Matrosen sind keine Gärtner

Als in Europa die Liebe zu exotischen Pflanzen erwachte, wurde die Frage ihres Transports zum Hemmnis für den lukrativen Handel. Ein Londoner Arzt fand eine Lösung für das Problem und befeuerte damit gleich die Entwicklung der Weltwirtschaft

Gärtner sind zärtliche Menschen. Sie leben und leiden mit ihren Pflanzen. Entzücken muss in den Zügen des Obergärtners gelegen haben, als sein Blick über die Packliste flog. Schon seit Jahren wartete man im königlichen botanischen Garten in Kew im Südwesten Londons auf solche Raritäten aus China. Als die Kisten geöffnet wurden, machte sich Entsetzen breit, und die Gärtner verfluchten einmal mehr Kapitäne und Matrosen, diese Rohlinge ohne Sinn für ihre lebende Fracht. Dass die Pflanzen auf den Reisen litten und viele die Strapazen nicht überlebten, wusste man; dass aber von den Hunderten nur zwei oder drei noch ein wenig Leben zeigten, war ein schwerer Schlag. Wieder waren die Anstrengungen der Expedition ins asiatische Hochland umsonst gewesen. Vorsichtig hob der Obergärtner einen der sterbenden Setzlinge aus der Erde und brachte ihn in die Krankenabteilung. So hatten die Gärtner das Gewächshaus genannt, das für die leidenden Neuankömmlinge gebaut worden war. Wenn die Pflanzen überhaupt eine Überlebenschance hatten, dann hier. Größte Sorgfalt war geboten, denn was lebend angekommen war, gehörte zum Wertvollsten, Seltensten und Teuersten, was in Europa zu sehen war.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begannen in Europa exotische Pflanzen Mode zu werden, vor allem solche aus Asien, Amerika und Australien. Enorme Summen wurden in Expeditionen gesteckt, um unbekannte Gewächse für die Gärten und Treibhäuser der Vermögenden zu suchen. Durchschnittlich betrugen die Kosten für jede Pflanze, die London lebend erreichte, etwa 300 Pfund. Das entsprach dem dreifachen Jahreslohn eines gut bezahlten Gärtners.

Eine Pflanze braucht etwas Erde, regelmäßig Süßwasser und Licht, um gedeihen zu können. Eine Brigg ist eine denkbar ungünstige Umgebung für sie. Die Reisen dauerten monate- oder sogar jahrelang und führten oft durch mehrere Klimazonen. Trinkwasser war knapp und wurde selbst für die Besatzung rationiert. Die Pflanzen wurden aufs Deck gestellt, damit sie genug Licht hatten, um zu gedeihen. Dort mussten sie gegen die Gischt geschützt werden, denn das Salz verbrannte nicht nur ihre Blätter, sondern vergiftete auch die Erde in den Kisten und Fässern.

Im Idealfall sollten die Kisten bei gutem Wetter offen auf dem obersten Deck stehen. Sobald die Wellen weiße Kronen trugen und der Wind Salzwasser in die Luft mischte, mussten sie mit Leinwand oder Brettern abgedeckt werden. Und wenn die Temperaturen gegen null strebten, mussten die Behälter unter Deck in einen geheizten Raum gebracht werden. Es gab auf den meisten Schiffen frei laufende Tiere, Affen oder kleine Hunde, die sich die Matrosen zum Spaß hielten, immer aber auch Katzen, die Mäuse und Ratten in Schach halten sollten. Sie alle konnten den Pflanzen gefährlich werden, weil sie ihren Kot in der Erde vergruben, die Wurzeln annagten oder von den Blättern naschten. Der beste Platz für Pflanzen auf Reisen wäre die heizbare Kapitänskabine im Heck gewesen. Aber kaum ein Kapitän war bereit, sein Privileg mit einer Fracht zu teilen, die nichts als eine luxuriöse Spielerei war und nur Scherereien brachte, und er ließ die Kisten irgendwo tief im Schiff verstauen.

Das Leben an Bord war hart für die Matrosen. Mit Peitschenhieben wurde die Disziplin an Bord aufrechterhalten. Wie wichtig konnte den Matrosen angesichts ihres entbehrungsreichen Alltags das Wohlergehen von ein paar kümmerlichen Stängeln in einer Kiste sein? Den Pflanzensammlern war das Problem klar: Matrosen sind keine Gärtner. So wurden die verschiedensten Arten von Verpackungen ausprobiert, in denen die Pflanzen vor den Strapazen einer Seereise geschützt wären. Ganze Traktate wurden verfasst und den Kapitänen mitgegeben, meist ohne Erfolg. Man erfand halb offene Kisten mit Stahlringen, über die Segeltuch gespannt wurde, Fässer mit vergitterten Öffnungen auf den Seiten und ähnliches.

All das diente nicht nur botanischer Liebhaberei; es ging auch um handfeste ökonomische Interessen der Kolonialmächte. Weil die Pflanzenkontingente immer größer wurden, begann man, an Deck kleine Kabinen zu bauen, die seitlich und oben mit verglasten Fenstern versehen waren. Aber die Kapitäne schätzten diese Aufbauten nicht eben, weil sie die Stabilität des Schiffes gefährdeten. Die erste dieser Kabinen war ein als „Plant Cabin“ bezeichnetes Gehäuse von drei Tonnen Gewicht, das Fruchtbäume enthielt, die 1789 von England nach Australien reisen sollten. Es stand auf der „Guardian“ und wurde mitsamt den Gehölzen über Bord geworfen, als das Schiff einen Eisberg gerammt hatte und zu sinken drohte.

Joseph Banks, Direktor des königlichen Gartens in Kew und Cooks Gefährte auf dessen Reise nach Australien, entwarf solche Kabinen und setzte große Hoffnungen auf sie. Aber selbst wenn diese kleinen Treibhäuser an sich funktionierten, blieb das ungelöste Problem der Pflanzenpflege. Die Matrosen, die man dafür abstellte, hatten keinen Sinn dafür oder wurden zu anderen Arbeiten abkommandiert. Erst als man wichtigere Pflanzentransporte von einem Gärtner begleiten ließ, war die kostbare Fracht sicher, wenigstens, solange es Frischwasser an Bord gab. Aber oft war Wasser knapp und wurde zum erbitterten Streitpunkt zwischen Gärtner, Kapitän und Mannschaft.


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mare No. 81

No. 81August / September 2010

Von Hansjörg Gadient

Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, lebt als Landschaftsarchitekt und Autor in Zürich. Er hat bereits in mare No. 1 über einen ungewöhnlichen Transport geschrieben. Damals ging es nicht um Bäume, sondern um die Freiheitsstatue auf ihrem Weg von Paris nach New York.

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Vita Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, lebt als Landschaftsarchitekt und Autor in Zürich. Er hat bereits in mare No. 1 über einen ungewöhnlichen Transport geschrieben. Damals ging es nicht um Bäume, sondern um die Freiheitsstatue auf ihrem Weg von Paris nach New York.
Person Von Hansjörg Gadient
Vita Hansjörg Gadient, Jahrgang 1962, lebt als Landschaftsarchitekt und Autor in Zürich. Er hat bereits in mare No. 1 über einen ungewöhnlichen Transport geschrieben. Damals ging es nicht um Bäume, sondern um die Freiheitsstatue auf ihrem Weg von Paris nach New York.
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