Oh Italia mia!
Ein deutscher und ein italienischer Fotograf haben neue Bildbände über das Land herausgegeben, das ihr Herz am meisten berührt
Das Glas mit Montepulciano gefüllt. Paolo Conte tönt aus der Box. „It’s wonderful, it’s wonderful, I dream of you, cips, cips, du-du-du-du-du.“ Ich schiebe die Gabel mit Pasta in den Mund. Fantastico! Cips, cips, du-du, heute ist Italien-Sehnsucht-Abend. Meine beiden Gäste: die Italien-Fotobände von Christian Jungeblodt und Riccardo Fregoso. Als ich sie blättere, verschlucke ich mich an einer Nudel, was wehtut. Was noch mehr wehtut, ist die plötzliche Erkenntnis: Meine Gäste sind Party-Crasher, die nicht in mein Es-ist-wunderbar-Italien-Lied einstimmen mögen.
„Bella Italia“ heißt der Band von Jungeblodt, und der Untertitel hätte stutzig machen können, „Über Schönheit und Hässlichkeit“. Jungeblodts Liebe für Italien war schon früh entfacht und erfand Erfüllung, als er einst nach Perugia und Rom ging, um dort Sprache und Fotografie zu studieren. Auch Jahre später, längst in Berlin, treibt es ihn oft zurück. Seine Fotoserie umfasst den Zeitraum einer Dekade und weist einen Kenner aus, dessen Blick kritisch und einfühlsam ist und mit feinsinniger Ironie ausgestattet. Eine Ansicht mit Pferden im Olivenhain von Poggio Moiano; die erhabenen Gipfel des Monte Vettore; die sich aus dem Meer erhebenden Felsen bei Capri; ein Brautpaar, das sich an der Uferpromenade von Reggio Calabria für ein Foto vor beeindruckender Meereskulisse drapiert.
Doch immer, wenn es zu entzückend wird, setzt der Fotograf Nadelstiche. Denn er ist ein aufmerksamer Beobachter, der die Verfasstheit eines Landes seziert, das mit politischer Instabilität, Reformstau, mit Schuldenberg und Armut, Umweltverschmutzung, Mafia und Korruption strauchelt. So gibt es auch solche Szenen: ein Souvenirshop mit Duce-Devotionalien; ein Schrottplatz in Lampedusa mit einem Bootswrack von Geflüchteten; eine Demo der rechtsextremen Forza Nuova; das düster-dystopische Wohnquartier Scampia in Neapel; eine Frau sonnt sich am verdreckten Strand. Mein Italien-Sehnsucht-Abend entwickelt sich anders als erwartet. Das Dolce-Vita-Gefühl hat einen bitteren Beigeschmack.
Die Arbeit „Adriatico“ kommt leiser daher. Riccardo Fregoso hat als Kind und Jugendlicher in den 1980er- und 1990er-Jahren an der italienischen Adriaküste unbeschwerte Sommer verbracht. Jetzt in Paris lebend, erfüllt ihn Sehnsucht nach dem einst so himmlischen Ort, und er kehrt als Fotograf zurück. Die süßen Erinnerungen erfüllen sich allerdings nicht immer. Der Horizont ist verstellt von Betonbauten; ein aufgebocktes Schiff rostet vor sich hin; von einer Zapfsäule ist nur noch ein Gerippe übrig; Menschen, die vom Strand kommen, schreiten achtlos an überfüllten Mülleimern vorbei. Da möchte ich die Zähne zusammenbeißen. Doch Riccardo Fregoso beweist ein ungeheures Gespür fürs Atmosphärische. So werden Bausünden, Übertourismus oder Vermüllung in ein warmes, melancholisches Licht getränkt.
Das Übersehbare, das Hässliche wird überhöht und erfährt Bedeutung. Fregosos Augenmerk gilt dabei weniger Menschen als Orten, die Assoziationsräume eröffnen und surreale Momente bergen. Ein gedeckter Klapptisch am Strand, ein abgestelltes Wohnmobil – ich ertappe mich, wie ich die Situationen automatisch mit eigener Imagination auffülle.
Während Jungeblodt das Schöne und das Gemeine dramaturgisch so raffiniert aufeinandertreffen lässt, dass es Reibung ergibt und am Ende einnehmend ist, verfolgt Fregoso das Konzept, das Ephemere ins Poetische zu verkehren und die Fantasie des Betrachters zu bewegen. Hier sind zwei, die, jeder auf seine Art, ganz enge Verbindung fühlen zu dem, was sie feilbieten. Und ich denke: Ist es der Wein, der es mir so warm ums Herz werden lässt? Cips, cips, du-du-du-du-du, tönt es aus der Musikbox. Peter Lindhorst
Christian Jungeblodt: „Bella Italia. On beauty and ugliness“, in Englisch/Italienisch, Kerber, Bielefeld, 2022, 144 Seiten, 102 Fotos, 40 Euro
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