Neptuns giftige Gesellen

Der Weiße Hai ist harmlos im Vergleich zu den winzigen Meeresbewohnern, die sich mit biologischen Kampfstoffen zur Wehr setzen. Schon der kleinste Stich ist tödlich

Die Meere strotzen bekannt- lich vor Waffenträgern, doch die meisten tragen keine Hoheitszeichen. Lange vor dem Kampf der Systeme hat die Evolution auf ihre Weise für eine marine Hochrüstung gesorgt – und auf nichts legte sie mehr Wert als auf ihre chemische Kampfkraft.

Ihr Arsenal scheint unbegrenzt, zahlenmäßig wie geografisch. Giftzangenseeigel treiben ihre Stacheln in unbesohlte Füße, im Flachwasser versteckte Steinfische ahnden jeden falschen Tritt mit Kreislaufzusammenbrüchen, an alten Autoreifen haftende Anemonen sorgen auf nackter Haut für lebensbedrohliche Blasen. Korallen, Schwämme, Muscheln, Schnecken – beinahe jede Gattung hat ihre toxischen Vertreter.

Man muss dafür nicht in tropische Gefilde. Die Stacheln im Sand versteckter Petermännchen der Nord- oder Ostsee können zu Bewusstlosigkeiten und tagelangen Schmerzen führen. Dass Feuerquallen brennen, weiß inzwischen jedes Kind; dass allerdings auch unter Zandern oder Doraden echte Giftspritzen umgehen, dürfte überraschen. Die Basis der submarinen Armada allerdings liegt woanders.

Am Great Barrier Reef, einem der artenreichsten Reviere, hat das Meer seine schlagkräftigsten Einheiten stationiert: Nirgendwo scheint die Natur paradiesischer. Nirgendwo auch ist die maritime Fauna derart tödlich. Ihre berüchtigtsten Waffenträger sind die Quallen, die martialischste unter ihnen ist die Seewespe.

Wenn sie wenigstens summen würde. Doch nicht allein, dass sie sich hinter einem irreführenden Namen verbirgt – auch wer ihr aus dem Weg will, ist vor ihr längst nicht gefeit. Im Wasser verwischt ihre gallertartige Gestalt mit der Umgebung, man schwimmt leicht in sie hinein.

Wehe dem. Es reicht eine leichte Berührung mit einer der meterlangen Tentakel, von denen jede mit Tausenden Giftzellen bestückt ist. Wer einen derartigen Kontakt überlebte, berichtet von unsäglichen Schmerzen. Schon dieser Schock kann zur Bewusstlosigkeit führen – noch bevor das Gift die Atmung lähmt oder das Herz versagen lässt, stirbt ihr Opfer durch Ertrinken. Wer es ins rettende Hospital schafft, kann auf ein Antiserum hoffen.

Ebenso gefährlich scheint die Irukandji, die es in der Medizin zu einem eigenen Syndrom geschafft hat. Dessen Merkmale: Der Kontakt mit der erdnussgroßen Qualle bleibt anfangs unbemerkt; erst später künden schwere Muskelkrämpfe, rasender Schmerz und ein explodierender Puls von der Begegnung mit der „Mörderqualle“. An die 100 Menschen jährlich überleben die Begegnungen mit der Seewespe oder der Irukandji nicht.

Sogar eine Art Schlachtschiff gehört zur Waffenkammer des Meeres. Eigentlich fehlt der Portugiesischen Galeere nur der Totenkopf im Topp, um sie auch weithin sichtbar als das auszuweisen, was sie ist: eine Gefahr für Leib und Leben.

Das auch Staatsqualle genannte Tier ist eigentlich keins. Sondern mehrere. Jeder einzelne Polyp ist auf bestimmte Aufgaben spezialisiert, mittels einer gasgefüllten Blase treibt die Galeere über die Ozeane. Ihre dicken, nesselbesetzten Tentakel, Fangarmen gleich, peitschen über die Körper der Opfer, brennen sich auf ewig in die Haut. Im besten Fall ist man von ihnen ein Leben lang tätowiert. Im schlimmsten Fall dauert dieses Leben nur noch ein paar Stunden. Selbst an den Strand gespülte Reste sind nicht entschärft: Wie Minen explodieren sie unter dem Tritt der Arglosen, die Nesseln bohren sich selbst durch dünne Kleidung.


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mare No. 50

No. 50Juni / Juli 2005

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Politik und Gesellschaft. Seine letzte Begegnung mit einer Seeschlange hatte er am Kochtopf eines indonesischen Restaurants.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Politik und Gesellschaft. Seine letzte Begegnung mit einer Seeschlange hatte er am Kochtopf eines indonesischen Restaurants.
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