbleibsel eines Zinkens der gewöhnlichen Gabel, die die Aufgabe des Fischmessers „notgedrungen vorher ausgeführt hat“. Doch das gilt nicht für jeden Fisch: Alles, was Flossen hat und sauer eingelegt wurde, wird mit normalem Besteck geschnitten, Geräuchertes wie Aal, Forelle, Lachs ebenfalls. Für den Umgang mit Austern, Hummer und Krebsen gibt es Ausnahmeregeln – und spezielle Werkzeuge.

Dem einfachen Volk wird das noch im 19. Jahrhundert egal gewesen sein, denn Fisch war Luxus – von der Küste einmal abgesehen, wo man Hering und Scholle briet und traditionell mit der Hand in den Mund beförderte.

Vom Faustkeil bis zum Fischbesteck war es ein weiter Weg: Mit Muschelöffnern aus Feuerstein brachen die steinzeitlichen Bewohner der Atlantikküste Austernschalen auf und schnitten mit den gezahnten Schneiden den Schließmuskel der Muschel durch. Gegessen wurde mit den Fingern. Tischmesser gibt es seit den Griechen der mykenischen Epoche, bei den Römern sogar Teller.

Im Mittelalter gerät solches Gerät – inklusive dem erst im 15. Jahrhundert wieder eingeführten Tisch – in Vergessenheit: Bis zur Renaissance führt die Oberschicht Speisen mit den Fingern zum Mund, während das Volk mit dem Holzlöffel isst – vor allem Brei. Die sogenannten guten Tischmanieren, eine späte Errungenschaft der menschlichen Kultur, gingen von Italien aus – mit Händewaschen, Gabel und dem Verbot, über heisse Gerichte zu pusten. Bis dahin waren Gelage üblich, wie Franz de Rontzier sie 1598 in seinem „Kunstbuch von mancherley Essen“ beschreibt: Man fülle ein gebratenes Spanferkel mit lebenden Aalen, und wenn ein jeder davon gegessen habe, schneide man es auseinander, „so lauffen die Ahlen auffm tische herumb und solche ist eine schöne lust fürs frawenzimmer“.

Mit der Renaissance kommt auch der Warenaustausch mit den Ländern des Mittelmeers und des Orients in Schwung. Fastengebote fallen, und für die Reichen gibt es neuartige Nahrungsmittel wie Meeresfische. Löffel, Messer und Gabel für die Gäste aufzulegen wird im 17. Jahrhundert beim Adel üblich, im Bürgertum Ende des 18. Jahrhunderts. Bis dahin bringt jeder sein Essgerät, in ein Lederetui an Gürtel oder Tasche gesteckt, selbst mit.

Verbesserte Kühl- und Konservierungsmethoden und schnellere Transportwege bewirken in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen bisher unbekannten Grad an Verfügbarkeit zuvor exotischer Lebensmittel. „Der sich besonders in den Städten etablierende Mittelstand entdeckte die Tafel als Statussymbol“, so der Silberforscher Reinhard Sänger, „und zelebrierte mit immer vielfältiger werdendem Spezialgerät die Nahrungsaufnahme.“


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mare No. 17

No. 17Dezember 1999 / Januar 2000

Von Stefan Gerhard

Stefan Gerhard, Jahrgang 1965, ist Politologe und Theaterwissenschaftler. Er lebt als freier Autor in Berlin. In Heft Nr. 5 schrieb er über die Mythen der Seefahrt: „Was treibt den Mann auf’s Meer?“

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Vita Stefan Gerhard, Jahrgang 1965, ist Politologe und Theaterwissenschaftler. Er lebt als freier Autor in Berlin. In Heft Nr. 5 schrieb er über die Mythen der Seefahrt: „Was treibt den Mann auf’s Meer?“
Person Von Stefan Gerhard
Vita Stefan Gerhard, Jahrgang 1965, ist Politologe und Theaterwissenschaftler. Er lebt als freier Autor in Berlin. In Heft Nr. 5 schrieb er über die Mythen der Seefahrt: „Was treibt den Mann auf’s Meer?“
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