Die Beachboys und ihre Enkel
Eine komplette Geschichte des Surfrock in Ton, Text und Bild: „Cowabunga! – The Surf Box“
Flashback 1960: Sonnengebräunte Wellenreiter in Schlabberhosen hüpfen auf Fiberglasboards über gewaltige „crushers“, brettern durch die Gischt des Pazifischen Ozeans und tauchen durch die „green rooms“ unter sich überschlagenden Wellenkämmen, um nachzusehen, ob das „promised land“ an der Küste Südkaliforniens wirklich zu Ende ist. „Surfen, Sex und Rock’n’Roll“ war alles, was „dudes“ wie Michael Muñoz brauchten: „Wir waren jung und voller Energie. Einen endlosen Sommer lang Insel-Feeling und der Sound von Ukulelen, Gitarren und Trommeln.“
Kaum hatte Fiberglas die Bretter leichter und beweglicher gemacht, avancierte Brandungssurfen zur Massenveranstaltung. „Typen aus dem Valley fuhren mit Surfboards herum, die sie nie benutzten. Hollywoods Glamour leuchtete den Sunset Boulevard hinab bis zum Strand. Es war die perfekte Mischung: wilde Tänze und Musik so ungestüm wie Surfing.“
Den Soundtrack zum „easy living“ der „dudes“ – wie Surfer sich in Abgrenzung zu „hodads“ und anderen „Landeiern“ nannten – lieferten Garagenbands aus den neuen Schlafstädten. Ihr gitarrenbetonter Stil war schnell und tanzbar; für den charakteristischen Echosound sorgte das erste mobile Hallgerät der Rockgeschichte: Fender Reverb. Mit Texten, die wenig über das Badetuch herausreichten, kamen die meisten Surfbands der ersten Welle über lokalen Ruhm, High Schools und Townhalls nicht hinaus, während die Unterhaltungsbranche den endlosen Sommer als ’63er-Version des amerikanischen Traums entdeckte.
„Cowabunga! – The Surf Box“ präsentiert die komplette Geschichte des Surf in Ton, Text und Bild. Neben dem 68 Seiten starken illustrierten Booklet sind auf vier CDs in chronologischer Abfolge alle musikalischen Perlen des Strandsounds aufgezogen: vom Chantays-Instrumental „Pipeline“ über die Beach Boys und Surf-Punks („My beach, my waves, my chicks“) bis zum finnischen Easy-Listening-Surf der 90er Jahre.
„King of the Surf guitar“ war Dick Dale. Sein kraftvolles Gitarrenspiel mit Stakkatorhythmus und orientalischen Versatzstücken kam an: 1960 füllten seine Del-Tones jedes Wochenende den Rendezvous Ballroom auf der Balboa-Halbinsel mit 3000 tanzwütigen Babyboomers. Bekannt wurde der Sohn libanesischer Einwanderer durch das ekstatische Instrumental „Misirlou“, das 1994 als Titelsong von Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ recyclet wurde.
Weniger bekannt (und im englischsprachigen Booklet nachzulesen) ist der Beginn von Dales musikalischer Karriere als Elvis-Imitator und auf der Ukulele. Bis heute spannt Linkshänder Dale stur die Gitarrensaiten verkehrt herum auf, was ihm ein junger Schwarzer nachtat, der Gitarrenunterricht bei Dale nehmen wollte: Jimi Hendrix.
Die Beach Boys mit ihrem Versprechen „Two girls for every boy“ und Spaß, Spaß, Spaß hatten als Binnenländer mit „beach life“ nicht viel zu tun. Außer dem später im Pool ertrunkenen Drummer Dennis Wilson surfte keiner der adretten Buben selbst; Brian Wilson, ihr genial verstockter Bandleader, sollte später kraft psychedelischer Drogen auf ganz anderen Wellen reiten.
Nach der „big wave“ 1963 war erst einmal „ebb tide“: Den Tiefpunkt markierte die von Phil Spector produzierte Schnulze „New York’s a lonely town (when you’re the only surfer boy)“. Revivals machten Surf ab 1980 wieder populär: Bands mit wohlklingenden Namen wie Insect Surfers, Aqua Velvets und Laika & the Cosmonauts veredelten den klassischen Sound durch harte Gitarren und Anleihen bei Spaghettiwestern-Soundtracks und Dizzy Gillespie. Die besten Aufnahmen des CD-Sets – von den Mermen und Dick Dale – sind keine drei Jahre alt: laut, wild und keine Spur retro.
Allein, die California Girls fehlen: Ein einziger von 82 Songs wird von einer Frau gesungen. Außer als „dudettes“ im Cowabunga!-Glossar tauchen „surfer girls“ nur als Strandhäschen auf. Das paßt zur Erinnerung von Star-Dude Corky Cornell, der „White punks on dope“ von den Tubes neu interpretiert: „Im Rendezvous Ballroom hingen immer eine Menge hübscher Mädels rum. Dick hatte ziemliches Interesse an uns jungen, coolen Surfern. Zwischen den Sets war Dale immer bei uns, und wir konnten die Mädels anbaggern.“
1964 war es aus mit Utopia California – Vietnam und die Schüsse auf Präsident Kennedy begannen an der Idylle zu kratzen. Die musikalische Modewelle lief abrupt aus, als eine bis dahin wenig bekannte englische Band in die Charts drängte: die Beatles. Stefan Gerhard
„Cowabunga! – The Surf Box“, vier CDs und 68seitiges Booklet mit vielen Fotos und Diskografie, Rhino Records (Bestellnummer R2 72418), 89 Mark, erhältlich bei 2001 und buch 2000
Philanthrop in moralischer Mission
Ein Städter will – natürlich nur in bester Absicht – die Welt in einem kleinen Englischen Küstenort verbessern
November 1836. Zwei Schiffe steuern denselben Ort an der englischen Westküste an. Die „Tar“ findet noch vor dem Sturm die Einfahrt in den sicheren Hafen von Wherrytown – das andere Schiff, die amerikanische „Belle of Wilmington“, läuft unweit vom Strand auf eine Sandbank auf. Über 400 Kühe, die an Bord waren, ertrinken oder retten sich schwimmend ans Ufer. Und das einzige Wirtshaus von Wherrytown erlebt für einige Tage ein wahres full house: Denn außer den eher rauh gesinnten Seemännern nächtigen dort ein frischvermähltes Pärchen, das mit der Belle nach Kanada auswandern will, der schwarze Schiffssklave namens Otto sowie der Städter Aymer Smith.
Smith ist Mitbesitzer der Seifenfabrik Hector Smith & Söhne, die dank der tatkräftigen Arbeit von 90 Erwachsenen und 20 Kindern 40 000 Stück Seife pro Woche produziert und seit 40 Jahren Soda von den Tangsammlern an der Küste von Wherrytown bezieht. Damit ist es seit der Entdeckung des chemischen Verfahrens zur Gewinnung von Natriumkarbonat vorbei. Und Aymer Smith, ein gutmütiger, gutgewillter, dem Fortschritt verschriebener naiver Mittvierziger, ist höchstpersönlich mit der „Tar“ angereist, um die Tangsammler von Aug zu Aug über das Ende der Zusammenarbeit zu unterrichten. Ein gütliches Ansinnen, das auf keinerlei Gegenliebe stößt – und Smith gegen Ende des Buches einige Zähne kosten wird. Kontaktmann Howell, ein derber Gewinnemacher, läßt den feinen Pinkel aus der Stadt auflaufen, wo es nur geht – die wahren Verlierer aber sind die Tangsammler selbst.
Während es über Nacht eine Sardinenschwemme gibt und der ganze Küstenort auf den Beinen ist, um beim Fischfang zu helfen, während die Schiffsbesatzung die „Belle“ mit Hilfe Howells wieder seetüchtig macht, streift Aymer Smith durch die Dünenlandschaft und entwickelt den Plan, Miggy Bowe, die junge Tocher einer verarmten Tangsammlerin, zu heiraten und somit dem Schicksal zu entreißen. Smiths ,halbgare Ideen‘ sind so lange harmlos, bis er den Sklaven Otto aus der Gefangenschaft in einem Bretterschlag befreit. Das gibt böses Blut. Für den Kapitän ist die Befreiung seines ,Besitztums‘ Diebstahl.
Smith will einfach alles gut, besser, am besten machen, überall helfen, formen, richten, emanzipieren; er fühlt sich für alles Unrecht dieser Welt verantwortlich – aber die Menschen sollen gefälligst auch dankbar sein! Die Doppelmoral läßt grüßen. Sobald sich Aymer Smith die Gelegenheit bietet, hält er lehrreiche Vorträge über dies und das, über Muschelarten, über das Reisen, und da er sich am Meer befindet, kleidet er seine Worte in entsprechende Metaphern: „In unseren Adern fließen die Gezeiten. Unser Blut ist eine Meergischt.“ Er ist entsprechend schockiert, wie andersartig lebendiger Tang aussieht als die bleichen Tangbüschel in den Folianten. Niemand hört ihm richtig zu, außer ihm selbst und dem Ehepaar Norris, mit dem er eine Kammer teilt und dessen Gegenwart er unentwegt sucht, während die beiden lieber der Zweisamkeit frönen würden.
Welten treffen in diesem Roman aufeinander, reiben sich, prallen voneinander ab. Die Leser werden unaufdringlich und erzählerisch feinsinnig hineingezogen in das 19. Jahrhundert, in eine Umbruchphase zwischen Tradition und Fortschritt, bodenständigem Pragmatismus der Bewohner des verschlagenen Küstenortes und den hochfliegenden Ideen des Städters. Aymer Smith ist ein Philanthrop in moralischer Mission und zugleich ein Gefangener von, wie Crace formuliert, „Dünkel, Dogma und Vokabular“, der – sinnbildlich emanzipatorisch – dem Knecht des Wirtshauses als Trinkgeld ein Stück Seife in die Hand drückt... Ein Lesegenuß, sich diesem unbeholfenen und arglosen, zugleich völlig auf sich bezogenen Junggesellen anzuschließen bei seinen Erkundungsgängen der Meeresküste. Smith ist eine komitragische Figur, die Jim Crace, preisgekrönter Verfasser dreier Romane, hier in die Welt setzt und mit feinster Ironie umspinnt. Während das Meer die „Tar“ und die „Belle“ fahren läßt – oder aber dem Untergang entgegen treibt... Barbara Krohn
Jim Crace, „Der Mann, der die Welt verbessern wollte“, Roman, Aus dem Englischen von Joachim Kalka, Luchterhand Literaturverlag München 1997, 288 Seiten, 39,80 Mark
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