Masche und Macht

Ein löchriges Kleidungsstück an den Beinen einer Frau, den Fischern entliehen, wird zur scharfen Waffe im Kampf um erotische Hoheit

Dass Verführung etwas mit Netzen zu tun hat, diese Erkenntnis stammt von Jesus Christus. Am See Genezareth schaut er den Fischern Simon und Andreas zu. Sie werfen die Netze. Jesus meint, sie sollten mit ihm kommen und Überzeugungsarbeit leisten. Bei Lukas sagt Jesus zu Simon, also Petrus: „Fürchte dich nicht, von nun an wirst du Menschen fischen.“ Schon ist der erste Fang geglückt. Und eine ziemlich folgenreiche Metapher in die Welt gesetzt.

Das weibliche Geschlecht spielt natürlich eine tragende Rolle bei der Betrachtung, wie und mit welchen Mitteln Männer geangelt werden oder ins Netz gehen. Ein Beispiel? Wir müssen ein paar strumpflose Jahrhunderte überspringen und auf meine Schwiegermutter Helga zu sprechen kommen. 1958 war sie 22 Jahre alt und wohnte in Friedberg in Hessen. Am Ende der Stadt auf einer kleinen Anhöhe stand ein Wasserturm. Dahinter lagen die Ray Barracks, eine amerikanische Kaserne, die zu welthistorischer Bedeutung gelangte, weil eben 1958 der Gefreite Elvis Presley dort stationiert war. Helga erzählt, dass Elvis am Wasserturm den Mädchen Lieder vorgespielt habe. Und die begeisterten Mädchen achteten stets darauf, ihre besten „stockings“ anzuhaben. Denn der Ruf von Elvis, sein erotisches Potenzial, war enorm. Da wollten die Damen ihre Trümpfe ausspielen. Die Strümpfe waren in mehrfacher Hinsicht wichtig: Sie signalisierten eine Aufgeschlossenheit gegenüber Elvis und gegenüber dem american way of life, dem nicht nur der Rock ’n’ Roll, sondern auch die Nylons zu verdanken waren. Wer verführt also wen?

Strümpfe, Netzstrümpfe zumal, sind Versuchung, Verlockung, Reiz. Ihren eigentlichen Sinn, Schutz vor Kälte, haben sie verloren. Stattdessen strahlen sie – als funktionsentkleidete Zeichen – Wärme aus. Ja, mehr: Hitze. Lust. Fleischliche Sünde, also Sex. Netzstrümpfe funktionieren ähnlich wie Brautschleier: halb Verhüllung, halb Offenbarung. Allerdings deutlich unkeuscher. Es gibt Probeaufnahmen von Marilyn Monroe für den Film „Blondinen bevorzugt“, da posiert sie, 1953, in einer Art Ganzkörperstrumpf: Nur Becken und Busen sind mit Strass bedeckt, der Rest sind Netz und Naht. „Blondinen bevorzugt“ ist ein wahres Metaphernnetzwerk. Der Film handelt davon, wie die Monroe als Lorelei (!) gemeinsam mit Jane Russell auf einem Luxusschiff (!!) in Richtung Frankreich (!!!) nach reichen Gatten suchen. Trotzdem wurde das Monroe-Kostüm verworfen. Zu gewagt.

Ein Jahr später, im Western „Fluss ohne Wiederkehr“, liegt sie im Korsett auf einem Saloonklavier, der Rock ist aufgeschlagen, und Marilyn Monroes Beine in Netzstrümpfen strecken sich dem Betrachter entgegen. Nicht nur die Cowboys im Saloon bekommen große Augen. Der Film spielt 1875 im Nordwesten der USA, und Netzstrümpfe waren so erfunden wie das Kino. Nämlich gar nicht. Egal. Der Netzstrumpf ist unwirklich, immer und überall. Gerade deshalb passt er so gut zu Filmstars, die durch unsere Träume spuken.

Der Zusammenhang von Masche und Macht liegt, wenn nicht auf der Hand, dann am Bein. Wer Netzstrümpfe anzieht, traut sich was. Und hat Absichten. Die Fischerinnen wissen: Der Netzstrumpf zielt auf die großen Fische, die Alphatiere im Swimmingpool des Lebens. Gerade weil die Rautenstruktur so auffällig ist, funktioniert das Beinkleid wie ein lautes Signal.
Der Mann denkt still: „Oh, ein Fischlein.“
Das Frauenbein antwortet: „Hallo Raubtier, komm und hole mich, ich bin dir ebenbürtig“.
Der Mann: „Da ist die Beute.“
Das Bein: „Stell dich auf einen Kampf ein, es lohnt sich.“

Lange Zeit schickte es sich überhaupt nicht, Netzstrümpfe in der Öffentlichkeit herzuzeigen – es sei denn im Karneval, wenn die bürgerlichen Konventionen außer Kraft gesetzt sind. Beim Netzstrumpf liegt der Ruch des sexuellen Stimulans in den Schlupflöchern. Ein Fetisch. Und die Eindeutigkeit wirkt auf alle Männer. Nicht umsonst tragen Transvestiten und Drag Queens gerne Netzstrümpfe.

Das vielleicht berühmteste schwule Beispiel ist aber gar keines. Frank N. Furter trägt in der „Rocky Horror Picture Show“ Feinstrümpfe mit Strumpfbändern. Genau wie Helmut Berger, der in Viscontis „Die Verdammten“ die Dietrich parodiert und das Lied „Einen Mann, einen richtigen Mann“ schmettert. Marlene selbst stellt im „Blauen Engel“ ebenfalls Feinstrümpfe zur Schau – aber auf zeitgenössischen Karikaturen sind es gezeichnete Netzstrümpfe. Woran man noch einmal sehen kann, dass in Strumpfdingen die Wirklichkeit im Geiste überlistet wird.


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mare No. 51

No. 51August / September 2005

Von Holger Kreitling und Milton H. Greene

Milton H. Green (1922–1985) fotografierte viele Stars, darunter Marlene Dietrich, Sophia Loren, Audrey Hepburn und Romy Schneider. Einmalig sind seine Bilder von seiner Freundin Marilyn Monroe. Bevor sie Arthur Miller heiratete, lebte sie mit Green und dessen Familie in Connecticut.

Holger Kreitling, 1964 geboren, ist Feuilletonredakteur der Welt. Sein Lieblingsfilm mit Monroe ist „River of No Return“, auch wenn sie dort meist Jeans trägt.

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Vita Milton H. Green (1922–1985) fotografierte viele Stars, darunter Marlene Dietrich, Sophia Loren, Audrey Hepburn und Romy Schneider. Einmalig sind seine Bilder von seiner Freundin Marilyn Monroe. Bevor sie Arthur Miller heiratete, lebte sie mit Green und dessen Familie in Connecticut.

Holger Kreitling, 1964 geboren, ist Feuilletonredakteur der Welt. Sein Lieblingsfilm mit Monroe ist „River of No Return“, auch wenn sie dort meist Jeans trägt.
Person Von Holger Kreitling und Milton H. Greene
Vita Milton H. Green (1922–1985) fotografierte viele Stars, darunter Marlene Dietrich, Sophia Loren, Audrey Hepburn und Romy Schneider. Einmalig sind seine Bilder von seiner Freundin Marilyn Monroe. Bevor sie Arthur Miller heiratete, lebte sie mit Green und dessen Familie in Connecticut.

Holger Kreitling, 1964 geboren, ist Feuilletonredakteur der Welt. Sein Lieblingsfilm mit Monroe ist „River of No Return“, auch wenn sie dort meist Jeans trägt.
Person Von Holger Kreitling und Milton H. Greene