Neptuns Gärtner

Ein Muschelfischer in der holländischen Oosterschelde wird erst arbeits­los, dann besinnt er sich auf das buchstäblich Naheliegende: Er erntet Meeres­algen, die er an Spitzenköche in den Niederlanden ­verkauft. Nun ist sein Name in aller Gourmets Munde

Seit anderthalb Jahren ist Jan Kruijsse aus dem Fischerdorf Yerseke im westholländischen Meeresarm Oosterschelde der Einzige in den Niederlanden, der eine Genehmigung zum Ernten wild wachsender Algen besitzt. Kruijsse schneidet das ganze Jahr über, auch bei Windstärke acht oder mitten im Winter. Manchmal, wenn es bitterkalt ist, trägt er Handschuhe. „Aber das ist eher ein Nachteil, weil man nicht genau spürt, an welcher Stelle man schneiden muss.“

Die Gezeiten bestimmen, wann er morgens aufstehen muss. Letzte Woche bedeutete „morgens“: um halb zehn; denn da war Ebbe. Diese Woche muss er Viertel vor sechs anfangen.

Der einzige Wildalgenschneider des Landes – er ist Mitte fünfzig – muss sich mit dem begnügen, was die Natur für ihn bereithält. Riementang, bekannt als Meeresspaghetti (Himanthalia elongata), etwa. Meistens findet man davon nur ein paar Fäden. „Wenn ein Koch ein Kilo davon be- stellt, dann hab ich ein echtes Problem.“

Nordwestwinde drücken den Tang an die Küste. Bei Sturm aus dem Westen kann alles auf einen Schlag weggerissen werden. Er hofft jeden Tag, dass ein südöstlicher Wind weht.

 

 

Bevor Kruijsse Meeresalgenschneider wurde, war er sein halbes Leben lang Fischer. „Als ich ein kleiner Junge war, habe ich mich den ganzen Tag am Wasser herumgetrieben. Und als ich 18 wurde, bin ich zur See gefahren. Das ist bei uns das Normalste von der Welt, das steckt in jedem drin. Aber nachdem ich 24 Jahre in der Oosterschelde und im Wattenmeer nach Herzmuscheln gefischt hatte, war es damit vorbei. Die Regierung hat bestimmt, dass nicht mehr mechanisch nach Herzmuscheln gefischt werden durfte. Es wurden nur noch zehn Genehmigungen zum Muschelfang per Hand ausgegeben. Und ich war nicht dabei.“

Just zu diesem Zeitpunkt schlug ihm sein Onkel vor, dessen Betrieb zu übernehmen, in dem Knotentang (Ascophyllum nodosum) für den Austernhandel geschnitten wurde. Dort werden sie zur Polsterung für den Transport gebraucht. Damit schien der Fischer eine neue Zukunft gefunden zu haben. „Bis ich auf einer Börse einen japanischen Stand sah, an dem alle möglichen Sorten von Algen verkauft wurden. An meinem Stand gab es nur Knotentang, und ich dachte mir: Warum verkaufen wir eigentlich nicht mehr Sorten?“

Jan Kruijsse erlangte bei der Provinz Zeeland die Genehmigung, essbare Meeresalgen zu schneiden und damit zu handeln. Dafür musste er nachweisen, dass die Lebensmittelsicherheit gewährleistet sein würde. „Die Analysen ergaben, dass die Oosterschelde wegen ihres A-Status als Naturreservat unglaublich sauber ist. Danach habe ich den Schritt gewagt und wurde darin bestärkt, als sich Sterneköche aus der Gegend wie Edwin Vinke und später auch Sergio Herman äußerst interessiert zeigten, die Meeresalgen in ihrer Küche zu verwenden.“

So hat alles angefangen. Nachdem er alle verfügbaren Informationen gesammelt hat, ist Kruijsse zu einem Kenner der in der Oosterschelde vorkommenden grünen, braunen und roten Makroalgen geworden, deren jede ihre eigenen Eigenschaften besitzt. Je tiefer und kälter, desto schneller wächst Wakame. Für Meersalat (Ulva lactuca) gilt: Je mehr Sonnenlicht, desto schneller wächst diese Algenart. Bei schönem Wetter kann sie an die zehn bis zwölf Zentimeter am Tag wachsen.

„In der Oosterschelde findet man bis zu 150 Arten von Meeresalgen, und fast alle von ihnen sind essbar. Das wissen auch andere, und doch wird relativ wenig illegal geschnitten und gepflückt. Das kommt daher, dass die Algen überall und nirgends sein können. Das hängt weitgehend vom Wetter und der Strömung ab. Die Verbreitung über die Sporen richtet sich nach den Gezeiten.“

Aus dem Niederländischen von Andreas Gressmann


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mare No. 109

No. 109April / Mai 2015

Von Ellen Scholtens und Jan Luijk

Ellen Scholtens, Jahrgang 1961, lebt als freie Journalistin in Rotterdam und schreibt über Essen, Wein und Reisen. Außerdem organisiert sie Gastroveranstaltungen wie das Rotterdamer World Food Festival oder das Kunsthal Cooking.

Jan Luijk, Jahrgang 1959, ist freier Foodfotograf mit Sitz in Rotterdam. Er publiziert weltweit. Seine Bilderserie über die Meeresalgen ist dort entstanden, wo er geboren ist, in der Provinz Zeeland. „Wo vieles noch unberührt ist und das Wasser der Oosterschelde so wunderbare Dinge schenkt wie diese Meeresalgen.“

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Vita Ellen Scholtens, Jahrgang 1961, lebt als freie Journalistin in Rotterdam und schreibt über Essen, Wein und Reisen. Außerdem organisiert sie Gastroveranstaltungen wie das Rotterdamer World Food Festival oder das Kunsthal Cooking.

Jan Luijk, Jahrgang 1959, ist freier Foodfotograf mit Sitz in Rotterdam. Er publiziert weltweit. Seine Bilderserie über die Meeresalgen ist dort entstanden, wo er geboren ist, in der Provinz Zeeland. „Wo vieles noch unberührt ist und das Wasser der Oosterschelde so wunderbare Dinge schenkt wie diese Meeresalgen.“
Person Von Ellen Scholtens und Jan Luijk
Vita Ellen Scholtens, Jahrgang 1961, lebt als freie Journalistin in Rotterdam und schreibt über Essen, Wein und Reisen. Außerdem organisiert sie Gastroveranstaltungen wie das Rotterdamer World Food Festival oder das Kunsthal Cooking.

Jan Luijk, Jahrgang 1959, ist freier Foodfotograf mit Sitz in Rotterdam. Er publiziert weltweit. Seine Bilderserie über die Meeresalgen ist dort entstanden, wo er geboren ist, in der Provinz Zeeland. „Wo vieles noch unberührt ist und das Wasser der Oosterschelde so wunderbare Dinge schenkt wie diese Meeresalgen.“
Person Von Ellen Scholtens und Jan Luijk