Der Schöne und das Meer
Benjamin Brittens Oper „Billy Budd“: die Enge der Männerwelt auf einem Kriegsschiff
Schon mit den ersten Klängen der Oper „Billy Budd“ von Benjamin Britten sind wir auf hoher See. Die Streicher simulieren durch den rhythmischen Wechsel der Akkorde von B-Dur zu a-Moll den gleichmäßigen Wellenschlag des Nordmeeres. Noch weht nur eine laue Brise, kündigt sich kein Sturm an. Und doch spüren wir in dieser symphonischen Ruhe, im Fließen und Brechen der musikalischen Wellen, daß sich Unheil ankündigt. Wir befinden uns nicht auf einem Luxusdampfer, sondern auf dem britischen Kriegsschiff „Indomitble“ im napoleonischen Seekrieg von 1797. Der sich gemeinsam mit uns dorthin imaginiert, ist vor vielen Jahren Kapitän des Schiffes gewesen: Edward Fairfex Vere, nun ein alter Mann, läßt die Zeit wiederentstehen, da seine Neigungen zu einem jungen, hübschen Matrosen diesen das Leben kosteten.
Der 1913 im Nordseebad Lowestoft geborene Benjamin Britten hat die Rolle von Kapitän Vere für seinen Lebens-gefährten, den lyrischen Tenor Peter Pears, geschrieben. Auf die Idee, die letzte Novelle von Herman Melville als Opernstoff zu nutzen, kam Britten im August 1948.
Zeit seines Lebens war er tief vom Leben am und auf dem Meer angezogen. Wie schon in dem allegorischen Meeresroman „Moby Dick“ verarbeitete Melville auch in „Billy Budd“ seine eigenen Erfahrungen als Matrose auf Walfängern und amerikanischen Kriegsschiffen. Die enge, abgeschlossene Männerwelt auf einem Schiff während eines für England und seine Seemacht so bedeutsamen Krieges wird zum idealen Beobachtungslabor für die gesamte menschliche Gesellschaft, ihre Zwänge und Schäbigkeiten. Britten schildert sie in vielen teils krassen und doch harmonischen Farben, die immer wieder von fast jazzig anmutenden Matrosenliedern über das abenteuerliche See- und promiske Hafenleben aufgelockert werden.
Billy Budd, von allen wegen seines einnehmenden Wesens und seiner Schönheit meist nur zärtlich „Beauty“, „Baby“ oder schlicht „Boy“ genannt, wurde von einem anderen Schiff zwangsweise auf die „Indomitable“ geschleppt, um hier König und Vaterland zu dienen. Mürbe gemacht von wochenlanger Fahrt wartet die zusammengewürfelte Notgemeinschaft zwischen schimmligem Zwieback und verwurmtem Wasser geradezu sehnsüchtig auf eine Konfrontation mit dem Kriegsgegner, auf eine Befreiung aus dem Meeresgefängnis.
Im Gegensatz zu manch anderem auf dem Schiff hat sich der patriotische Billy Budd indes gerne auf die „Indomitable“ zwangsrekrutieren lassen, wo er vom Waffenmeister und Polizeichef des Schiffes, Claggart, sogleich wegen seiner Geschicklichkeit zum Vortoppmann berufen wird. Alle Männer auf dem Schiff schwärmen für Kapitän Vere, für den auch Billy Budd sofort tiefe Zuneigung empfindet. Britten führt uns sehr realistisch das Seeleben dieser Matrosen vor, indem er jedes Hissen, Achtern und Sichern der Brassen auskomponiert.
Sehr schnell schon wird der vollkommene Mustermatrose Billy Budd, dessen Rolle Britten für einen heldischen Bariton schrieb, dem brutalen Claggart ein Dorn im Auge. Aus purem Sadismus klagt er den unschuldigen Billy Budd, der von einer Zukunft als Steuermann träumt, bei Kapitän Vere des größten Verbrechens auf See an: der Meuterei. Die Gegenüberstellung wird für Billy zum Alptraum: Er kann sich vor seinem geliebten Kapitän nicht verteidigen, weil er – wie immer in Aufregung – stottern muß. In Brittens Musik gerinnen Augenblicke zur Ewigkeit, wenn er Billys Stammeln mit scharfem Rasseln unterlegt. Aus purer Not schlägt der sprachlose Billy Budd schließlich zu, und sein Widersacher Claggart fällt tot zu Boden. Britten verändert Melvilles Tenor der Geschichte, wenn er andeutet, warum der hübsche Matrose zum Tode verurteilt und an den Mast gehängt wird: um den Kapitän vor seinen erotischen Gefühlen für Billy Budd zu schützen. Die rauhe Männerwelt der Seefahrer als Kulisse für eine homosexuelle Liebesgeschichte – diese Deutung legte auch die Inszenierung von David Mouchtar-Samorai nahe, die jüngst an der Staatsoper Hannover zu sehen war. Ab November 1997 ist sie dort wieder auf dem Spielplan. Birgit Pauls
1. Originalfassung von 1951, unter der Leitung von B. Britten, Covent Garden Orchestra London.
2. Aufnahme von 1960, unter der Leitung von B. Britten mit dem London Symphony Orchestra.
Termine: „Billy Budd“, Staatsoper Hannover: 18. und 29. November, 2. und 6. Dezember 1997, 8. Januar 1998
Stockfisch
Ein Roman über die kulinarischen Phantasien eines schiffbrüchigen Bischofs
Ein Schiffbruch und die anschließende Robinsonade auf einer namenlosen Insel, möglichst in der Südsee oder in der Karibik gelegen, gehören spätestens seit Defoe zu den grundlegenden Phantasien der Menschheit. Und in einer Welt ohne konkrete, verbliebene einsame Inseln versucht manch einer es ersatzweise mit einem verlängerten Survivaltraining-Wochenende.
Manuel Vázques Montalbán, der vor allem durch seine Kriminalromane bekannte spanische Romancier, Lyriker und – man schmeckt es bei der Lektüre in und zwischen den Zeilen – ausgewiesene Gourmet, hat eine andersartige Robinsonade zu Papier gebracht. Sein Held ist Bischof im „einstweiligen Ruhestand“, Einhandsegler mit hohem Cholesterinspiegel und leidenschaftlicher Feinschmecker, der in der Tat auf einer unbewohnten Karibikinsel strandet. Bei sich trägt er nur sein Notizbuch, zwei Filzstifte und die Geldbörse samt Kreditkarten, unbrauchbare Gegenstände für das nun zu organisierende Überleben. Zur wahrhaften Verfügung stehen ihm hingegen die Erinnerung – und die Phantasie.
Denn daß der Schiffbruch immer eine Metapher für die Krise, den Umbruch, den möglichen Neuanfang bleibt, daran läßt Montalbán von Anfang an keinen Zweifel. „Jeder Schiffbrüchige befindet sich in einer Lage, in der die Sinnlosigkeit des Lebens erkennbar wird, falls nicht sein Sinn gerade darin liegen sollte, daß man sich einen zusammenreimt.“ Auf einer einsamen Insel hat man „keinen anderen Lebenszweck, als von ihr fortzukommen, und solange man diesen nicht erreicht, muß man mit Hilfe dessen überleben, was man weiß und was man vorfindet“. Und so bedauert dieser in Wirtschaftswissenschaften promovierte, einst als Geldwäscher des Vatikans tätige Robinson „von Gottes Gnaden“ auch zutiefst, besser über theologische Abhandlungen und die Liebe zu den Tafelfreuden informiert zu sein als über die Wissenschaft vom Schiffbruch oder gar Bücher wie „Der autarke Gärtner“. In Kenntnis der Behauptung von Aristoteles: „Der Mensch ist, was er ißt“, kann er nur bitterbösen Blutes den Horizont absuchen „in der Hoffnung, daß mich ein Schiff wahrnimmt und mich wieder zu mir bringt“.
Über die Beschaffenheit der Insel erfährt der Leser wenig. Der Gestrandete nimmt mit dem vorlieb, was er an Eßbarem vorfindet – und schwelgt in Gedanken in einstigen Schlemmer-Orgien. Er redet und redet vom Wein – „während es doch nur darum geht, meine Phantasie zu berauschen“.
Die Realität hingegen hält Einzug mit einer angespülten Kiste aus Polyurethan, die mehrere Lagen Kabeljau enthält, genauer gesagt: Klippfisch, salzgepökelten Kabeljau, wie der Autor akribisch ausführt, im Gegensatz zum luftgetrockneten Stockfisch (womit der deutsche Titel, um genau zu sein, sich als Ergebnis einer offensichtlich ungenauen Lektüre seitens des Verlags erweist). Das unerwartete Strandgut wird zum Schmelztiegel von Phantasie und Wirklichkeit: Montalbáns Robinson vergegenwärtigt sich und dem Leser verschiedenste Rezepte wie den portugiesischen Kabeljau „à la Gomes des Sà“ oder den „bacalao au pil pil“ auf baskische Art. Und andererseits kreiert er aus dem vorhandenen Material neue Gerichte: in der Sonne gewärmten Klippfisch mit Papayaraspeln garniert oder gewässerte Klippfischstückchen in Kokosmilch und mittels Vulkangestein zermörsertem Pfeffer.
Der Übersetzer Michael Hofmann hat es brillant verstanden, „Robinsons Überlegungen“ auch im Deutschen zu einem Fest der Worte und der Sinne zu gestalten. Denn das kleine, aber feine Büchlein ist nicht nur ein amüsantes und so ironisches wie selbstironisches Traktat über den gestrandeten Menschen, sondern darüberhinaus eine Hommage an die Kochkunst – und nicht zuletzt an Klippfisch und Stockfisch, denen die portugiesische Küche mit über 365 Rezepten längst ein Denkmal gesetzt hat. Barbara Krohn
Manuel Vázquez Montalbán, „Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch“, aus dem Spanischen von Michael Hofmann, Wagenbach Verlag, Berlin 1997, 92 Seiten, Preis: 22,80 Mark
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