Master of Disaster

Lord Mountbatten, Enkel von Queen Victoria mit deutschen Ahnen und ein Exzentriker von Gnaden, erlebt eine schillernde Karriere in der königlichen Marine – trotz reichlicher Fehlschläge

Anfangs dachten alle, es sei ein Scherz, aber Dickie meint es ernst. Nie darf etwas dem Zufall überlassen bleiben. Er legt die Zahl der sechs Samtkissen fest, die nötig seien, seine Orden, Ehrenabzeichen und Auszeichnungen zu tragen. Er prüft die Zeit, die die kalkulierte Anzahl von Schritten benötigen würde, den Sarg in die Abtei von Romsey zu tragen. Er schreibt dem Director of Music of the Band of The Life Guards persönlich auf, welche Akkorde geboten seien, das von ihm gewünschte Gedicht „Recessional“ des Dichters Rudyard Kipling musikalisch zu begleiten. Und er überarbeitet die lange Liste der gewünschten Trauergäste immer und immer wieder. Als er 67 ist, plant Lord Louis Mountbatten mit militärischer Präzision sein eigenes Begräbnis. Körperlich ist er in bestem Zustand, und es gibt Vermutungen, dass er im Stillen einen dramatischen Tod auf See seiner historischen Bedeutung für angemessen hält. Denn mehr noch als die Frauen liebt dieser Mann den Ruhm und die See. Und mehr als alles andere die Familie.

Schloss Windsor, 25. Juni 1900. Seine Durchlaucht Prinz Louis Francis Albert Victor Nicholas von Battenberg wird mit royalen Genen in eine Zeit hineingeboren, in der Großbritannien die Welt beherrscht. Seine Tante ist die russische Zarin, seine Urgroßmutter Queen Victoria. Der königliche Enkel würde einmal ein schöner, mit aristokratischer Würde ausgestatteter Mann werden. Er würde von großer, stolzer Statur sein, das Haar stets voll, der Schopf im Alter silbern glänzend. Die Lider halbtief, der Blick lasziv. Das Kinn markant, der Nasenrücken schmal, die Wangen scharf geschnitten. Fast alle werden ihn „Dickie“ nennen, auf Fotos wird er aussehen wie ein Bruder Cary Grants. Zu jeder Minute wird er frisch rasiert, niemals zerzaust und stets perfekt gekleidet sein. Vergleiche mit James Bond und David Niven werden lanciert, und die noch nicht verheiratete Grace Kelly wird sein Foto neben ihrem Bett aufstellen.

Viele Jahre seiner Jugend wird er in einer engen und beschränkten Welt der englischen Marineschulen, Schiffe und Militärbasen leben, bis der Erste Weltkrieg endet. 1919, so schreibt er in seinem Tagebuch, beginnt „meine Welt“. Dickies Welt. Darin wird er ein Leben voller Kämpfe, Tragödien und Triumphe führen, 60 Jahre Außerordentlichkeit, in denen er das auf die Beherrschung der Meere gründende Empire verkörpern und vertreten wird. Stets und überall wird Dickie versuchen, das Kommando zu übernehmen. Sein Temperament wird ihm keine Nachsicht erlauben, Fehler wird er nicht tolerieren, weder bei sich noch bei anderen. Sein dynamischer Egoismus wird verstörend, seine Arroganz verletzend, sein Streben nach Exzellenz enervierend und sein Lebensmotto doppeldeutig sein: Volldampf voraus!

Als Lord Louis Mountbatten 1967 sein Begräbnis plant, ist Andrew Roberts gerade drei Jahre alt. Roberts wächst in London auf, studiert, wird Historiker und macht es sich zur Aufgabe, die groß gemachten Helden Großbritanniens kleinzudenken. Heute ist Roberts Distinguished Fellow der New York Historical Society und Visiting Professor am War Studies Department des King’s College in London. So intensiv er sich mit Dickie Mountbatten beschäftigt, so explizit ist das Urteil.

Seine Durchlaucht sei ein Mann von anmaßender, grenzenloser Selbstsicherheit und Ruhmsucht gewesen, ein intellektuell beschränkter Gauner im ständigen Adrenalinüberschuss, der durch Fahrlässigkeit und Unfähigkeit viele unnötige Todesfälle verursacht hat. Unter der britischen Admiralität genoss Mountbatten den Spitznamen „Master of Disaster“. „Es ist eines der wiederkehrenden Merkmale einer scheinbar von einem Zauberstab berührten Karriere“, resümiert Roberts, „dass seine Misserfolge und Absurditäten jedes Mal mit einem noch wichtigeren Posten belohnt wurden.“

Briten mögen Siege, aber keine Siegertypen. Wenig erregt in England größere Abneigung als ein Mann, der es explizit darauf anlegt zu gewinnen, ja, der den Weg zum Sieg genau plant, sein Vorhaben zielstrebig umsetzt und den Siegerkult auch noch pompös feiert. Lag Mountbattens Unfähigkeit zur Bescheidenheit womöglich daran, dass deutsches Blut in seinen Adern floss?

Dickies Großvater war Prinz Alexander von Hessen und bei Rhein, Begründer des Hauses Battenberg; sein über alles verehrter Vater ist Prinz Ludwig Alexander von Battenberg, der seine Kindheit auf Schloss Heiligenberg südlich von Darmstadt verbracht hat, seit dem 13. Jahrhundert Sitz und Zentrum der Familie. 1868 ziehen die Battenbergs nach England und werden als verwandte Untertanen Ihrer Majestät eingebürgert. Ludwig Alexander Battenberg tritt in die Navy ein, wird Seeoffizier, Konteradmiral, Vizeadmiral und im Jahr 1912 Erster Seelord. Zwei Jahre später gibt er, der eingebürgerte Deutsche, der britischen Flotte den Befehl, alle deutschen Kriegsschiffe unter Feuer zu nehmen.


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mare No. 117

No. 117August / September 2016

Von Christian Schüle

Christian Schüle, Jahrgang 1970, Studium der Philosophie, Soziologie und Politischen Wissenschaft in München und Wien, ist freier literarischer Autor, Essayist, Publizist und lebt in Hamburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter den Roman Das Ende unserer Tage und den Essay „Was ist Gerechtigkeit heute?“. Seit 2015 ist er Lehrbeauftragter für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, Studium der Philosophie, Soziologie und Politischen Wissenschaft in München und Wien, ist freier literarischer Autor, Essayist, Publizist und lebt in Hamburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter den Roman Das Ende unserer Tage und den Essay „Was ist Gerechtigkeit heute?“. Seit 2015 ist er Lehrbeauftragter für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
Person Von Christian Schüle
Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, Studium der Philosophie, Soziologie und Politischen Wissenschaft in München und Wien, ist freier literarischer Autor, Essayist, Publizist und lebt in Hamburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter den Roman Das Ende unserer Tage und den Essay „Was ist Gerechtigkeit heute?“. Seit 2015 ist er Lehrbeauftragter für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
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