Im Grießpudding kentert ein Spielzeugboot
Wasser ist ein lausiger Schauspieler. Wolfgang Petersen verfilmt Sebastian Jungers „Sturm“ und geht trotz aufwändiger Tricktechnik mit seiner künstlichen Riesenwelle baden
Ende Oktober 1991 braute sich vor der Ostküste der USA etwas zusammen: Der Hurrikan „Grace“ trifft vor Neufundland auf zwei weitere Schlechtwetterfronten und löst eine meteorologische Kettenreaktion aus – mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 160 Stundenkilometern und 30 Meter hohen Wellen auf dem Atlantischen Ozean. Als das Unwetter zur Halloween-Nacht losbricht, ist die sechsköpfige Besatzung des glücklosen Fischtrawlers „Andrea Gail“ aus Gloucester im US-Bundesstaat Massachusetts weit draußen in den Schwertfischgründen und mittendrin in einem der gewaltigsten Stürme seit Menschengedenken.
„Perfect Storm“, der vollendete Sturm, nannte Sebastian Junger das verhängnisvolle Wetterphänomen und seinen 1997 erschienenen Debütroman über das Schicksal der „Andrea Gail“ gleich dazu. Amtliche Berichte, Interviews mit Überlebenden ähnlicher Stürme und Betrachtungen zu Meteorologie und Fischereiwirtschaft hat Junger zu einer spannenden Erzählung mit sehr amerikanischem Pathos verwoben, deren Höhepunkt die Beschreibung jener gewaltigen Welle bildet, die das Schiff der Schwertfischer versenkt. Bestsellerdramatik pur für einen Hollywoodfilm, den der Regisseur Wolfgang Petersen („Das Boot“) mit dem größten Tricktechnikteam gedreht hat, das je auf einen Film außerhalb des Sciencefiction-Genres angesetzt wurde.
Aber ach! In der Verfilmung von „Der Sturm“ mit George Clooney und Mark Wahlberg in den Hauptrollen, die seit dem 20. Juli in den deutschen Kinos läuft, sieht die große, alles vernichtende Welle des Jahrhundertsturms aus wie ein hochhausgroßer Grießpudding, auf dem ein Spielzeugboot treibt. Was die Produktionsfirma als die höchste Vollendung computergestützter Animation preist, beeindruckt auf der Leinwand so wenig wie die meisten Wellen- und Sturmfluteffekte, die sich im Lauf der Filmgeschichte über das Kinopublikum ergossen haben.
Denn die Welle zu machen, ohne ein wirkliches Meer vor der Linse zu haben, ist eine der heikelsten Aufgaben beim Film. Von der blau angestrahlten Folie, die von einer Windmaschine gezaust wird, führte der Weg der Filmillusionisten über immer größere Bassins bis zum digital erzeugten Wasser aus dem Computer. Lange Zeit galten Bilder von Studio-Springfluten und Miniaturmodellen als sicheres Zeichen für schlechtes Kino.
„Die größte Schwierigkeit bei Welleneffekten ist die natürliche Tröpfchengröße des Wassers“, erklärt der Filmtrickexperte Thomas Mulack, der sich für die Babelsberger Spezialeffektfirma Effectory mit Wasser im Film beschäftigt: „Egal wie groß die Modelle der Städte, Schiffe und Küsten sind, die man mit Wasser in Berührung bringt: Eine kleine Welle sieht auch im Cinemascope-Format nicht wie ein Brecher aus.“ So ist von „Godzilla“ bis zu „Raumpatrouille Orion“ deutlich zu erkennen, dass der Sturm auf Zelluloid im Wasserglas angeblasen wurde.
Um die pflugartige Wellenteilung durch einen Schiffskörper und typische V-förmige Heckwelle zu erzeugen, wurden immer größere Schiffsmodelle auf Schienen durch Wasserbassins gezogen – bis zur letzten „Titanic“-Verfilmung von 1998, für die Schiffsmodelle von zwei bis 20 Metern Größe eingesetzt wurden. Das Angebot einer polnischen Werft, die „Titanic“ in Originalgröße nachzubauen, weiß Mulack, habe die Produktionsfirma nur deshalb dankend abgelehnt, weil das den Zeitplan gesprengt hätte: Das Schiff wäre erst 2002 fertig geworden. Ohnehin war bereits ein – der Länge nach halbiertes – Modell fast in Originalgröße im Einsatz.
Hilfe gegen die Tücken der Natur bietet seit Mitte der neunziger Jahre die digitale Tricktechnik. Für die Konstruktion künstlicher Meeresoberflächen mit spezifischer Wellenkräuselung und Farbe je nach gedachter Wassertiefe und Sonnenlichtstärke gibt es heute Standardsoftware, die auf jedem besseren PC läuft. Aber wehe, wenn die virtuelle Welle auf ein reales Hindernis trifft wie eine Stadt oder ein Schiff: Beim Ineinanderkopieren der Bilder ist Handarbeit mit Retusche Bild für Bild gefragt. Und das sieht der Zuschauer.
Die weitaus schwierigste Übung ist es, Wellen am Rechner zu bauen, die sich authentisch verhalten, den richtigen Auf- und Abschwung besitzen und dabei virtuellem Wind ausgesetzt sind – und Schiffe untergehen lassen können. Bei „Perfect Storm“ hat die Tricktechnik – wie auch bei „The Abyss“ und „Waterworld“ – das menschliche Auge nicht täuschen können. Stefan Gerhard
„Der Sturm“ – USA 2000, Regie: Wolfgang Petersen, Darsteller: George Clooney, Mark Wahlberg, Mary E. Mastrantonio u. a.,
Sebastian Junger: „Der Sturm“, Diana-Verlag, München 1998, 348 Seiten, 16 Mark
Dudelsack auf Atlantikreise
Von Irland nach Labrador: Shaun Davey hat die abenteuerliche Seefahrt des Heiligen Brendan vertont
Der heilige Brendan war ein eifriger Missionar und mutig dazu. In einem winzigen Nachen segelte er zu Beginn des sechsten Jahrhunderts von Irland auf den Atlantik hinaus, um das Christentum unter den Nordmännern zu verbreiten. Zu den Färöer-Inseln ist er gekommen, nach Island und zu einer fernen Küste, die er das „Gelobte Land der Heiligen“ nannte. Amerika?
Der britische Abenteurer Tim Severin ist 1976 in einem Nachbau der Nussschale Brendans auf den Spuren des mutigen irischen Mönchs gesegelt – und tatsächlich bis nach Neufundland gekommen. Das war zwar noch kein Beweis, dass Brendan die Neue Welt vor Columbus entdeckt hat, aber immerhin.
Beide Fahrten, die Brendans und die Severins, haben auf jeden Fall den irischen Musiker Shaun Davey inspiriert, seine Orchestersuite „Brendan Voyage“ zu komponieren. Den Part Brendans übernimmt dabei das irischste aller Instrumente, die Uilleann Pipe, eine nahe Verwandte des schottischen Dudelsacks. Die Uilleann Pipe hat allerdings dank zusätzlicher Klappen und Ventile einen weit größeren Tonumfang als der Dudelsack. Anders auch als ihr schottisches Pendant bekommt sie ihre Luft aus einem Blasebalg, der mit dem linken Ellenbogen aufgepumpt wird.
Gespielt wird Brendans Überfahrt von einem der besten und bekanntesten Piper Irlands, Liam O’Flynn. Neben einem 48-köpfigen Orchester unter der Leitung von Noel Kelehan spielen noch Paul MacAteer an den Drums und Garvan Gallagher am E-Bass. Tommy Hayes bedient die Bodhran, die große irische Handtrommel.
Auf der Fahrt gen Westen symbolisieren die hellen, jubilierenden Töne der Uilleann Pipe den Optimismus des Missionars, Pauken und Streicher dagegen die Naturgewalten, die Brendans Reise so beschwerlich machen. In „Journey to the Faeroes“ spielen Oboen die Schreie der Möwen, die vom nahen Land künden. In „Cliffs of Mykines“ lassen Pauken und schrille Flötenpassagen die Gefahr ahnen, in die sich der Segler begibt. Erst wenn die Uilleann Pipe wieder erklingt, können die Zuhörer aufatmen. Die Gefahr ist gebannt, Brendans Zuversicht triumphiert.
Aber Shaun Davey schickt weitere Unbill auf die Reise: finstere Wolken, haushohe Wellenberge, eisige Schaumkronen. Der Komponist, der übrigens im vergangenen Jahr die Musik zur Filmkomödie „Lang lebe Ned Divine“ geschrieben hat, beherrscht das Handwerk der Tonmalerei perfekt. Die Abenteuer der Segler Brendan und Severin sind stürmisch in Klang und Rhythmus umgesetzt.
Dass „Brendan Voyage“ noch mehr als ein gelungenes Stück Programmmusik ist, verdankt das Werk aber vor allem der Uilleann Pipe. Liam O’Flynn steuert in rasanten Läufen durch Stücke wie „The Gale“ und empfängt seine Zuhörer am Ende der Reise in „Newfoundland“ mit einer samtweich gespielten Melodie.
Der heilige Brendan hat mit seiner Reise also zumindest eines geschafft – wieder ein paar musikalische Heiden zum Glauben an die Uilleann Pipe bekehrt. Sie ist eine echte Entdeckung, garantiert. Rainer Wenzel
„The Brendan Voyage“, Tara Records, Dublin, erhältlich bei „Old songs new songs“, e-mail: osns@aol.com oder Tel.: 02327/882 48
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