„Auf, Matrosen, ohé! In die wogende See!“
Ein Baske komponierte das Lied, das auf der ganzen Welt zum Gassenhauer wurde und in tausenden von Fassungen fortlebt
Wer in Österreich seinen Segelschein macht, lernt nicht nur die Fock runterzuholen oder den Spinnaker hochzuziehen. Im Kapitel „Verhalten an Bord“ des Segelschulbuches steht geschrieben, daß es aus Pietät gegenüber Erzherzog Ferdinand Maximilian verboten ist, auf österreichischen Schiffen „La Paloma“ zu singen.
Der Erzherzog, ein Bruder von Kaiser Franz Joseph I., hatte sich 1863 zum Kaiser von Mexiko krönen lassen und war vier Jahre später, nach dem Abzug der französischen Truppen und der Befreiung Mexikos durch die Republikaner, hingerichtet worden. „La Paloma“ war sein absolutes Lieblingslied, auch wenn es nicht als verbürgt gilt, daß er in der Stunde seines Todes den Wunsch geäußert habe, es noch ein letztes Mal hören zu dürfen.
Die „Paloma“ war höchstwahrscheinlich von José Zorillo, einem spanischen Dichter, von Havanna nach Mexiko importiert worden, wo sie sich schnell größter Beliebtheit erfreute – nicht nur bei Hofe. Im Volk kursierten bald Spottverse auf die Obrigkeit und die Kinderlosigkeit des Kaiserpaares. Aus „La Paloma“ wurde „Mama Carlota“, wie sich die Kaiserin Charlotte nach Inthronisation und erfolgter Hispanisierung nannte: „Das Schiff geht über die Meere und fliegt wie ein Ball, lebe wohl, Mama Carlota, wenn die Franzosen abziehen, geht auch der Kaiser.“
Fünfzig Jahre später zählten die Musikverleger weltweit bereits 2000 Fassungen des Liedes für Ensembles, Vokalkünstler und so ziemlich jedes Instrument. Auf Schallplatten wurde es oft als mexikanisches, kubanisches oder spanisches Volkslied ausgegeben, komponiert worden ist es jedoch während einer Kubareise (oder im Anschluß daran) von dem Basken Sebastián de Iradier. Der Form nach ist es eine Habanera – neben „Carmen“ die berühmteste der Welt. Und es gibt kein anderes Lied, das so oft gesungen, interpretiert und auf Tonträgern konserviert wurde wie „Die weiße Taube“ mit dem bekannten Refrain: „Auf, Matrosen, ohé! In die wogende See! Schwarze Gedanken, sie wanken und fliehn geschwind uns wie Sturm und Wind.“
Elvis Presley hat es gesungen, Dean Martin veröffentlichte es, Charlie Parker drehte es durch den Fleischwolf des Free Jazz, Freddy Fender machte daraus eine Countrynummer. „La Paloma“ gehört zum Repertoire von Schlagersängern, ertönt als Tango, Walzer, Marsch oder Twist und plazierte sich auch in Goebbels’ Hitparade, dem Wehrmachts-Wunschkonzert der Nazis, auf den vorderen Rängen. Auch das Kino wollte auf den Schmachtfetzen nicht verzichten: In Filmen wie „Das Geisterhaus“, „Das Boot“ oder „Die Blechtrommel“ war es ebenso zu hören wie in „Schtonk“ oder „Star Trek“.
Eine deutsche Version von „La Paloma“ war bereits in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts unter dem Titel „Mexikanisches Lied“ veröffentlicht worden. Zum Gassenhauer wurde das Lied hierzulande aber erst, als es von Rosita Serrano, den Comedian Harmonists und vor allem von Hans Albers gesungen wurde. Für den Film „Große Freiheit Nr. 7“, der 1943 im bereits zerbombten Hamburg gedreht wurde, hatte der Regisseur Helmut Käutner eigens einen neuen Text geschrieben: „La Paloma – ohé! Einmal muß es vorbei sein.“ Die Nazis witterten zu Recht Verrat. Der Film wurde gleich nach der Premiere verboten, weil darin angeblich der deutsche Seemann als Trunkenbold verunglimpft wurde, und konnte erst nach dem Krieg aufgeführt werden.
Die Seemannsromantik des blonden Hans traf die Deutschen ins Mark. Mit dem sentimentalen Liedchen kurierten sie ihr Heim- und Fernweh, ganz gleich, ob es nun von Caterina Valente, Freddy Quinn oder Mireille Mathieu gesungen wurde.
Nachdem der Klangsammler und Soundgärtner Kalle Laar Mitte der 90er eine Auswahl der „ineinander verwobenen Kulturgeschichten aus aller Welt“ im bayerischen „Zündfunk“ vorgestellt hatte, meldete sich bei ihm das Münchner Trikont-Label mit dem Ansinnen, eine Art musikalische Gesamtausgabe des meistverbreiteten Songs aller Zeiten zu erstellen: „One song for all worlds“.
Mittlerweile sind bereits drei CDs erschienen, auf denen sich hawaiianische Gitarren-Duos ganz unorthodox mit Militär-Orchestern, Tex-Mex-Bands und Oktoberfest-Kapellen abwechseln. Der estnische Radio-Chor ist ebenso dabei wie die „Paloma“, mit der die Reisenden im Bahnhof von Harbin in der Mandschurei begrüßt werden. Und das Schöne ist: Die bislang 75 kompilierten Versionen unterscheiden sich so sehr voneinander, daß man sie durchaus hintereinander hören und dazu tanzen kann, ohne genervt zu sein. Maximilian der Unglückliche hätte sicher seine Freude daran gehabt – und die Vorschriften für das „Verhalten an Bord“ österreichischer Schiffe geändert. Hollow Skai
„La Paloma“, One song for all worlds, Vol. I – III, Trikont, 1995 bis 1997
Gesundes Meer, kranke Welt
Klassiker der Maritimen Literatur: 1882 schrieb Alexander Kielland seinen Schlüsselroman über Norwegen am Vorabend der Moderne
Als der alte Seebär Kapitän Worse von einer Südamerikafahrt in den norwegischen Heimathafen zurückkehrt, ahnt er noch nichts von den Enttäuschungen, die ihm hier bevorstehen. Nicht nur hat sein bester Freund Kapitän Randulf sich kurz zuvor auf Fahrt begeben, im Klub trifft Worse lauter finnische Seeleute, die sich von seinen Abenteuern während der Atlantiküberfahrt nicht beeindrucken lassen. Zu guter Letzt muß er auch noch den ersten Abend an Land im Kreis der religiösen Schwärmer um die „scheinheilige Betschwester“ Madame Torvestad verbringen.
Worse ahnt auch noch nicht, welche Wendungen für sein Leben das mit sich bringen soll. Denn Madame Torvestads Tochter Sarah, die er schon als Mädchen kannte, ist zu einer jungen hübschen Frau herangewachsen. Obwohl sie zu den „Heiligen“ gehört und Worse in den Augen der resoluten Mutter eine verirrte Seele ist, ist diese nur allzu bereit, Sarah dem Seemann zur Frau zu geben. Indes soll Worse einen hohen Preis zahlen: Er muß geloben, der See für immer zu entsagen, ist für Madame das Leben auf See doch gleichbedeutend mit einem Leben in Sünde.
Alexander Kiellands „Kapitän Worse“ aus dem Jahr 1882 erzählt die Geschichte von einem, der auf See zu Hause ist und untergeht, weil er auf dem Trockenen leben soll. Der Roman entstand zu einer Zeit, als die norwegische Literatur erstmals internationale Bedeutung erlangte, und gehört zu den unumstrittenen Klassikern der europäischen Moderne. Selbst Theodor Fontane und Thomas Mann beriefen sich auf ihn. 1880 hatte Kielland mit „Garman & Worse“, einem Familienroman über ein norwegisches Handelshaus, sein fulminantes Romandebüt vorgelegt und sich unmittelbare Berühmtheit erworben.
Kiellands eigentliches Thema war hier wie in seinen anderen Werken die norwegische Gesellschaft und ihre Institutionen: die Kirche, der Handel, die Schule und die Beamten. Mit Biß und Humor schrieb der Autor über die Spannungen, wie sie in der Auseinandersetzung um die alten patriarchischen Ideen und die in ihrer Zeit neuen Gedanken über das Recht des Individuums, in Einklang mit seiner eigenen Überzeugung zu leben, zum Ausdruck kamen. Sein „Kapitän Worse“ ist ein kritisch-realistischer Gesellschaftsroman, eine mit psychologischem Feingefühl erzählte Ehegeschichte, die aber auch eindrücklich die sprachliche Virtuosität und stilistische Meisterschaft ihres Autors belegt. Denn Kiellands Dichtung war immer stark der Heimattradition verbunden: Das Walten der Elemente, die Fjorde Westnorwegens, die grüne Flur und das Meer, „das letzte Gesunde in der kranken Welt“, waren zentrale Themen bei ihm.
In „Kapitän Worse“ ist es vor allem ein tosender Sturm, der die Leser in den Strudel der Ereignisse reißt, ein Sturm, in den die dramatischen Geschehnisse um den alten Worse und seine junge Frau eingebettet sind. Mag die Kritik an der Lebensfeindlichkeit pietistischer Grundhaltungen mittlerweile etwas verstaubt wirken, neben der psychologischen Figurenzeichnung sind es gerade die lyrischen Stimmungsbilder, die den Roman auch heute noch lesenswert machen. Raimund Wolfert
Alexander Kielland: „Kapitän Worse“. Aus dem Norwegischen von C. von Sarauw. Manesse, Zürich 1995, 275 Seiten, 28,80 Mark (jüngste Ausgabe)
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