Mehr als gefrorenes Wasser

Die vielfältige innere Struktur von Eisschollen gibt Aufschluß über deren Entstehungsgeschichte

Weiß, manchmal blau, auf jeden Fall kalt, lebensfeindlich. Zur Unwirtlichkeit erstarrtes Elixier allen Lebens, gefrorenes Wasser. Das Antlitz unserer Polarmeere. Doch: Eis ist nicht gleich Eis.

Der antarktische Kontinent, immerhin um die Hälfte größer als Australien, wird von einem 4000 Meter dicken Eispanzer überzogen. Es ist das Inlandeis, wie jeder Gletscher aus Süßwasser, genauer gesagt aus Schnee entstanden. Das Gewicht der oberen Schneeschichten drückt die unteren Lagen mehr und mehr zusammen, Firneis entsteht. Immer größer wird der Druck durch die anwachsende Schneeschicht, bis die letzten Luftblasen aus den Eiskristallen der Unterschicht gepresst werden. Das reine Weiß lufthaltigen Eises ändert sich in kaltes Blau des Gletschereises.

Über 30 Millionen Kubikmeter Inlandeis lasten auf Antarktika, drücken durch ihr Gewicht große Teile des Kontinents unter den Meeresspiegel. 90 Prozent allen Eises, und damit rund 80 Prozent der Süßwasserreserven der Erde, lagern hier. Würde der antarktische Eispanzer ab- schmelzen, stiege weltweit der Meeresspiegel um 60 bis 65 Meter an.

Wie die Gletscher der Alpen und des Nordmeeres überwinden auch die Eismassen des antarktischen Inlands durch ihr enormes Gewicht die Bodenreibung und geraten in Bewegung. Langsam, aber stetig „fließt“ das Eis dem Meer entgegen, bis sich am Eisrand große Brocken lösen, Eisberge entstehen. Im Gegensatz zu unregelmäßigen Formen in der Arktis weisen antarktische Eisberge eine typische Tafelbergform auf, sind auf der Oberseite eben. Mit den Meeresströmungen durchwandern sie die Polarmeere. Der größte bisher beobachtete Tafeleisberg hatte eine Fläche von 31 000 Quadratkilometern – immerhin die Größe Nordrhein-Westfalens.

Im Winter bilden sich auf den Ozeanen um den antarktischen Inlandeiskern weite Packeisflächen. Ein Gürtel von mehr als tausend Kilometer Breite. Im Gegensatz zu Eisbergen entsteht dieses Eis durch Gefrieren des Meerwassers. Auf den ersten Blick eintönig und simpel, zeigen die Eisschollen doch eine Vielfalt innerer Strukturen, die den Eisforschern ihre Geschichte erzählen. Denn von ihrem Entstehen bis zu ihrem Schmelzen unterliegen die Schollen einer ständigen Veränderung.

Meereis tritt vor allem in zwei verschiedenen Formen auf: mit kleinen, körnigen Eiskristallen und mit einer säuligen Kristallstruktur. Die Kristalle im körnigen Eis sind meist rundlich und selten größer als einige Millimeter. Im Säuleneis finden sich dagegen viele Zentimeter lange und einige Zentimeter breite Kristalle. Beide Eisformen können innerhalb einer Scholle über- oder untereinander auftreten.

Insbesondere die Art des Gefrierens bestimmt die innere Struktur des Eises, sein Kristallgefüge. Voraussetzung zur Eisbildung ist natürlich, dass das Meerwasser durch die kalte Luft bis auf den Gefrierpunkt abgekühlt wird. Durch seinen hohen Salzgehalt liegt dieser typischerweise bei –1,8 Grad Celsius. Was dann passiert, hängt sehr von Wind und Wellen ab.

Körniges Eis entsteht, wenn Wind und Wellen die oberste Wasserschicht bis in mehrere Meter Tiefe durchmischen, sie somit gleichzeitig abkühlen. Ist der Gefrierpunkt erreicht, entstehen millimetergroße Eisnadeln und Plättchen, die im Wasser aufschwimmen. Die Meeresoberfläche erscheint wie von einem öligen Film bedeckt, der sich mehr und mehr zu einem schlammigen Eisbrei verdickt. Nun beginnen die Kristalle, aneinanderzufrieren. Doch der Wellengang verhindert zunächst eine geschlossene Eisdecke. Es bilden sich nur handtellergroße, kreisförmige Scheiben. Da sie in den Wellen ständig gegeneinander reiben und stoßen, erhalten ihre Ränder charakteristische Wülste: Das sogenannte Pfannkucheneis entsteht.

Erst wenn die einzelnen Pfannkuchen Durchmesser von einigen Metern erreicht haben, dämpfen sie den Seegang soweit, dass sie zusammenfrieren und eine geschlossene Eisdecke bilden können. Diese sogenannte „turbulente“ Eisbildung ist besonders in der Antarktis verbreitet, deren Eisrand nach Norden an die offenen Ozeane des Pazifik, Atlantik und Indik in den „roaring fourties“ und „furious fifties“, den durch ihre Stürme bekannten und gefürchteten Meeresbreiten, grenzt. Innerhalb weniger Wochen kann der Pfannkucheneisgürtel bis auf eine Breite von mehreren hundert Kilometern anwachsen, bevor sich eine feste Eisdecke von 50 bis 70 Zentimeter Dicke ausbildet.

Doch damit ist das Eiswachstum noch nicht beendet. Da nun aber nur noch wenig offenes Wasser zwischen den Eisschollen liegt, kann selbst starker Wind keine großen Wellen mehr erzeugen, um körnige Eiskristalle entstehen zu lassen. Nun wächst das Eis durch Anfrieren an der Unterseite, säuliges Eis entsteht.


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mare No. 6

No. 6Februar / März 1998

Von Christian Haas und Frank J. Jochem

Christian Haas ist promovierter Geophysiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Während mehrerer Expeditionen in die Arktis und Antarktis untersuchte er die physikalischen Eigenschaften des Meereises.

Co-Autor dieses Artikels ist mare-Redakteur Frank J. Jochem.

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Vita Christian Haas ist promovierter Geophysiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Während mehrerer Expeditionen in die Arktis und Antarktis untersuchte er die physikalischen Eigenschaften des Meereises.

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Vita Christian Haas ist promovierter Geophysiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Während mehrerer Expeditionen in die Arktis und Antarktis untersuchte er die physikalischen Eigenschaften des Meereises.

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