Mobbing im Meer

Quallen haben ein Imageproblem unter Badenden. Und selbst die Meeres­biologie hat die glibberigen Tiere bisher weitgehend unterschätzt. Nun ­beginnt sie mit der Reha­bilitation des „gelatinösen Planktons“

Unter Kindern gibt es oft eine Art Wettstreit, wenn Quallen am Strand liegen. Wer traut sich, die glibberigen Tiere zu berühren? Nur mit der Fingerspitze oder mit der ganzen Hand? Richtig mutig sind die, die sich mit der Wabbelmasse bewerfen. Aber selbst den Hartgesottenen wird mulmig, wenn beim Baden Quallen an den Armen und Beinen entlangstreichen, vor allem, wenn Feuerquallen in der Nähe sind.

Quallen haben ein schlechtes Image – und das nicht nur bei Sommerurlaubern. Manchmal vermehren sich Quallen massenhaft. Die Wurzelmundquallen, die einem Blumenkohl mit Hut ähneln, bilden riesige Schwärme, die viele Schwimmbäder füllen würden. Einen halben Zentner kann eine Wurzelmundqualle wiegen. Fischer fluchen, wenn ein Schwarm ins Fanggeschirr treibt und das Netz zerreißt.

Viele Meeresbiologen betrachten Quallen als Sackgasse in den verwobenen Nahrungsnetzen der Ozeane. Quallen fingen Unmengen von Fischen, Kleinkrebsen oder Mikroalgen aus dem Wasser, seien aber selbst zu nichts nütze, weil kaum ein Meerestier Quallen fresse, heißt es. Vor etwa 20 Jahren warnten die ersten Meeresbiologen vor der Ära der Quallen. Durch die Überfischung der Meere gingen die Konkurrenten der Quallen verloren, schrieben viele Experten. Wenn jene Fischarten, die sich von kleineren Fischen, Kleinkrebsen oder Mikroalgen ernähren, verschwänden, bliebe mehr Futter für Quallen übrig. Sie würden sich unkontrolliert vermehren. Quallen seien zudem Profiteure des Klimawandels. Anders als Fische kämen sie gut in wärmeren, sauerstoffarmen Meeren zurecht. Die Zukunft der Ozeane schien düster: Meere ohne Fische, in denen sich der Glibber breitmacht.

Doch es scheint, als habe man den Quallen unrecht getan. „Die Wissenschaft hat die Tiere über Jahrzehnte einfach unterschätzt“, sagt Henk-Jan Hoving, Meeresbiologe am Forschungszentrum Geomar in Kiel. „Daher gibt es für viele Annahmen kaum Beweise.“ Gemeinsam mit einigen wenigen Forschenden ergründet er die Welt der durchscheinenden Wesen.

Hoving vermeidet den Begriff Qualle, weil es – und damit beginnt das Halbwissen – um weit mehr Lebewesen als jene typischen Quallen geht, die mit ihrem kontrahierenden Schirm durchs Wasser gleiten. „Wir sprechen lieber vom gelatinösen Plankton“, sagt er. Dazu gehören die Schirmquallen und die näher verwandten Rippenquallen, von denen manche Stachelbeeren ähneln. Zum gelatinösen Plankton zählen aber auch ganz andere Organismen wie die Feuerwalze, bei der es sich nicht um ein einzelnes Tier, sondern um eine riesige Kolonie aus winzigen Klonen handelt. „Zieht man Netze durchs Wasser, sammeln sich die gelatinösen Tiere in einem glitschigen Klumpen. Viele sind sehr zart, werden völlig zerstört und lassen sich nicht mehr bestimmen. Daher hat man sie kaum beachtet.“

Mit seinem Team hat Hoving das Unterwasserkamerasystem „Pelagios“ entwickelt, einen Apparat mit LED-Beleuchtung, Videokamera und Sensoren, der Temperatur, Wassertiefe, Salzgehalt und Sauerstoff misst. Hoving hat ihn schon vor Peru, in der Arktis und um die Kapverdischen Inseln zu Wasser gelassen. 3000 Meter tief gleitet „Pelagios“ an einem Stahlseil hinab, während das Schiff im Schritttempo dahinschleicht.


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mare No. 147

mare No. 147August / September 2021

Von Tim Schröder

Als Kind beobachtete Tim Schröder, Jahrgang 1970, Journalist in Oldenburg, gerne Ohrenquallen an der Ostsee. Das langsame Pulsieren ihres Schirms hatte für ihn immer etwas Beruhigendes.

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Vita Als Kind beobachtete Tim Schröder, Jahrgang 1970, Journalist in Oldenburg, gerne Ohrenquallen an der Ostsee. Das langsame Pulsieren ihres Schirms hatte für ihn immer etwas Beruhigendes.
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