Mit Faulgas ins Wohlbefinden

Eine Therapie, schlimmer als das Leiden: Vor 100 Jahren verbreiteten Australier mit einigem Erfolg, dass stundenlanges Verweilen in einem toten Wal Rheumatiker von Schmerzen befreie

Es mag schlimm genug sein, an Schmerzen zu leiden, man möchte den Rheumapatienten vergangener Zeiten Verständnis entgegenbringen, auch Anteilnahme. Aber das Leiden während dieser Kur – ob das nicht zu viel ist, selbst für Verzweifelte?

Australien, Ende des 19. Jahrhunderts. Die nahe der Stadt Eden gelegene Twofold Bay im Südosten des Kontinents war bekannt für Killerwale, die dort regelmäßig andere Wale in die Bucht trieben. Seit einigen Jahrzehnten fingen weiße Männer dort deshalb Wale in Küstennähe mit kleinen Booten. Sie verarbeiteten ihren Fang nicht wie anderswo direkt auf dem Meer, sondern schleppten die Tiere mit. Die Jäger der Twofold Bay nutzten das Walfett, den sogenannten Blubber, nicht nur, um daraus Tran für Lampen, Kerzen und Seife zu kochen. Wenn der Kadaver an Land gezogen war oder im seichten Wasser lag, schnitten die Männer tiefe Löcher in den Körper. Dann stieg ein Patient in das Walfett und blieb dort, Beine und Füße tief bis in die Eingeweide.

Nur der Kopf schaute aus dem Wal heraus, inmitten von übel riechenden Gasen. Das Ganze dauerte nicht etwa eine oder zwei Stunden, sondern mit Pausen 20 bis 30 Stunden. Erst dann sollte sich die volle Wirkung entfalten – nämlich Schmerzfreiheit, die angeblich bis zu einem Jahr andauerte. Ein Foto zeigt tatsächlich einen Wal, der im seichten Wasser der Twofold Bay liegt. Mitten in seinem Körper ist ein vielleicht 70 Zentimeter breites Loch, daraus schaut ein einsamer Männerkopf. Wir wissen nicht, ob zur Demonstration oder zur Gesundung.

Rheumatisches Leiden an Knochen und Gliedern, brennende Schmerzen und Fieber von innen wurden seit der Antike zu heilen versucht. Der Begriff Rheuma kommt von dem altgriechischen Wort für „Strömung“ oder „Fluss“. Ägypter und Griechen nutzten kalte Wassergüsse. Im Mittelalter sollten Brennnesseln oder Wermutblätter mit Hirschtalg gegen den „Albschoss“ helfen. Um 1600 wurden wärmende Katzenfelle empfohlen, später Aderlässe und Quecksilber.

Noch bis weit in die Neuzeit hielt man an der Lehre der Körpersäfte fest. Kalter Schleim sollte vom Gehirn zu den Extremitäten fließen und Beschwerden auslösen. Erst im 20. Jahrhundert wurden einigermaßen wirksame Mittel gegen das Rheuma gefunden. So wundert es nicht, dass den Leidenden ein Walbad ratsam oder irgendwie Erfolg versprechend schien. Während der Walfangsaison füllten sich die Hotels in Eden angeblich mit Blubberanwärtern.


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mare No. 121

No. 121April / Mai 2017

Von Holger Kreitling

Der Autor Holger Kreitling, Jahrgang 1964, hat bisher alle Walsichtungen verpasst. Es war einfach immer die falsche Jahreszeit. Allerdings ist er in einer Drogerie aufgewachsen, in der noch Lebertran als heilsamer Trank verkauft wurde, begleitet von geruchsbeschwörenden Erzählungen seiner Mutter.

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Vita Der Autor Holger Kreitling, Jahrgang 1964, hat bisher alle Walsichtungen verpasst. Es war einfach immer die falsche Jahreszeit. Allerdings ist er in einer Drogerie aufgewachsen, in der noch Lebertran als heilsamer Trank verkauft wurde, begleitet von geruchsbeschwörenden Erzählungen seiner Mutter.
Person Von Holger Kreitling
Vita Der Autor Holger Kreitling, Jahrgang 1964, hat bisher alle Walsichtungen verpasst. Es war einfach immer die falsche Jahreszeit. Allerdings ist er in einer Drogerie aufgewachsen, in der noch Lebertran als heilsamer Trank verkauft wurde, begleitet von geruchsbeschwörenden Erzählungen seiner Mutter.
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