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Nicht nur für harte Jungs

Wenn große Literatur mit dem Zeichenstift in eine Graphic Novel umgesetzt wird, entsteht etwas Neues, manchmal gar etwas Großes

Geschichten von harten Männern, die sich gemeinsam mit anderen harten Männern gegen die harte Natur und die raue See stellen: Ist das Thema mittlerweile nicht obsolet? Die beiden als Graphic Novel umgesetzten Literaturadaptionen „Grönland Odyssee“ und „Auf der Suche nach Moby Dick“ zeigen, dass es natürlich darauf ankommt, wie man dieses Thema angeht.

In „Grönland Odyssee“ nimmt sich der Zeichner Hervé Tanquerelle den Geschichten des hierzulande eher mäßig bekannten dänischen Schriftstellers Jørn Riel an, dessen Œuvre großteils in der Arktik angesiedelt ist. Der Autor lebte selbst 16 Jahre in Grönand und lernte dort die skandinavischen Jäger kennen, deren rauer Alltag ihn zu seinen Geschichten inspirierte. In den 14 Kapiteln des Comics stellt Tanquerelle die Gemengelage dieser schrägen Charaktere vor, lässt dabei die Handlungsfäden vorerst recht lose über die Seiten mäandern und verflicht sie irgendwann unterschiedlich fest miteinander. Dafür lässt er sich auf opulenten 376 Seiten ordentlich Zeit.

Hier finden sich Trapperwohngemeinschaften gegen die Einsamkeit, ein Haushahn gegen die Einsamkeit, gegenseitige Besuche, selbstverständlich ebenfalls gegen die Einsamkeit. Und dann auch immer wieder, wenn es Sommer wird, der jährliche Besuch des Dreimasters „Velsemari“, der die Rauchware der Jäger einsammelt und neue Bewohner und Gäste ablädt.

Anfangs weiß man nicht, wohin die Reise gehen soll und was dieser Kosmos an grundverschiedenen Typen eint, abgesehen von der kalten Weite Grönlands. Doch von Kapitel zu Kapitel fügt sich alles zusammen. Aber es ist nicht die Handlung, es ist die Stimmung, die den Band bestimmt. Melancholische Beobachtungen treffen auf hanebüchenes Seemannsgarn, das pointiert illustriert wird. Der Band ist so eigenwillig wie seine Figuren, die aber gerade auch durch den warmherzig-humorvollen Strich des Zeichners ihren ganz speziellen Reiz entfalten.
Zur Handlung von „Moby Dick“ braucht man bei einer Rezension eigentlich nichts mehr zu schreiben, ist diese doch allein durch ihre unzähligen Adaptionen hinlänglich bekannt; sogar in der Oper lässt sich der Stoff mittlerweile erfahren. Und auch als Comic wurde die Geschichte schon häufig illustriert, von den „Illustrierten Klassikern“ in den 1950er-Jahren bis zum „Erfinder“ der Graphic Novel, dem US-Amerikaner Will Eisner. Doch hat der Roman ja nicht nur eine stringente Handlung, es sprießen immer wieder Zwischenkapitel auf, die sich zu philosophischen Betrachtungen verranken.

Und eben jenen, bei bisherigen Adaptionen wenig beachteten, da nur schwer in eine visuelle Erzählung einzubauenden Kapiteln widmet sich diese Interpretation des französischen Historikers Sylvain Venayre explizit durch den Kniff einer neuen Parallelhandlung. Dort trifft ein Reporter im heutigen Paris während der Recherche zu einer Dokumentation einen Regisseur, der an der Theaterversion des Romans scheitert. Die beiden Figuren tauchen in der parallel erzählten, bekannten Geschichte immer wieder als Ahab und Ismael auf. Diese Herangehensweise ist anfänglich ein wenig verwirrend, aber durchaus spannend und wird durch den fahrigen, skizzenartigen Strich des Zeichners Issac Wens hervorragend getragen. Andreas Eikenroth

Hervé Tanquerelle, Jørn Riel, Gwen de Bonneval: „Grönland Odyssee und andere arktische Erzählungen“, aus dem Französischen von Lilian Pithan, Avant, Berlin, 2020, 376 Seiten, 39 Euro
Sylvain Venayre, Herman Melville, Isaac Wens: „Auf der Suche nach Moby Dick“, aus dem Französischen von Anja Kootz, Knesebeck, München, 2020, 224 Seiten, 28 Euro


Kaum erforscht, schon zerstört?

Zwei neue Räume der Dauerausstellung des Frankfurter Senckenberg-Museums widmen sich der Meeresforschung und der Tiefsee

Ein Pottwal weist den Weg: Er hängt als lebensgroßes Modell im Treppenhaus des 1917 errichteten Altbaus des traditionsreichen Frankfurter Senckenberg-Museums von der Decke und blickt in Richtung des ersten Obergeschosses. Dort sind für die neue Dauerausstellung zwei Räume komplett umgebaut worden, die sich der Meeresforschung und dem Lebensraum Tiefsee widmen.

Im ersten Raum wird das Licht herauf- und heruntergedimmt, entsprechend dem Abtauchen Richtung Meeresgrund nimmt es ab. Man hat eine Laboratmosphäre hergestellt, in der sich Besucher mit der Disziplin der Meeresforschung vertrauter machen können, die erst vor etwa 160 Jahren begann, nachdem Forscher ein defektes Tiefseekabel vom Meeresgrund geholt und darauf etliche Organismen entdeckt hatten. Dies widerlegte die Annahme, die Tiefsee, also der gesamte Bereich ab 200 Metern unter der Meeresoberfläche, sei aufgrund der Dunkelheit und des hohen Drucks nicht belebt.

Der Raum beherbergt Instrumente und Vehikel der Meeresforschung: Der begehbare Nachbau der Bathysphäre etwa, einer Druckkammer, mit der die Tiefseepioniere Otis Barton und Charles William Beebe in den 1930er-Jahren fast 1000 Meter hin- abtauchten, sieht ein wenig aus, als entspränge er einer Illustration zu Jules Vernes „20 000 Meilen unter dem Meer“. Mit dem Tauchroboter „Bembel Frankfurt 11. 000“ können die Besucher in einem „Remotely Operated Vehicles-Control Con- tainer“ während eines virtuellen Tauchgangs den tiefsten Punkt der Erde errei- chen und auf ihrem Weg dorthin Meeres- bewohner von der Seeschildkröte bis zum Fußballfisch ins Visier nehmen.

Vom hellen Meeresforschungs-„Labor“ geht es im zweiten Raum in die Dunkelheit der Tiefsee. Weicher Sportboden simuliert Meeresgrund unter den Füßen und dämpft die Schritte. Haben sich die Augen an die relative Dunkelheit gewöhnt, erkennt man von der Decke hängende, lebensgroße Modelle, unter anderem eines Riemenfischs und eines Riesenkalmars, Letzterer mit imposanten acht Meter Länge ein kleinerer Vertreter seiner Art. Zahlreiche Originalpräparate aus den Sammlungen der Senckenberg-Gesellschaft flankieren drei Dioramen von Lebensraumausschnitten der Tiefsee: Die hydrothermale Quelle („Black Smoker“), der Weichboden und der Walfall bilden die Zentren des Tiefsee-Raums.

Besonders fasziniert das Modell eines Zwergwals im Maßstab eins zu drei, an dem synchron die vier Stadien des Walfalls dargestellt werden, die ein toter Wal auf dem Meeresgrund durchläuft: von der Nahrungsquelle für Schleimaale, Grenadierfische, Schlafhaie, Krebse, Meerborstenwürmer und Bakterien bis hin zum Riffstadium, in dem alles organische Material verzehrt und zersetzt ist und nur die anorganischen Anteile des Walskeletts übrig bleiben: die Hartsubstrate, auf die viele Organismen angewiesen sind.

Der Nebenraum ist der Biolumineszenz gewidmet. Dort gluckst und blubbert es, da das Museum Geräusche der Tiefsee einspielt. Auf Knopfdruck können Tiefseebewohner zum Leuchten gebracht werden, unter anderem Anglerfische – eine bunte Pracht. Wie eindrucksvoll und lebendig es in „Octopus’s Garden“, in der zu 90 Prozent noch unerforschten Tiefsee, zugeht, vermitteln die beiden Räume der Dauerausstellung eindrücklich. Sie verschweigen dabei weder Ambivalenzen dieses Forschungsgebiets, etwa im Umgang mit in der Tiefsee verborgenen Manganknollen, deren Abbau umstritten ist, noch die Störung des Ökosystems Tiefsee durch Überfischung, Vermüllung, Erwärmung und Versauerung der Meere. Beate Tröger

Neue Dauerausstellung: „Tiefsee und Meeresforschung“, Senckenberg-Museum, Frankfurt am Main. Zutritt in Pandemiezeiten nur mit vorab bestellter Zeitfensterreservierung

Thorolf Müller, Gerd Hoffmann-Wieck (Hrsg.): „Tiefsee. Vielfalt in der Dunkelheit“, Senckenberg-Buch 83, 2020, 204 Seiten, 17,90 Euro

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 143. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

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mare No. 143Dezember 2020 / Januar 2021

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