Nicht immer nur Elfen

Das Bild der elfengläubigen Isländer verzerrt die Erzähltradition des Insellands. Sie ist weit reicher, als das Klischee suggeriert

Island ist schon seit dem 19. Jahrhundert eines der Sehnsuchtsländer der Deutschen. In dieser langen Zeit unserer Islandfaszination haben sich manche Vorstellungen über die Insel fest eingebürgert. Dazu gehören der Vulkanismus und die Gletscher Islands, aber auch Ideen über Elemente der isländischen Kultur. Hier hat sich vor allem ein Klischee fest etabliert: Island als Land der Elfen.

Die isländischen Elfen sind in Deutschland im Buchhandel ebenso präsent wie im Fernsehen. Sucht man nach Islandliteratur, ist „Elfen“ einer der Begriffe, die in den Titeln des deutschen Buchhandels am häufigsten mit Island verbunden werden: Elfen seien hier zu Hause. Sie sind ein fester Teil der Bevölkerung des Landes, sie sind zu besuchen und werden den Leserinnen und Lesern von einer langen Reihe von Reiseberichten, Führern und Geschichtensammlungen nahegebracht.

Ein ganz ähnliches Bild zeichnet das Fernsehen. Die ARD verfilmte in ihrer Reihe „Der Island-Krimi“ erst vor wenigen Jahren den „Tod der Elfenfrau“: In diesem Film wird die „Elfenbeauftragte“ des Landes ermordet. In der deutschen Wahrnehmung scheint die Insel im Nordatlantik vor allem ein Land zu sein, dessen Einwohner an Elfen glauben.

Tatsächlich ist es auch nicht falsch, dass Elfen einen festen Platz in der isländischen Kulturgeschichte haben. Schon in der mittelalterlichen Literatur der Insel sind álfar, Elfen, in der Mythologie fest etabliert. Die Prosaedda des Snorri Sturluson (1179–1241) unterscheidet etwa „Lichtelfen“ und „Dunkelelfen“, und in mythologischen Gedichten wurden die Elfen oft in die unmittelbare Nähe der Asen gerückt, der alten Götter.

Von hier hat J. R. R. Tolkien einen guten Teil der Inspiration für die Elfen seines „Herrn der Ringe“ bezogen. Trotz ihres vorchristlichen Erbes überstanden die isländischen Elfen auch die Konversion zum Christentum. Im Lauf der Jahrhunderte wurden sie dabei christlich umgedeutet: Eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert erzählt, dass einmal Gott bei Adam und Eva zu Besuch war. Eva hatte jedoch nicht genug Zeit, um alle ihre Kinder zu waschen, und daher versteckte sie einige von ihnen, weil sie noch schmutzig waren. Gott ließ sich aber nicht täuschen, und als Strafe für Evas Verhalten verfügte er, dass so, wie er diese Kinder nicht sehen konnte, niemand sie sehen können sollte.

Von da an sollten sie als das huldufólk leben, das „verborgene Volk“, als Elfen. So existieren sie nun unsichtbar in den Felsen und Hügeln Islands und begegnen nur dann und wann einmal einem Menschen.

Die Elfen sind also tatsächlich ein Teil des isländischen Kulturerbes. Aber sie dominieren es längst nicht so, wie das heutige Klischee es suggeriert. Ein Beispiel etwa ist der Hof Kirkjuból am Steingrímsfjord, eine frühere Schafzucht. Gibt es hier einen Hügel, der von Elfen bewohnt wird? Nein. Gibt es Geschichten? Reichlich, aber nicht über Elfen.

So gibt es am Küstenstreifen, der zum Land des Hofs gehört, eine Klippe namens Lákaklettur, „Lákis Klippe“. Diese Klippe ist der Ort, wo ein gewisser Láki gehängt worden sein soll. Dieser Láki war ein Habenichts, der mehrfach beim Diebstahl ertappt worden war und dafür am Strick starb. Kein Platz für Elfen also, aber wohl für einen Galgen.

Und tatsächlich prägt gerade dies das Land wesentlich mit: das Erzählen über Armut, soziale Ungerechtigkeit und das harte Leben der Vergangenheit. Immer wieder wird in Sagen und Legenden ausgemalt, welche Folgen es hat, wenn Reiche sich weigern, Armen zu helfen. Auf dem Land von Kirkjuból – demselben Kirkjuból, wo Lákis Galgen stand – gibt es ein besonders explizites Beispiel für solche Legenden, die soziale Gerechtigkeit einfordern. Kirkjuból liegt direkt an der Küste des Stein- grímsfjords, weit im Nordwesten der Insel. Ein Stück von der Küste entfernt im Fjord liegt eine kleine Schäre namens Sesselja. Bei Flut wird diese Schäre von den Wellen des Nordmeers überspült, aber bei Ebbe ist sie von der Küste aus gut zu sehen.

Diese Schäre, so erzählt die Sage, ist nach einer armen jungen Frau benannt, die das Unglück hatte, schwanger und vom Vater des Kindes im Stich gelassen zu werden. Nun hatten die Gemeindevorsteher im alten Island grundsätzlich die Verpflichtung, in solchen Fällen für in Not Geratene zu sorgen. Der Gemeindevor- steher auf Kirkjuból und der Gemeindevorsteher auf der gegenüberliegenden Seite des Fjords wurden sich jedoch nicht darüber einig, wer für die junge Frau zuständig war. So blieb sie eine Weile auf der Nordseite des Fjords. Der dortige Gemeindevorsteher wollte die Schwangere aber unbedingt loswerden, ungeachtet dessen, dass der Gemeindevorsteher von Kirkjuból sich weigerte, sie in seine Obhut zu nehmen.


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mare No. 136

No. 136Oktober / November 2019

Von Matthias Egeler

Matthias Egeler lehrt am Institut für Nordische Philologie und im Interfakultären Studiengang Religionswissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Heisenberg-Stelle innehat. 2019 verbrachte er sechs Monate als Gastforscher am Volkskundlichen Forschungszentrum in Hólmavík in Islands Westfjorden.

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Vita Matthias Egeler lehrt am Institut für Nordische Philologie und im Interfakultären Studiengang Religionswissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Heisenberg-Stelle innehat. 2019 verbrachte er sechs Monate als Gastforscher am Volkskundlichen Forschungszentrum in Hólmavík in Islands Westfjorden.
Person Von Matthias Egeler
Vita Matthias Egeler lehrt am Institut für Nordische Philologie und im Interfakultären Studiengang Religionswissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Heisenberg-Stelle innehat. 2019 verbrachte er sechs Monate als Gastforscher am Volkskundlichen Forschungszentrum in Hólmavík in Islands Westfjorden.
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