Mehr Meer

Wie weit steigt der Meeresspiegel im Treibhaus Erde? Fragen an den Kieler Meteorologen Mojib Latif

mare: Wenn der Meeresspiegel weiter steigt, hat Tokelau ein Problem. Mit wie viel mehr Meer müssen wir rechnen?

Mojib Latif: In den vergangenen 100 Jahren ist der Spiegel des Meeres global um 10 bis 15 Zentimeter gestiegen. Davon entfällt etwa eine Hälfte auf die thermische Expansion der Meere und eine Hälfte auf das Schmelzen von Eis – im Gebirge, am Südpol oder in Grönland. Wie viel der Zuwachs in den nächsten 100 Jahren beträgt, hängt ganz davon ab, wie sich unser CO2-Ausstoß und damit unser Klima entwickelt. Persönlich rechne ich mit einem Plus von einem halben Meter weltweit; das Gremium der Klimaexperten bei den Vereinten Nationen geht von maximal 88 Zentimetern aus, was für Tokelau wahrscheinlich „Land unter“ bedeutet. Und auf jeden Fall wird das Wasser auch weiter steigen, denn wir haben noch lange nicht die vollen Auswirkungen der bisherigen Veränderungen gesehen. Das Klima reagiert als System sehr träge, und auch das Schmelzen der großen Eisschilde ist ein Prozess, der sich langsam aufbaut.

Nun sind regelmäßig Gegenstimmen zu hören, die das alles für natürliche Schwankungen halten. Der Meeresspiegel liege eben mal höher, mal tiefer.

Klar, während der letzten Eiszeit lag der Spiegel um 60, 70 Meter tiefer als heute. Kilometerdicke Eispanzer bedeckten unseren Kontinent, enorme Wassermassen waren an Land gespeichert. Solche Veränderungen hat es immer gegeben, neu ist der relativ kurze Zeitraum, in dem sich die aktuellen Veränderungen abspielen. Bis ins 19. Jahrhundert hat sich der CO2-Gehalt in der Atmosphäre kaum verändert, das Klima aber schon – das sind die natürlichen Schwankungen, für die wir Menschen nichts können. Aber dann stieg der CO2-Wert schnell an, und man sieht, wie auch die Temperaturkurve deutlich steiler verläuft. Ich schätze, dass maximal ein Drittel der Zuwächse auf natürlichen Ereignissen basiert und zwei Drittel auf unser Konto gehen.

Mit welchen konkreten Auswirkungen des Klimawandels müssen wir noch rechnen?

Zunächst wird es noch wärmer. Selbst wenn wir ab sofort weder Öl noch Kohle verbrennen, wird die globale Temperatur bis 2100 im Schnitt um weitere 1,4 Grad steigen, das ist auf Grund der Trägheit des Klimas sozusagen schon fest gebucht. Weil uns derart drastische Reduzierungen aber kaum gelingen werden, sollten wir uns eher auf ein Plus von 2,0 bis 2,5 Grad einstellen. Konkret müssen wir damit rechnen, dass sich Wetterextreme häufen werden, auch bei uns in Europa. Und zwar so, wie wir es in den letzten Jahren schon hatten: extreme Niederschläge wie vor dem Elbhochwasser und andererseits extreme Trockenheit wie beispielsweise im vergangenen Jahr. Nach unseren Erkenntnissen sind das die zwei Seiten derselben Medaille.

Hängen die Politiker einer Illusion nach, wenn sie glauben, sie könnten per Gesetz – siehe Kyoto – den Klimawandel aufhalten?

Temperaturanstieg und Klimaveränderungen werden kommen – da hilft nichts mehr. Kyoto ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, und es ist auch noch nicht von Ländern wie Russland oder den USA unterzeichnet. Fünf Prozent Reduzierung bis 2012 ist nur ein symbolischer Wert, das Signal, dass ein Umdenken begonnen hat. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat übrigens längst beschlossen, die Deiche zu erhöhen.

Sehr prominent sind in den Medien immer die Zweifler zu hören, die sagen, nichts sei endgültig bewiesen.

Das ist nicht meine Erfahrung. In der deutschen Wissenschaft besteht ein weitgehender Konsens über Ursachen und Wirkungen des Klimawandels, und auch in der Politik geht die Einsicht quer durch alle Fraktionen. Niemand bestreitet noch die Problematik des Klimawandels an sich; es geht jetzt vor allem um den Weg, wie man der Probleme Herr werden kann. Ich glaube, dass die Gegenstimmen in den Medien ein überproportionales Gewicht bekommen – nach dem Motto: Wir können nicht immer das Gleiche schreiben, also drucken wir zur Abwechslung das Gegenteil. Wer sich die Verlaufskurve des CO2-Gehalts ansieht, dem sagt schon der gesunde Menschenverstand, dass der Klimawandel kein Zufall sein kann. Allerdings ist es wohl wahr, dass es – auch hier in Kiel – eine Zeit lang schick war, die Problematik kleinzureden, um dadurch seriös zu wirken. Ich habe das nicht verstanden. Viele meiner Kollegen scheuen sich auch heute noch davor, die Dinge offen auszusprechen. Dabei kann man heute mit Hilfe realitätsnaher Klimamodelle belastbare Vorhersagen machen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 45. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 45

No. 45August / September 2004

Ein Interview von Nikolaus Gelpke und Olaf Kanter

Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.

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Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.
Person Ein Interview von Nikolaus Gelpke und Olaf Kanter
Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Nikolaus Gelpke, 1962 in Zürich geboren, ist Verleger des mareverlags und Chefredakteur der Zeitschrift mare. Auf Anregung von Elisabeth Mann Borgese studierte er Meeresbiologie an der Universität Kiel. Nach dem Diplom führte seine Leidenschaft für die See zur Idee von mare: Die erste Ausgabe erschien 1997; 2001 ging die Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR erstmalig auf Sendung. Seit 2002 gehören auch Bücher zum Programm des mareverlags. Nikolaus Gelpke ist Initiator des World Ocean Review, der seit 2010 jährlich erscheint. Er ist Präsident der Ocean Science and Research Foundation und des International Ocean Institute sowie Schirmherr der GAME am GEOMAR in Kiel. Außerdem ist er Mitglied im Beirat der Deutschen Umweltstiftung und im Evaluationsteam des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ in Kiel.
Person Ein Interview von Nikolaus Gelpke und Olaf Kanter