Mein Eis, dein Eis

Völkerrechtler Alexander Proelß beantwortet im Interview Fragen zum Rechtsstatus der Antarktis

Ist die Antarktis das einzige Festland der Welt, das niemandem gehört?

Sagen wir so: Abgesehen von den sieben Staaten, die Territorialansprüche erheben, herrscht die Meinung vor, dass die Antarktis Niemandsland ist. Das heißt: territorial Niemandsland, aber funktional für alle da.

Welche sieben Staaten sind das?

Es sind Argentinien, Chile, Neuseeland, Australien, Norwegen, Großbritannien und Frankreich. Jeder dieser Staaten beansprucht einen Teil der Antarktis, manche der beanspruchten Gebiete überlappen sich auch.

Frankreich, Norwegen oder Großbritannien liegen Zehntausende Kilometer von der Antarktis entfernt. Dass sie Ansprüche stellen, klingt absurd.

Es gibt im Völkerrecht ein grundsätzliches Argument: Wer ein Gebiet, das bisher niemandem gehörte, entdeckt und darüber dauerhaft Souveränität ausübt, hat einen Anspruch auf das betreffende Gebiet. Die Briten argumentieren so, die Franzosen ebenfalls. Bei den Norwegern gibt es noch die Besonderheit mit der Ersterreichung des Pols durch Roald Amundsen im Jahr 1911.

Und wie argumentieren die übrigen Länder?

Argentinien zum Beispiel führt an, dass das Grahamland und die vorgelagerten Inseln die direkte natürliche Fortsetzung Südamerikas darstellen.

Welches dieser sieben Länder hat Ihrer Meinung nach zu Recht Anspruch auf Gebiete in der Antarktis?

Ich würde sagen, keines. Ich bestreite nicht, dass Okkupation und geografische Nähe Ansprüche generieren können. Es gibt aber noch einen weiteren völkerrechtlichen Grundsatz: Seit je ist es nämlich eine Voraussetzung für den Gebietserwerb, dass dieser unwidersprochen bleibt, dass es keine Proteste gibt. Aber es liegt auf der Hand, dass die Staaten, die nicht zu den besagten sieben gehören, den Gebietserwerb nicht akzeptieren.

Das führt uns zum Antarktisvertrag von 1959, der damals von jenen sieben Staaten sowie von weiteren fünf unterschrieben wurde. Der Vertrag besagt unter anderem, dass die Gebietsansprüche dieser sieben „auf Eis gelegt“ werden. Was bedeutet das?

Das heißt, dass keine weiteren, neuen Gebietsansprüche hinzukommen dürfen. Aber der Vertrag besagt nicht, dass die Staaten auf ihre Ansprüche verzichten. Sie könnten sie auch weiter vorantreiben.

Das haben einige der sieben Staaten durchaus getan. Chile zum Beispiel betreibt Postämter in der Antarktis. Dürfen diese Länder das überhaupt? Sind dies nicht hoheitliche Aufgaben, die dem Antarktisvertrag widersprechen?

Der Antarktisvertrag entscheidet nicht, ob hoheitliche Maßnahmen durchgeführt werden dürfen, solange sie sich auf frühere, das heißt auf ältere Gebietsansprüche als 1959 stützen. Was sich aus diesen älteren Ansprüchen ergibt, ist nicht verboten, aus Sicht der sieben besagten Länder jedenfalls. Die anderen sagen natürlich: Ihr dürft das nicht. Das ist also eine diplomatische Frage. Aber der Antarktisvertrag verbietet es nicht.

Der Vertrag hält sich beim Thema Hoheitsgebiete praktisch ganz heraus?

Stimmt. Das ist eine häufige angewendete Strategie, um Streitigkeiten nicht dazu führen zu lassen, dass das Zustandekommen eines Vertrags insgesamt blockiert wird. Deswegen konzentriert man sich auf andere Sachen, bei denen man sich einigen kann.

Beim Antarktisvertrag war es die Forschung.

Der Vertrag weist der Forschung einen hohen Rang zu. Jeder der Staaten, die den Antarktisvertrag unterzeichnet haben – das sind mittlerweile 46 –, darf dort unten forschen, so hat man es damals festgelegt. Die Antarktis ist ein Experimentierkasten, in dem sich in vielerlei Hinsicht klimawandelspezifische Aspekte, aber auch andere Aspekte beforschen lassen. Es gibt heute gut 85 Forschungsstationen in der Antarktis, die von verschiedenen Ländern betrieben werden, darunter auch Deutschland. Man versteht sich da ein wenig als Treuhänder der Interessen der gesamten Menschheit.

Ein Stimmrecht bei den Vertragstaatenkonferenzen haben aber nur jene Länder, die eine eigene Forschungsstation in der Antarktis betreiben, die 28 sogenannten Konsultativstaaten. Ist das nicht unfair gegenüber den Ländern, die kein Geld dafür haben?

Das kann man so sehen. Es ist im Prinzip ein Klub der Reichen, ein Klub derjenigen, die selbst forschen.

Und wer kontrolliert, was dieser Klub dort treibt?

Das tun die Antarktisvertragsstaaten selbst im Rahmen ihrer Vertragsstaatenkonferenzen. Es ist ein völkerrechtlicher Grundsatz: Es gibt keine allgemeine Weltpolizei, auch kein Weltgericht, das automatisch für alle Streitigkeiten zuständig wäre, und deshalb ist jeder Vertragsstaat zugleich Rechtsunterworfener und eben auch Rechtsdurchsetzer.


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mare No. 126

No. 126Februar / März 2018

Von Jan Keith und Gerhard Rießbeck

Alexander Proelß, Jahrgang 1973, ist Völkerrechtler an der Universität Trier und Mitautor einer Studie über das Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag.

Gerhard Rießbeck, Jahrgang 1964, Maler in Bad Windsheim, nahm an einer Antarktisexpedition ins Weddellmeer teil und schuf darauf die hier gezeigten Werke.

Jan Keith, Jahrgang 1971, ist Wissenschaftsredakteur bei mare.

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Vita Alexander Proelß, Jahrgang 1973, ist Völkerrechtler an der Universität Trier und Mitautor einer Studie über das Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag.

Gerhard Rießbeck, Jahrgang 1964, Maler in Bad Windsheim, nahm an einer Antarktisexpedition ins Weddellmeer teil und schuf darauf die hier gezeigten Werke.

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Person Von Jan Keith und Gerhard Rießbeck
Vita Alexander Proelß, Jahrgang 1973, ist Völkerrechtler an der Universität Trier und Mitautor einer Studie über das Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag.

Gerhard Rießbeck, Jahrgang 1964, Maler in Bad Windsheim, nahm an einer Antarktisexpedition ins Weddellmeer teil und schuf darauf die hier gezeigten Werke.

Jan Keith, Jahrgang 1971, ist Wissenschaftsredakteur bei mare.
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