Mein Hooge, 11.

Unser Kolumnist reiste als Jugendlicher achtmal nach Hooge. Jetzt, nach 30 Jahren, erkundet er die Hallig erneut, als Erwachsener, als Stadtmensch, mit tausend Fragen im Gepäck. Heute macht er sich Gedanken über die Liebe auf Hooge

Seit eineinhalb Jahren schreibe ich nun diese Kolumne. In dieser Zeit habe ich erfahren, wie wichtig die Fähre für die Hooger ist. Mit ihr kommen die Lebensmittel, die Touristen, die Post.

Aber die vielleicht schönste Fracht ist eine andere: die Liebe. Auch sie nimmt die Fähre. Denn auf Hooge gibt es kein einziges rein Hooger Liebespärchen. Immer stammt einer von beiden von außerhalb.

Warum ist das so?
Vielleicht, weil man bei nur 100 Einwohnern jeden Hooger – und somit potenziellen Partner – so gut kennt wie seine eigenen Geschwister. Das nimmt der Angelegenheit jede Erotik.
Vielleicht aber auch, weil Hooge stets gut von auswärts versorgt wird. Unter all den Touristen und Saisonarbeitern, die im Sommer auf die Hallig strömen, gibt es immer welche, die bereit sind, sich zu verlieben.

Ich selbst war auch mal ein Auswärtiger, der bereit war, sich zu verlieben. Achtmal habe ich meine Schulferien auf Hooge verbracht. Jedes Mal war ich liebestoll (ich war in der Pubertät). Allerdings lernte ich damals keine Hoogerin kennen, sondern knutschte mit Festlandmädchen, die dort ihre Ferien verbrachten. So konnte ich nichts zum Hooger Liebesleben beitragen.

Das alles ist lange her. Es war die Zeit, als die letzte noch existierende rein Hooger Beziehung in die Brüche ging. Fritz und Hildegard Tiemann, beide Jahrgang 1927, trennten sich Anfang der 1980er-Jahre nach über 25 Jahren Ehe. Er stammte von der Backenswarft, sie von Mitteltritt. Sie kannten sich schon als Schüler, kamen sich nach Ende des Krieges näher und heirateten 1955.

Schon damals galt das Paar als exotische Ausnahme. Denn seit je war es auf Hooge unüblich, sich seinen Lebenspartner auf der Hallig zu suchen. Die jungen Hooger zogen nach der Schule in der Regel aufs Festland, um ein Handwerk zu erlernen. Dort wurden sie, was die Liebe betrifft, meist fündig und kehrten nach ein paar Jahren mit ihrer Errungenschaft zurück (oder auch nicht).

Bei den jungen Frauen war es gang und gäbe, nach Ende der Schulzeit „in Stellung“ zu gehen. So nannte man eine zeitlich befristete Tätigkeit als Haushaltshilfe in kleinen Betrieben – in Bäckereien, Handwerksbetrieben, Pensionen, auf Bauernhöfen –, meist auf dem Festland, gegen Kost, Logis und ein Taschengeld. Nicht selten lernten sie in diesem Lebensabschnitt den Mann fürs Leben kennen.

An dieser Praxis hat sich bis heute nicht viel geändert. Noch immer verlassen junge Hooger vorübergehend die Hallig – zum Arbeiten und Verlieben. Das ist Plan A. Funktioniert es auf dem Festland nicht mit der Liebe, bleibt immer noch Plan B – die Suche unter all den Sommerimporten.

So klappte es zum Beispiel bei Leif Boyens von der Volkertswarft. Er verliebte sich in eine hübsche, blonde Fränkin, die für ihre Diplomarbeit nach Hooge gekommen war. Sie blieb bei ihm. Heute hat das Paar mehrere kleine Kinder.

So klappte es auch bei Karen Tiemann von der Backenswarft. Sie verliebte sich in einen selbstständigen Landschaftsgärtner aus Husum, der saisonweise auf Hooge arbeitete. Die beiden heirateten 2017. Es sind romantische Geschichten.

Aber es gibt auch eine Kehrseite. Wenn Plan A und Plan B nicht funktionieren, bleibt für viele Hooger nur das Singledasein. Mithilfe eines fachkundigen Bewohners habe ich neulich eine Zählung vorgenommen. Ergebnis: Auf der Hallig leben exakt 17 Singles – fünf auf Ockenswarft, fünf auf Hanswarft, zwei auf Backenswarft, zwei auf Ockelützwarft, zwei auf Ipkenswarft, einer auf Westerwarft.

Sollte jemand von ihnen unfreiwillig Single sein, hätte ich einen Plan C anzubieten: Tinder. Meine Recherchen – für die ich extra zwei Hooger meines Vertrauens bat, sich die Tinder-App herunterzuladen und ein Profil anzulegen – haben ergeben: Kein einziger Hooger ist bei Tinder aktiv. Aber dafür etliche Menschen auf Föhr, Amrum, Pellworm und sogar auf der Nachbarhallig Langeneß. Menschen, die bereit sind, sich zu verlieben. Wäre das nicht eine gute Möglichkeit? Aber am besten erst, wenn Corona vorbei ist. Es küsst sich so schwer auf 1,5 Meter Abstand.

mare No. 141

mare No. 141August / September 2020

Von Jan Keith

Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.
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