Nach Art der Wellen

Charles Bass, einst Navy-Taucher und Surfer, lernt nach einem Unfall das Kochen. Glück im Unglück für die Insel Oahu

Es war auf der Landstraße, als er im Stau stand und in den Rückspiegel schaute. Zuerst war da nur ein kleiner Punkt, im nächsten Moment ein großer Pick-up, dann eine Frontscheibe mit dem Gesicht einer Frau, die überrascht vom Handy aufblickt. Mit 90 Kilometern in der Stunde fuhr sie auf. 29 Mal brach seine Wirbelsäule. Eineinhalb Jahre war er im Krankenhaus. Vier Jahre konnte er nicht arbeiten. Vier Jahre stand er zu Hause am Herd, während seine Frau Geld verdiente. Ehekrise, Scheidung. „Ich hatte Glück“, meint Charles Bass. „Ohne den Unfall wäre ich nicht Koch geworden.“

„Go with the flow“, sagt er. Go with the flow, wohin die Wellen tragen. Und dort ist er angekommen, nicht weit von der Küste Oahus. In Haleiwa, Stadt der Wellencowboys. Vorbei an Blockhäusern in Pink und Türkis, vorbei an Salons, deren Türen im Wind schwingen. Dort, auf einem grün umfriedeten Parkplatz: ein Esspavillon mit Schleiervorhang, auf Kunst gemachten Vasen, Engelkitsch, Kätzchenfiguren. Nicht einmal eine Nagelstudiobesitzerin hätte das zu träumen gewagt. Zu Charles’ Verteidigung: Er hat allen Geschmack hingesteckt, wo er hingehört – ins Essen. Blue Marlin, King Crab vom Grill, gewürzt und gepfeffert in seiner Küche, einem ausrangierten Schulbus, der vor dem Pavillon steht. „Holy Smokes – Hawaiian Meats and Seafood“.

Die frische Ware kommt von einem Fischbroker aus Honolulu. Die Gewürze aus aller Welt: Guam, Yap, Palau, Taipeh, Okinawa. Von überall, wo er aufgewachsen ist. Charles’ Stiefvater war wechselnd stationierter Marinesoldat, sein leiblicher Vater Indianer, die Mutter Koreanerin.

Von allem etwas, auch Charles’ Vita: Rettungsschwimmer auf Guam, Seal bei der Navy, Pipelinetaucher in Texas, Zimmermann auf Hawaii. Sonst führte er ein geregeltes Leben: Surfen und nochmals Surfen. Bis der Unfall passierte. An Wellenreiten war nicht mehr zu denken. Doch er fand einen Weg zurück aufs Meer.

Als Kind hatte er über die Japaner gestaunt, wie sie Speisen an den Tischen der Gäste zubereiten. Teppan Yaki, „heißer Tisch“. Messerklappern, Löffelschlagen, immer schneller, immer fließender, bis sich alles in Harmonie auflöst. „Jeder findet irgendwann den eigenen Rhythmus für das Ritual“, beschied ihm ein Koch. Seinen fand Charles schließlich am Strand, im Rauschen der Brandung. Und so bereitete er fortan seine Gerichte. Nach Art der Wellen.

Er kaufte einen Bus, fuhr auf den kleinen Parkplatz am Rand von Haleiwa. Die Shrimpsverkäuferinnen zeterten über den Eindringling. 17000 Dollar jährlich zahlen sie in die Standortwerbung. Ihre Spezialität: „Hot Shrimps (Very hot! No refund!)“, scharfe Shrimps (Sehr scharf! Kein Geld zurück!). Jeden Tag hört er Männer, am Rand der Selbstbeherrschung, wie Meerschweinchen quieken. Er, nicht dumm, hält Dosengetränke vor. Seine Werbung.

Und tatsächlich: Die Kunden kommen. Spätestens bei Charles’ King Crab entspannen sich die Mienen. Dankbar gehen die Blicke zum Koch. Er hat warme, reine Augen und spricht Sätze voller Ehrfurcht: „Sohn, bringe mir den Tunfisch.“ „Lass die Playstation, Sohn, und komme.“ Seit dem Unfall ist er aktiv in der Hope Chapel Church, die ihm durch die schweren Phasen in seinem Leben half: die Zeit im Rollstuhl, die Scheidung, Streit ums Sorgerecht. Ein Gutachter bescheinigte der Ex-Frau Depressionen und Schizophrenie, Charles dagegen einen IQ von 148.

Der Sohn lebt heute bei ihm. Charles junior, elf Jahre, grüne Mandelaugen und ein Gesicht mit Sommersprossen bestickt. Jeden Tag nach der Schule hilft er seinem Vater in der Küche. Charles ist stolz auf seinen Sohn und möchte, dass sein Sohn auch stolz auf ihn ist. Deshalb ist er 2003, fünf Jahre nach dem Unfall, zum ersten Mal wieder gesurft. „Etwas steif, aber Hauptsache, auf dem Brett gehalten, oder?“ Doch der Kleine hat nur Augen für sein neues Geburtstagsgeschenk, ein Kindermotorrad. Crossbiker will er werden. Das Meer: nicht so sein Fall.

Charles seufzt und lächelt. Er kämpft nicht gegen Tatsachen. Der erste Küchenbus wurde ihm geklaut. 38000 Dollar weg. „Go with the flow“, sagte er. „Jemand hat ihn wohl dringender gebraucht.“


Schwertfisch vom Grill

Zutaten (für 4 Personen)

1,5 Pfund Schwertfisch (ersatzweise Heilbutt). Für die Sauce: 1 Knoblauchknolle (!), 1 Zwiebel, 4 Esslöffel Butter, 1 Bund Basilikum, 1 Teelöffel Kapern, 2 Teelöffel Sojasauce, eine halbe Flasche Weißwein, 1 Flasche Bier, Reis für vier Personen, eine Limone.

Zubereitung

Den Reis aufsetzen. Das Bier und den Limonensaft über den Fisch träufeln, auf den Grill legen, nach einigen Minuten wenden, wieder beträufeln, kurz grillen, den Fisch vom Feuer nehmen. Für die Sauce Zwiebeln und Knoblauch in Butter glasieren, Weißwein dazugeben. Kurz aufkochen, vor dem Servieren Basilikum, Kapern und Sojasauce hinzufügen, fertig.


Holy Smokes – Hawaiian Meats and Seafood

Tel. (001) 808 330 5030.
66-472 Kamehamea Highway, Haleiwa,
North Shore, Oahu, Hawaii.
Geöffnet täglich von 11 bis 20 Uhr.

mare No. 57

No. 57August / September 2006

Von Dimitri Ladischensky und Mathias Bothor

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Mathias Bothor, 1962 in Berlin geboren, machte sich 1992 als freier Fotograf selbstständig. Heute ist er einer der gefragtesten Porträtfotografen; seine Arbeiten wurden bereits mehrfach ausgestellt. Mathias Bothor lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet überall.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Mathias Bothor, 1962 in Berlin geboren, machte sich 1992 als freier Fotograf selbstständig. Heute ist er einer der gefragtesten Porträtfotografen; seine Arbeiten wurden bereits mehrfach ausgestellt. Mathias Bothor lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet überall.
Person Von Dimitri Ladischensky und Mathias Bothor
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Mathias Bothor, 1962 in Berlin geboren, machte sich 1992 als freier Fotograf selbstständig. Heute ist er einer der gefragtesten Porträtfotografen; seine Arbeiten wurden bereits mehrfach ausgestellt. Mathias Bothor lebt mit seiner Familie in Berlin und arbeitet überall.
Person Von Dimitri Ladischensky und Mathias Bothor