Monumente des Wahns

Tausende Bunker, die Hitlers „Tausendjähriges Reich“ schützen sollten, verstellen Dänemarks Küsten

Ein zauberhafter Strand: üppige Dünen, feiner Sand, satte Wellen – das Betörendste, was die Nordsee anbietet. Und Platz, so viel Platz; kein Liegestuhl, kein Animateur. Es ist der Wunschort. Hier wollen wir in der Sonne liegen und unseren weißen Leib an Luft und Liebe hingeben. Hier können wir all das tun, was uns die Herzen hüpfen lässt: Muscheln suchen, Burgen bauen, Salz auf der Haut schmecken und Sand auf der Zunge. In den Dünen knutschen und im Sonnenuntergang vergehen vor Glück.

Aber hier liegt schon etwas anderes im Sand zwischen Ebbe und Flut, zwischen Wasser und Land. Das ist hart, roh und viel zu groß. Kolossal und aus den Fugen. Was hat das hier verloren? Komm dem bloß nicht zu nahe! Wer hat das hier verloren? Schau, da sind Stahlspitzen dran. Da kommen Rostdornen raus. Das tut verdammt weh.

Wir sind bei Søndervig an der dänischen Nordsee. Ein Traditions-Badeort in der Nähe des Städtchens Ringkøbing, mitten an Jütlands Westküste. Hier sind die Dünen voller Ferienhäuser. Und die Ferienhäuser sind voller deutscher Urlauber. Und der Strand ist voller Bunker. Deutscher Bunker. Nicht anders sieht es in Blåvand aus und in Klitmøller und in Løkken, zum Beispiel. Überall Ferienhäuser und Bunker, überall hartnäckige Hinterlassenschaften. Die haben sich breit gemacht, die gehen nicht von selbst. Bunker haben Zeit. Bunker verweisen auf schlechte Zeiten. Strandurlaub wird Studienreise. Bunker hauen mir meine Geschichte um die Ohren. Deutsche Geschichte.

Am 9. April 1940 um 4 Uhr 15 überfiel Deutschland Dänemark. Um 6 Uhr beschloss die dänische Regierung die Einstellung der Gegenwehr. Bis Mitternacht war Dänemark überrollt. In Norwegen dauerte dies immerhin zwei Monate. Und um Norwegen ging es vordringlich bei dieser „Weserübung“ genannten Invasion, genauer: um die Erzlieferungen aus Narvik. Ohne dieses Erz wäre Deutschland allenfalls sechs Monate kriegsfähig geblieben. Und die Kontrolle über das Skagerrak, über den Eingang in die Ostsee, hätte man obendrein gewonnen.

Nun hatte das deutsche Imperium eine Küstenlinie vom Nordkap bis nach Südfrankreich. Und diese sollte durch den Bau einer gigantischen Verteidigungsanlage gesichert werden, von Kirkenes in Nordnorwegen bis nach Biarritz an der französisch-spanischen Grenze. 5000 Kilometer Baustelle, 200000 Arbeiter, Millionen Kubikmeter Beton: der Atlantikwall. Zu Tausenden wurden auch in Dänemark Bunker in die Dünen gegossen, der Landschaft aufgepfropft. Dann wurden sie versteckt, mit Grassoden belegt, aufwändig getarnt. Dass der Feind die Burgen im Sand nicht erkenne.

Heute sind völlig irreale Landschaften entstanden, in Kryle zum Beispiel, in Thyborøn, in Vigsø: von Sturmfluten frei-gespült, vom Meer ans Licht gezerrt. Da liegen die Trümmer nun wie ausgespien. Walfischgebirge. Saurierrudel schockgefrostet. Titanische Kotzbrocken. Welcher Film wurde hier gedreht, eine Science-Fiction-Produktion à la Krieg der Sterne oder eine biblische Rächergeschichte aus Ninive und Sodom? Alles daneben, alles falsch. Sprich auch bitte nicht von Mondlandschaften. Vergiss Vergleiche. Schweig von vernarbter Natur. Von Pestbeulen und Eiterschwären sag nichts. Nichts greift. Kein Bild trifft wirklich.

Es ist doch nur Beton: Sand Kies Wasser Zement. Und Eisen: Stahlbeton. Mauern bis dreieinhalb Meter dick. Bunker sind Kriegswerkzeuge. Sie sollen die einen schützen und beruhigen, indem sie die anderen zurückhalten und einschüchtern. Bunker sollen verteidigen helfen. Manchmal auch nur, um zwischenzeitlich an anderer Front ungestört anzugreifen.

Deutschland befestigte sich an der dänischen Nordseeküste über die gesamte fünfjährige Besatzungszeit hinweg. Gebaut wurde immer. Zunächst gab es nur an den drei wichtigsten Häfen Marine-Küstenbatterien. Im Frühsommer 1941 – der britische Kommandoüberfall auf die Lofoten und die Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion stellten den Zusammenhang – wurde die Westküste Jütlands mit zehn Heeres-Küstenbatterien verstärkt. Nach dem japanischen Überfall auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor und der deutschen Kriegserklärung an die USA kam der Befehl zum endgültigen Ausbau des Atlantikwalls. Hitlers „Führeranweisung Nr. 40“ vom März 1942 veranlasste die Errichtung weiterer, exakt klassifizierter Widerstandsnester, Stützpunkte, Stützpunktgruppen und Verteidigungsbereiche. Manche Kategorien galten als „feste Plätze“: Sie waren unter allen Umständen und bis zur letzten Patrone zu halten.

Doch mehr Festungsbauten ordneten die Machthaber nach der Niederlage von Stalingrad im Januar 1943 an sowie nach dem Ende der so genannten „Politik der Zusammenarbeit“ zwischen Dänemark und Deutschland im August 1943. Die dänische Regierung weigerte sich, Maßnahmen gegen die opponierende Zivilbevölkerung einzuführen, und trat zurück. Die Besatzer verhängten den Ausnahmezustand und begannen nun auch mit der Deportation der Juden.


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mare No. 24

No. 24Februar / März 2001

Von Peter Schanz und Heike Ollertz

Peter Schanz, Jahrgang 1957, lebt und arbeitet als freier Autor und Dramaturg am Niederrhein. Dies ist sein erster Beitrag in mare.

Heike Ollertz, Jahrgang 1967, arbeitet als freie Fotografin in Berlin. In Heft 13 erschienen ihre Aufnahmen der Krabbenpulerinnen von Tétuan in Marokko

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Vita Peter Schanz, Jahrgang 1957, lebt und arbeitet als freier Autor und Dramaturg am Niederrhein. Dies ist sein erster Beitrag in mare.

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