Nachtschwärmer

Nachts im Meer steht das Leben nicht still. Viele Bewohner der Ozeane trauen sich dann erst aus ihren Verstecken und gehen auf Jagd, manche warten auf die Dunkelheit, um sich zu paaren. Nur: Wie kommen sie zurecht, wenn kein Licht ihnen den Weg weist?

Viele Haie tun es, fast alle Tintenfische, auch Hummer und sogar die behäbigen See-Elefanten: Sie jagen nachts. Der Weißspitzenriffhai etwa durchstöbert nachts die Riffe tropischer Meere. Er hat eine feine Nase und riecht seine Opfer. Außerdem leitet ihn ein elektrischer Sinn: Rund um die Schnau ze sitzen kleine, mit Gel gefüllte Kanälchen, die schwache elektrische Impulse wahrnehmen. Mit diesen Lorenzinischen Ampullen erspürt er sogar die Flossenschläge von Fischen.

Tagsüber sind jene Tiere auf Jagd, die sich mit den Augen orientieren. Sie picken Nahrung vom Boden, weiden Algen ab oder jagen im Rekordtempo andere. Rund ein Drittel aller Fischarten aber ist im Stockdunkeln oder in der Dämmerung unterwegs, schätzen Experten. Und da es an Licht fehlt, haben die nachtaktiven Tiere Tricks entwickelt – für die Jagd, die Fortpflanzung und zur Verteidigung.

Die gefräßigsten Räuber, die nachts ihren Opfern nachstellen, sind eine Tiergruppe, von der man es am wenigsten erwarten würde: die Steinkorallen, jene reglosen Organismen, die mal fein verästelt, mal wulstig wie Blumenkohl am Meeresboden ruhen. Korallen sind Nesseltiere, die in Symbiose mit pflanzlichen Einzellern leben. Diese Einzeller, die Zooxanthellen, sitzen im Gewebe der Korallen. Sie sind grün-bräunlich gefärbt und können Fotosynthese betreiben. Sie sind es, die den Korallen ihre Farbe geben und sie mit Zucker versorgen, wofür sie von den Korallen im Gegenzug Nährstoffe erhalten.

Tagsüber, wenn in den Zooxanthellen die Fotosynthese auf Hochtouren läuft, ruhen die Korallen. Mit der Dämmerung aber erwachen sie. „Wie winzige Seeanemonen fahren sie ihre kleinen Tentakel mit den Nesselkapseln aus“, erzählt Christian Wild, Korallenriffexperte an der Universität Bremen. Darin verfangen sich Kleinkrebse oder Fischlarven, die nachts aus der Tiefe aufsteigen. Manche Korallen, so Wild, sondern sogar einen Schleim ab, mit dem sie jene Beute einfangen, die sie nicht mit ihren Tentakeln erwischen konnten.

Auch sonst steht nachts in den Korallenriffen das große Fressen an. Wobei dem großen Fressen stets ein Moment der Ruhe vorausgeht. Kurz vor Sonnenuntergang erstirbt das Getümmel des Tages. Meeresbiologen sprechen von der „stillen Periode“. Jene Fische, die tagsüber das Riff bevölkern, ziehen sich eilends in Höhlen, Nischen oder unter Vorsprünge zurück. Der Grund: Ihre Augen sind perfekt an helles Sonnenlicht angepasst, im Halbdunkel aber sind die meisten von ihnen sehschwach. Sicherer ist es zu verschwinden, denn während der „stillen Periode“ sind einige wenige Spezialisten unterwegs, die im Zwielicht gestochen scharf sehen – Makrelen oder Zackenbarsche. Sie schnappen all die Trödler weg, die nicht rechtzeitig Schutz gesucht haben.

Die Zeit der Dämmerungsspezialisten währt nur etwa eine halbe Stunde. Sobald es völlig dunkel ist, beginnt im Riff die Nachtschicht – für die Großaugenbarsche, deren Augen eine reflektierende Schicht besitzen, die wie ein Restlichtverstärker wirkt, oder für die Muränen und Haie, die immer der Nase nach auf Raubzug gehen. Der Vorteil der Nachtjagd besteht im Energiesparen. Ein Angriff am Tag gipfelt oft in einer anstrengenden Verfolgungsjagd, die den Angreifer viel Kraft kostet. Im Dunkeln reicht, wenn es gut läuft, ein gezielter Biss, um das Opfer aus seinem Versteck zu zerren.

Für viele Meerestiere ist die Nacht auch die Zeit der Vermehrung. Eines der wohl faszinierendsten Fortpflanzungsschauspiele liefern einmal mehr die Korallen. Zwei bis drei Stunden nach Sonnenuntergang geben die vielen Millionen kleinen Nesseltiere, wie von einem Zauber befohlen, gleichzeitig ihre Eier und ihr Sperma ins Wasser ab. „Es ist wie ein zarter rosafarbener Regen, der verkehrt herum vom Riff langsam zur Wasseroberfläche aufsteigt. Die Eier werden im Wasser vom Sperma befruchtet. Darin entwickeln sich in wenigen Tagen die kleinen Larven“, erzählt Meeresbiologin Sonia Bejarano vom Bremer Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT), die das einstündige Massenlaichen in den Korallenriffen des pazifischen Inselstaats Palau beobachtet hat. Der Grund für das nächtliche Laichen liegt auf der Hand: Nachts sind die Eier so gut wie unsichtbar. Wie die Korallen das Massenlaichen koordinieren, ist jedoch unklar. Bejarano: „Wir wissen, dass es jedes Jahr zur selben Zeit stattfindet, in einer Nacht Anfang Oktober, eine gewisse Zeit nach Vollmond. Doch der Rest ist offen.“

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 131. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 131

No. 131Dezember 2018 / Januar 2019

Von Tim Schröder

Tim Schröder, Jahrgang 1970, Autor in Oldenburg, geht nachts nicht so gern im Meer baden. Ihm ist dann einfach zu viel los.

Mehr Informationen
Vita Tim Schröder, Jahrgang 1970, Autor in Oldenburg, geht nachts nicht so gern im Meer baden. Ihm ist dann einfach zu viel los.
Person Von Tim Schröder
Vita Tim Schröder, Jahrgang 1970, Autor in Oldenburg, geht nachts nicht so gern im Meer baden. Ihm ist dann einfach zu viel los.
Person Von Tim Schröder