Meditation am Meer

Ein „Kunsthotel“ an der Nordküste Siziliens

Besonders schön liegt das Hotel eigentlich nicht. Zwischen Eisenbahn und Kieselstrand reiht es sich in die Kette lieblos hochgezogener Spekulationsobjekte, die fast die gesamte Nordküste Siziliens zur Festung der Ferienindustrie gemacht haben. Auch die Architektur könnte schöner sein: ein Bau aus den 70er Jahren, vierstöckig, mit Balkonen zum Meer. Lediglich einige Details, wie aufgerissene Fensterfronten oder bunte Balkone mit Plexiglasbrüstungen, verraten, daß das Hotel „Atelier sul mare“ seit wenigen Jahren nicht nur einen neuen Namen, sondern eine ganz neue Bestimmung hat.

Der Hoteldirektor Antonio Presti führt die Gäste zu den Zimmern, die keine Nummern, sondern Namen haben: „Energie“, „Schattenlinien“ oder „Auf dem Papierboot“. Das Hotel in Castel di Tusa ist ein bewohnbares Museum. 13 der 40 Zimmer sind von Künstlern gestaltet worden. Bekannte italienische Maler wie Piero Dorazio oder Graziano Marini sind ebenso vertreten wie der japanische Zen-Künstler Hidetoshi Nagasawa und der chilenische Autor Raoul Ruiz.

Gäste, die zum ersten Mal ins „Atelier sul mare“ kommen, werden zunächst durch alle Kunstzimmer geführt, auch wenn sie gerade besetzt sind. Wer will, kann jede Nacht in einem anderen Raum verbringen.

„La stanza del mare negato“, das Zimmer des negierten Meeres, von Fabrizio Plessi erinnert an das Innere einer spanischen Galeone. Alle vier Wände sind mit alten Holztüren versehen, die der Künstler im Ort gesammelt hat. An der Frontseite glotzen sechs Bildschirme aus der Holzverkleidung, auf denen dem Betrachter unentwegt und gleichmäßig die Wellen des Meeres entgegenrollen. Diese sechsfache Quadratur des Bullauges taucht den Raum in ein blaßblaues Licht, dessen Kälte im Kontrast zu den warmen Brauntönen der Türen steht. Drei Schritte trennen die Videoinstallation vom Balkon mit Blick auf das wirkliche Meer. Wer die richtige Tür dorthin gefunden hat, stellt überrascht fest, daß die Wellenfrequenz des Meeres da draußen identisch ist mit der auf den Bildschirmen. Das Bett auf Rädern ist einem Floß nachempfunden, und der Kleiderschrank versteckt sich hinter einer der antiken Holztüren. Profane Einrichtungsgegenstände wie Minibar und Kofferablage sucht man in den Kunstzimmern vergeblich, das Telefon ist meist gut versteckt.

Manche Zimmer haben nicht einmal das, und wer im „Geheimnis des Mondes“ übernachtet, muß selbst auf elektrisches Licht verzichten. Lediglich eine Kerze erhellt den fast leeren Raum.

Antonio Presti, der das Hotel Anfang der 90er Jahre gekauft und zum Kunsthotel umfunktioniert hat, ist auf seine Art ein unbeugsamer Rebell. Als er mit Anfang Zwanzig die Baumaterialfirma seines Vaters erbte, weigerte er sich, Schmier- oder Schutzgelder zu zahlen, was in Sizilien eigentlich die Voraussetzung für ein funktionierendes Unternehmen ist. Statt dessen steckte er das geerbte Vermögen in die Kunst. Mit dem Zement seiner Firma ließ er von Künstlern gigantische Monumente bauen, die sich wie unerwünschte Geschenke im Flußtal der Tusa verteilten. Am bekanntesten ist das „Fenster zum Meer“ am Strand von Villa Margi unweit des Kunsthotels. Das 20 Meter hohe Denkmal, das der Pop-art-Künstler Tano Festa 1988 kurz vor seinem Tod entworfen hatte, stellt ein gigantisches azurblaues Rechteck dar, das je nach Blickrichtung entweder das Mittelmeer oder den Ort Villa Margi als häßliches Exempel mafioser Bauspekulation im überdimensionalen Postkartenformat einrahmt. Wie fast alles, was an der Nordküste Siziliens gebaut wurde, entstand das „Fenster zum Meer“ ohne Baugenehmigung. Doch im Gegensatz zu den anderen „Bauherren“ wurde Antonio Presti vor Gericht gestellt – das Objekt verschandele die Landschaft. Presti wurde aufgefordert, dieses und andere Monumente abzureißen.


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mare No. 11

No. 11Dezember / Januar 1998

Von Ulrike Klausmann und Francesco Tornabene

Ulrike Klausmann, geboren 1956, lebt als freie Journalistin, Buch- und Hörspielautorin in Köln. 1992 veröffentlichte sie mit Marion Meinzerin ein Buch über Piratinnen.

Francesco Tornabene, geboren 1958, ist Sizilianer, studierte Journalistik in Dortmund und lebt als Fotograf und Filmkritiker in Köln.

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Vita Ulrike Klausmann, geboren 1956, lebt als freie Journalistin, Buch- und Hörspielautorin in Köln. 1992 veröffentlichte sie mit Marion Meinzerin ein Buch über Piratinnen.

Francesco Tornabene, geboren 1958, ist Sizilianer, studierte Journalistik in Dortmund und lebt als Fotograf und Filmkritiker in Köln.
Person Von Ulrike Klausmann und Francesco Tornabene
Vita Ulrike Klausmann, geboren 1956, lebt als freie Journalistin, Buch- und Hörspielautorin in Köln. 1992 veröffentlichte sie mit Marion Meinzerin ein Buch über Piratinnen.

Francesco Tornabene, geboren 1958, ist Sizilianer, studierte Journalistik in Dortmund und lebt als Fotograf und Filmkritiker in Köln.
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