Meine Halle, deine Halle

Die Erzrivalität zwischen Hamburg und Altona mündete gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einen „Krieg“ der Fischauktions­hallen der beiden Städte

Wie ist das, wenn zwei Hafenstädte einander immer näher rücken und zugleich in knallharter Konkurrenz miteinander liegen? Wir schreiben das Jahr 1888. Hamburg und Altona liegen viel zu nah (plattdeutsch: all to nah) beieinander, der Mindestabstand zwischen den Städten beträgt vier Hamburger Fuß (etwa 1,15 Meter) und wird durch unauffällig ins Straßenpflaster eingelassene Grenzplatten markiert. Die Häuser an der Grenze dürfen keine Fenster haben, damit die Bewohner keinen Müll ins benachbarte Ausland kippen. Denn Altona liegt in Preußen und damit im Deutschen Reich, dem die Freie und Hansestadt Hamburg immer noch nicht beigetreten ist. 

Warum nicht? Die Hamburger sind stolz auf ihre Stadt, sie ist weltoffen, frei von jeder Fremdherrschaft, keinem König untertan und schon gar nicht Wilhelm II., dem König von Preußen und deutschen Kaiser. Der gilt in Hamburg als ausländischer Monarch. Die Firmen der Weltstadt unterhalten Vertretungen im Fernen Osten, China- und Japanhandel florieren, in der ganzen Welt gibt es 162 Konsulate der Freien und Hansestadt Hamburg. 

Altona, die kleinere Stadt nebenan, gehörte 200 Jahre zum Königreich Dänemark. Einige Jahre war sie auch nördlichste Stadt Österreichs, ehe sie schließlich als Wanderpreis der Geschichte nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg 1867 der preußischen Provinz Schleswig-Holstein angegliedert und damit 1871 Teil des Deutschen Reichs wurde.

Doch nun ist Hamburg an der Reihe: Endlich gelingt es dem preußischen Reichskanzler Otto von Bismarck die widerstrebenden Hanseaten in den gemeinsamen Zollverein zu bugsieren und so im Deutschen Reich zu verankern. Kaiser Wilhelm II., 29 Jahre alt und seit Juni im Amt (er ist aufgrund zweier Todesfälle schon der dritte Kaiser in diesem Jahr), lässt es sich nicht nehmen, den Staatsakt gebührend zu feiern. Am 29. Oktober 1888 reist Seine Majestät mit großem Gefolge nach Hamburg. Die Kaiserhymne „Heil dir im Siegerkranz“ erklingt (nach der Melodie der britischen Nationalhymne) an der Brooksbrücke, wo eigens ein Pavillon für den Festakt errichtet wurde. Hamburg ist nun endlich Teil des Deutschen Reichs.

Dafür bekommt die Hansestadt den zollfreien Freihafen – ein Superdeal: Hamburg erlebt einen Boom ohnegleichen. Im Jahr 1890 steuern mehr als 8000 see­gehende Schiffe den Hafen an, die Ton­nage verdoppelt sich in 15 Jahren. Hamburg ist nach London, Liverpool und New York der viertgrößte Seehafen der Welt, rückt zeitweise sogar auf Platz drei vor.

Die Hamburger wissen, wem sie das zu verdanken haben, und errichten ein Monument aus Granit, den größten Bismarck aller Zeiten, 34 Meter hoch, mit Schwert und grauem Wettermantel, den strengen Reichskanzlerblick nach England gerichtet. Hamburg ist Boomtown für alle, die es verstehen, ihren Reichtum zu mehren, doch leben rund 70 Prozent der Stadtbevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Das Elend im Gängeviertel, den dicht besiedelten Quartieren am Hafen, stinkt zum Himmel. In den Straßen und Fleeten sammelt sich Nacht für Nacht der Inhalt ausgekippter „Eimerprivets“. 20 000 Menschen leben in Häusern, die nicht an die Kanalisation angeschlossen sind. 

Im August 1892 wird die Hansestadt von einer Choleraepidemie heimgesucht, der fast 9000 Menschen zum Opfer fallen. Im benachbarten Altona gibt es kaum Tote. Altonas Leitungswasser wird seit 1859 gefiltert, Hamburgs nicht. Der Mikrobiologe Robert Koch, aus Berlin herbeigeeilt, kennt die Verhältnisse in Alexandria und Kalkutta. Über Hamburg kann er nur staunen: „In keiner anderen Stadt habe ich solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten angetroffen, meine Herren, ich vergesse, dass ich in Europa bin.“

Nach zehn Wochen ist der Spuk vorbei, sind die Toten begraben. Endlich wird in Gesundheitsvorsorge investiert. Die Wasserwerke bauen eine Trinkwasserfilteranlage, die Wohnquartiere auf dem Wandrahm und Kehrwieder werden abgerissen, um Platz für die Speicherstadt, den größten Lagerhauskomplex der Welt, zu schaffen. 20 000 Menschen werden dafür zwangsumgesiedelt. Geschäft ist Geschäft. 

Dass dazu auch die Versteigerung von fangfrischem Fisch gehört, liegt an dem findigen Seemann Johann Hinrich Köser. Geboren 1835 in Twielenfleth in den Elbmarschen des Alten Lands, fährt er drei Jahre als Steward zur See, gründet in Hull an der britischen Ostküste mit Annie, ­seiner englischen Frau, eine Familie und nennt sich fortan Henry. Als Gründervater des Handelsunternehmens H. Köser und Spezialist von Früchten mit eigener Dampfschifffahrtslinie kehrt er 1867 nach Hamburg zurück und gründet in der Hafenstraße ein Geschäft für die Ausfuhr von Äpfeln und Kartoffeln nach England. 


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mare No. 161

mare No. 161Dezember 2023 / Januar 2024

Von Emanuel Eckardt und Fide Struck

Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geborener Hamburger, wurde mit Fisch großgezogen und erinnert sich noch gern an die rauschende mare-Party von 2012. ­Damals feierte der mareverlag sein 15-jähriges ­Bestehen – in der Altonaer Fischauktionshalle.

Die gezeigten Fotografien sind alle von Fide Struck (1901–1985). Der Hamburger Fotograf hinterließ ­einen Koffer mit 3000 Negativen, den sein Sohn erst 2015 wiederfand. Eine Auswahl präsentierte das Föhrer Museum Kunst der Westküste in einer Retro­spektive. Das Buch zur Ausstellung, „Der richtige Moment – Fide Struck“, erschien im Verlag Imhof.

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Vita Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geborener Hamburger, wurde mit Fisch großgezogen und erinnert sich noch gern an die rauschende mare-Party von 2012. ­Damals feierte der mareverlag sein 15-jähriges ­Bestehen – in der Altonaer Fischauktionshalle.

Die gezeigten Fotografien sind alle von Fide Struck (1901–1985). Der Hamburger Fotograf hinterließ ­einen Koffer mit 3000 Negativen, den sein Sohn erst 2015 wiederfand. Eine Auswahl präsentierte das Föhrer Museum Kunst der Westküste in einer Retro­spektive. Das Buch zur Ausstellung, „Der richtige Moment – Fide Struck“, erschien im Verlag Imhof.
Person Von Emanuel Eckardt und Fide Struck
Vita Autor Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, geborener Hamburger, wurde mit Fisch großgezogen und erinnert sich noch gern an die rauschende mare-Party von 2012. ­Damals feierte der mareverlag sein 15-jähriges ­Bestehen – in der Altonaer Fischauktionshalle.

Die gezeigten Fotografien sind alle von Fide Struck (1901–1985). Der Hamburger Fotograf hinterließ ­einen Koffer mit 3000 Negativen, den sein Sohn erst 2015 wiederfand. Eine Auswahl präsentierte das Föhrer Museum Kunst der Westküste in einer Retro­spektive. Das Buch zur Ausstellung, „Der richtige Moment – Fide Struck“, erschien im Verlag Imhof.
Person Von Emanuel Eckardt und Fide Struck