Nestzocker

Die Nester, die ein asiatischer Seevogel aus seinem Speichel baut, sind in Fernost eine kaum bezahlbare Delikatesse. Den mare-Reporter ließ die Kostprobe unbeeindruckt

Den Namen der Insel verrät Samaan Chamnina nicht. „Irgendwo im Süden Thailands, bei Chumpon.“ Dabei ist sein Geschäft legal. Konkreter will er trotzdem nicht werden. „Es gab schon Überfälle“, sagt der 53-Jährige. Darum: „Sag einfach ‚Schatzinsel‘.“

Das ist nicht übertrieben. Der Reichtum der Insel könnte gut in Gold aufgewogen werden. Und wie es sich für Schätze gehört, sind sie in Höhlen versteckt. Nur funkeln sie nicht. Es handelt sich um unscheinbare Vogelnester. Dafür hat Samaan sein Leben riskiert.

Am Morgen war er mit neun anderen in eine der Höhlen am Meer gefahren. Ihr Eingang lag knapp oberhalb des Wassers, mit einem Boot trieben sie hindurch. Vorm Loch standen ein paar Männer einer Sicherheitsfirma mit Maschinenpistolen. Einige leben ständig auf der Insel, wer sie betreten will, muss an ihnen vorbei.

In der Höhle steckte sich Samaan ein koffeingesättigtes Getränk zum Wachwerden in ein kleines Hüfttuch. Dann rieb er sich mit Kalkpuder ein und hängte den Korb um. Er griff sich die „Kralle“ und stieg auf. Sein Weg betrug rund 150 Meter, auf einem Bambusgestell, das lediglich von Hanffasern zusammengehalten wird.

Das Geflecht steht im Inneren der Höhle, es sieht aus wie ein großes, aufgerichtetes Mikadospiel. Kleine Auswüchse am Bambus nutzte Samaan als Steighilfen. Erst als er an seinem Ziel angelangt war, hakte er ein kleines Sicherungsseil an den Bambus. Dann begann er mit der Arbeit.

Er ist Sammler der Vogelnester. Die Lizenzen versteigert der Staat alle fünf Jahre. „Meine Firma hat 850 Millionen Baht dafür gezahlt“, sagt Sun Ninsamut, der Chef der zehn Sammler. Das sind 17 Millionen Euro. Ein paar Höhlen sind in der Lizenz enthalten, der Gewinn wird am Ende das Zehnfache betragen. Grund sind die immensen Preise: Etwa 2000 Dollar kostet ein Kilogramm dieser Nester auf dem Markt in Bangkok.

Samaan machte sich ganz lang. Unter ihm war nur Schwärze, er sah den Boden nicht und auch nicht seine Kollegen. Mit der Kralle, einem hölzernen Dreizack, pickte er die Nester von der Höhlenwand. Ihre Besitzer sind asiatische Mauersegler. Sie, spatzengroß, lieben es feucht, dunkel und still. Einen Monat etwa brauchen sie für den Nestbau. Sind die Nester weg, bauen sie neue.

Es ist noch früh im Jahr. Darum wusste Samaan, dass die Nester leer sind. Und dass es sich um die beste Qualität handelt, die „weißen Nester“. Sie sind noch nicht verunreinigt durch Federn und den Kot der Vögel. Sie sind reiner Speichel. Aus einer Drüse presst der Vogel die Spucke heraus. Bevor sie an der Luft erhärtet, hat sie der Mauersegler zu dem etwa espressotassengroßen Nest verwebt. Zu einem exquisiten Spucknapf, für den Gourmets in ganz Ost- und Südostasien je nach Gericht zwischen 30 und 100 Euro zahlen.

Nach fünf Stunden Sammeln trank Samaan die Flasche mit dem Muntermacher. Er fühlte sich müde, aber Einschlafen wäre tödlich – das schmale Bambusgestell ist kein sicherer Schlafplatz. Er wäre nicht der Erste, der fällt. Gesund ist das Nest nur für die, die es essen. In Brühe gekocht, gilt es als lebensverlängernd, potenzsteigernd, hautverjüngend und hilft bei diversen Malaisen in den Wechseljahren. Wo so viel Segensreiches zusammenkommt, ist es erstaunlich, dass die Natur nicht auch noch Geschmack ins Nest packte. Denn der glibbrige „Kaviar des Ostens“ schmeckt nach nichts. Die Suppe wird darum mit Krebsfleisch, Schinken oder roten Bohnen aufgepeppt. Auch als Nachtisch mit Kandiszucker kommt ein Nest auf den Tisch.

Nach acht Stunden stieg Samaan wieder hinab, ungefähr eine Stunde brauchte er dafür. Sein Korb war prall voll. Die Sammler stiegen ins Boot, gegen Abend erreichten sie das Festland. Ein gepanzerter Wagen wartete dort und nahm auf, was die Sammler in der ganzen Woche zusammengebracht hatten, rund eine Tonne Vogelnester. Ein paar Wachmänner stiegen ein, verriegelten die Türen von innen. Erst in Bangkok, beim Händler, wurde der Wagen wieder geöffnet. Von dort ging die Ware nach Yaowarat, dem Chinesenviertel von Bangkok. Etwa in das Restaurant „Nam Sing“, das neben rund 50 Vogelnestgerichten auch Haifischflossensuppe auf der Karte führt.

Für Samaan beginnt am nächsten Morgen ein neuer Aufstieg. Sein Verdienst im Monat beträgt 100 Euro. Zum Abendessen gibt es Reis mit Fisch, wie immer.

Vogelnestdessert

Zutaten und Zubereitung 
(für zwei Personen)
Zwei Nester (zu beziehen etwa über www.ystnest.com.sg; 100 Gramm ab 150 Euro) über Nacht in Wasser einweichen, gut abspülen, 5 Minuten köcheln lassen, dann Wasser abgießen. Nest in Topf geben und zwei Tassen Wasser darübergießen, erneut 5 Minuten kochen. Etwa fünf Stück Kandis darübergeben und umrühren. In Schüsseln heiß servieren.

Restaurant „Nam Sing“
39–47 Soi Texas Phadungdao Road, Yaowarat, Bangkok, Tel. +66 (2) 226292. Täglich von 9 Uhr bis 2 Uhr nachts geöffnet

mare No. 79

No. 79April / Mai 2010

Von Maik Brandenburg und Agnès Dherbeys

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Die französische Fotografin Agnes Dherbeys, Jahrgang 1977, lebte 12 Jahren in Bangkok bevor sie nach Paris zurückkehrte. Ihre Karriere begann in Thailand.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

Die französische Fotografin Agnes Dherbeys, Jahrgang 1977, lebte 12 Jahren in Bangkok bevor sie nach Paris zurückkehrte. Ihre Karriere begann in Thailand.
Person Von Maik Brandenburg und Agnès Dherbeys
Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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