Monika Mann

Zeugnis und Katharsis: das Tagebuch ihrer Seekatastrophe

Es ist ein regnerischer Tag, und meine Gedanken schweifen zurück zu jener wichtigen Epoche, die ich vor langer Zeit durchlebt habe, deswegen möchte ich Sie bitten, sich folgende Offenbarung anzuhören: Grauen und Licht – Denn selbst wenn um einen her die wildeste Verzweiflung herrscht – wenn Dunkelheit, Todesangst, Leichen, die stürmische See einen berühren, so kalt und schrecklich – – solange unser Herz schlägt, so lange ist da ein Licht – – als das Schiff kam, schloss ich die Augen – es war zu viel! Hohe Wellen entzogen es unserem Blick – wir hatten keine Stimme, um zu rufen – unendliche köstliche Folter! Sie zogen mich die Leiter hinauf. Die See war stürmisch – die rettenden Seeleute ertranken fast selbst. Sie hielten mir eine Tasse an den Mund – ich trank die Flüssigkeit wie Wasser in der Wüste – es war Whiskey! Sie rissen mir die triefenden Fetzen vom Leib und rieben mich ab […]ich stand da mit halb geschlossenen Augen – halb betrunken, halb tot, halb glücklich – ich bewegte die Lippen, um Dank zu stammeln … sie fütterten mich mit Schinken und Rührei und heißem Kaffee – nie zuvor und auch danach nicht wieder habe ich derart gegessen – ich lachte – ich schlief ein – – ich fragte nach ihm – ich weinte stundenlang – das auf der Seite liegende Schiff – durch Dunkelheit und Sturm – Jagd auf den Feind – kalte Wogen klatschen wild – kleiner Junge neben mir auf dem Boden – – Männerstimme im Chaos der ohrenbetäubenden Nacht: ‚Keine Angst – es wird eine Explosion geben – wenn wir den Feind treffen‘ […] Es war dasselbe wahnsinnige Getöse wie vor zwei Tagen – diesmal sanken die anderen – und wir glitten unversehrt dahin […] Treffer? Ja! Wahnsinn – – herrlicher Wahnsinn – – wohin fuhren wir so schnell und wild – – nie mehr anhalten – wo ist er – wo ist er […] sie gaben mir Pillen. Ich schlief ein – Es wurde Tag – ich weinte – wohin fahren wir […] – Jemand rieb sanft meine Hand – und sanft war seine Stimme. Ich öffnete die Augen, ich kannte ihn nicht. […] Er blieb eine lange Zeit – – ‚Gehen Sie nicht!‘ ‚Ich muss gehen. Ich muss nach dem Feind sehen! Seien Sie tapfer! Schlafen Sie! Wenn Sie nach mir fragen, komme ich wieder!‘ ‚Was soll ich sagen – wer sind Sie?‘ ‚Sagen Sie einfach – Oberstleutnant!‘ Ich weinte – ich schrie nach ihm – ich wusste – – ach, dass sie nie mehr anhalten würden! Dass ich es nie erfahren würde! Wieder wurde es Nacht. Wieder wurde es Tag. Ich weinte. Ich wünschte, sie würden immer weiterfahren – für immer wie von Sinnen übers Wasser fahren – Sie hielten – Sie bildeten eine Gasse, während ich auf einer Trage transportiert wurde – lächelnd – – Dort waren Schottlands Berge und Blüten –

So wie die Jahreszeit vergeht – wie Stimmungen wechseln – wenn ich dich nicht sehe, fällt es mir schwer, dein Bild in meinem Innern zu bewahren – – entweiche nicht! […] Ich brauche dich so sehr wie zuvor, brauche dich mehr und mehr! […] Manchmal bin ich müde – so müde und hilflos – und ich möchte mich hinlegen – und Sie sollten mir die Hand halten – mir Wärme und Sicherheit geben! Es kann nicht sein – deswegen muss ich stark sein in meiner Fantasie – und das stärkt mich insgesamt!

Am 7. Mai 1945 hat die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert – gut, aber! […] Angenommen, sie sind geschlagen, entwaffnet – wer weiß, wie viele schmutzige Bomben sie noch versteckt halten – wie geht man damit um?! Krieg kann nie den geringsten positiven Einfluss auf die Menschen haben (moralisch gesehen) – wie sollte es hier anders sein?! Krieg ist eine rein materielle Angelegenheit, Geistiges kann – da Gewalt im Spiel ist – allenfalls unterdrückt werden – ein moralisches Heilmittel kann Krieg nicht sein. Ein Sieg ist nicht besser als eine Niederlage – denn ist die materielle Seite der Angelegenheit erst einmal beiseite geräumt, tritt die moralische Seite umso strahlender, blendender hervor. Wir sehen die Angelegenheit nackt vor uns, und das Chaos lässt uns verstummen.


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mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Auszüge aus dem New Yorker Tagebuch. Mit einem erläuternden Text von Karin Andert

Das New Yorker Tagebuch fand sich in einem Müllsack des Privatbesitzes von Monika Mann in Leverkusen, wo sie im März 1992 starb. Es ist in englischer und deutscher Sprache abgedruckt in Monika Mann – Eine Biografie von Karin Andert, mareverlag, Hamburg, 2010. Das Original ist vollständig einsehbar im Literaturarchiv der Monacensia in München. Karin Andert, Jahrgang 1943, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Generation Research Program der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Vita Das New Yorker Tagebuch fand sich in einem Müllsack des Privatbesitzes von Monika Mann in Leverkusen, wo sie im März 1992 starb. Es ist in englischer und deutscher Sprache abgedruckt in Monika Mann – Eine Biografie von Karin Andert, mareverlag, Hamburg, 2010. Das Original ist vollständig einsehbar im Literaturarchiv der Monacensia in München. Karin Andert, Jahrgang 1943, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Generation Research Program der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Person Auszüge aus dem New Yorker Tagebuch. Mit einem erläuternden Text von Karin Andert
Vita Das New Yorker Tagebuch fand sich in einem Müllsack des Privatbesitzes von Monika Mann in Leverkusen, wo sie im März 1992 starb. Es ist in englischer und deutscher Sprache abgedruckt in Monika Mann – Eine Biografie von Karin Andert, mareverlag, Hamburg, 2010. Das Original ist vollständig einsehbar im Literaturarchiv der Monacensia in München. Karin Andert, Jahrgang 1943, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Generation Research Program der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Person Auszüge aus dem New Yorker Tagebuch. Mit einem erläuternden Text von Karin Andert