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Schöner baden mit Venus und Goldfisch
Chemnitz und Umgebung waren einst Zentrum junger, neuer Bademode – dank jüdischer Unternehmer

Sie wollten selbstverständlicher Teil des sächsischen Bürgertums sein und setzten dafür ihr unternehmerisches Können ein: die in und um Chemnitz ansässigen jüdischen Unternehmer­familien Goeritz mit der Marke Venus, Fischer mit Goldfisch und Franck mit Juvena. Ihr Schlüssel zum Erfolg: Sie bauten ihre Textilfabriken um und aus, setzten dabei auf technische Innovationen und erprobten neue Materialien, als seit der Wende zum 20. Jahrhundert das Baden im Meer und noch mehr das Sonnen­baden am Strand wortwörtlich Mode wurde, die einen beständigen Nachschub an praktischer wie repräsentativer Kleidung verlangte. 

Von dieser Entwicklung erzählt Jürgen Nitsche spannend und informativ. Er zeigt dabei auch, wie man Regionalgeschichte so schildern kann, dass grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen erfahrbar werden. Nitsche schildert, wie die Unternehmen es verstanden, das mediale Potenzial der Weimarer Jahre zu nutzen: Der Dichter Joachim Ringelnatz verfasste für Venus werbeträchtige Zeilen; für Goldfisch ließ der Fotografiker Richard Errell Schauspielerinnen posieren, und die Modefotografin Yva setzte die Produk­te von Juvena in Szene. Man warb mit ganzseitigen Anzeigen in den Illustrierten, lockte mit Preisausschreiben oder bot wie Juvena Schwimmkurse an, wobei diese nicht zufällig umsonst waren – trug man doch einen Juvena-Badeanzug. 

1933 greifen die Nationalsozialisten nach den etablierten Unternehmen. Und die Inhaberfamilien bereiten bald ihre Auswanderung vor, wobei sie vorsorglich geknüpfte geschäftliche Auslandskontakte nutzen können. Bitter das Schicksal der Venus-Familie Goeritz: Bereits im Herbst 1937 nach Holland geflohen, läuft das Schiff, das sie im November 1939 nach Südamerika bringen soll, vor England auf eine Mine. Karl Goeritz und seine beiden Kinder ertrinken; seine Frau Irmi kann sich ans Ufer retten.

Zugleich erzählt das faktenreiche Buch gerade wegen seines nüchternen Tons eindringlich davon, wie man in der nachfolgenden SBZ und dann DDR nicht allzu interessiert war, das zuvor erfolgte Unrecht auch nur wahrzunehmen. Besonders eklatant der Fall der Firma Fischer: Als der Sohn des Gründers Peter Fischer 1946 aus dem argentinischen Exil zurück nach Chemnitz kommt, um sich um das Unternehmen zu kümmern, wird er als „Wirtschaftssaboteur“ und „Volksschädling“ angeklagt, kann nur mit viel Glück in die Westzonen fliehen. Später wird auch der Name getilgt: aus dem VEB Strick- und Wirkwarenfabriken Goldfisch wird der VEB Strickwaren Oluba. Frank Keil

Jürgen Nitsche: „Venus – Goldfisch – Juvena. Wie jüdische Unternehmer aus Chemnitz und Umgebung die Welt der Bademode eroberten“, Hentrich & Hentrich, Leipzig, 2023, 248 Seiten, 27 Euro


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mare No. 159

mare No. 159August / September 2023

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