Im Seichten fischen
Schnulzen singende Fische und intrigante Kraken: Das Züricher Musical „Deep“ in der Regie von Mathias Davids
Musicals haben selten Tiefgang. Das ändert sich auch nicht, wenn man den Schauplatz in die Tiefen des Meeres verlegt. „Deep“, die Schweizer Musicalproduktion, die in einer ehemaligen Fabrikhalle im trendigen Züricher Westend am 15. März Premiere feierte, scheint eigens inszeniert worden zu sein, um dies zu beweisen. Da singen bunte Fische Lieder von Liebe, Leid und Leidenschaft, stoßen dabei Plattitüden aus wie ein hyperventilierender Taucher Luftblasen und bewegen sich flossenflatternd über eine Bühne, deren Ausstattung – ein paar Wrackteile und das Fragment einer antikisierenden Statue – einem Aquarium aus dem Versandhauskatalog entstammen könnte.
Der Autor Charles Lewinsky, in der Schweiz bekannt als Texter von TV-Soaps, erzählt die Geschichte vom Prinzen Skalian, der als Partykönig Triumphe feiert, dem alles Ernste ein Gräuel ist und der nach der Ermordung seines Papas natürlich prompt und wider Willen zum Thronfolger bestimmt wird. Ihm zur Seite steht die Fischfrau Thalassa, die im letzten Moment eine Verschwörung aufdeckt, hinter der eine behinderte Krabbe und ein intriganter weiblicher Krake stecken. Natürlich finden Skalian und Thalassa zueinander, und happy wird am End geheiratet.
Die Geschichte bietet so wenig Überraschendes wie eine leere Tunfischdose. Da auch noch auf Deutsch gesungen wird, muss man sich schon sehr konzentrieren, damit einem der einzige Genuss, die Musik, nicht entgeht. Der Komponist Markus Schönholzer scheint sich als Einziger bewusst gewesen zu sein, dass das Meer ein flüssiges Medium ist. Entsprechend mixt er diverse Stile, kreiert perlende Übergänge von Schnulze zu Rock, von Humptata zu Drum ’n’ Bass. Den Sängerinnen und Sängern verlangt er damit Erhebliches ab.
Zu den Highlights des Musicals gehören insbesondere die Songs der düsteren Figuren – der machthungrigen Krabbe und vor allem des Kraken. Diesem, vielarmig gespielt und facettenreich gesungen von Sylvia Moss, hat Schönholzer Melodien auf den rubinenbesetzten Leib geschrieben, die mitunter von Weill’scher Qualität sind. Vom Liebesschnulzen-Mainstream der püppigen Thalassa und des unerträglich noblen Skalian, gesungen von Nicole Rössler und Aris Sas, heben sie sich ab wie ein Schuss echter Krakentinte in türkisblauem Badewasser. Wäre davon doch nur mehr zu hören. Aber schon sprudeln die Fische wieder dummes Zeug hervor, wenn sie doch einfach besser nur mit den Kiemen flattern würden. Das wäre wenigstens hübsch anzusehen, könnte man aber billiger und auch ohne die Verpflichtung, stundenlang auszuharren, in der Zootierhandlung um die Ecke haben. Ronald Schenkel
„Deep“ Mittwoch bis Samstag 20 Uhr, Sonntag 14 und 19 Uhr. Maag Music Hall, Hardstraße 219, Zürich/CH. Auskunft und Tickets: 0900/111 222 oder www.deep-musical.ch
Austria ahoi!
Tagebuch eines Landarbeiters bei der österreichischen Marine
Immer wieder schlägt der Henker dem Delinquenten mit der Peitsche auf die Fußsohlen. 26, 27, 28 Hiebe. Angewidert ziehen die ausländischen Matrosen weiter. Dieses Tunis mit seinem Schmutz, seinem zerlumpten Militär, seinen Bettlern, das ist nicht ihre Welt. Und weiter geht ihre Fahrt auf dem Kriegsschiff „Novara“ durch die Adria, um Italien herum, in den Heimathafen Venedig. Mit an Bord ist Johann Stefan, einfacher Matrose, früher einmal mittelloser Landarbeiter in Kärnten. Es ist das Jahr 1851.
Ein ungewöhnlicher Reiseroman entfaltet sich hier Kapitel für Kapitel. Zwischen all den Fahrten, Flauten und Seegefechten die vielleicht schrillste Szene: Die „Novara“ ankert im Hafen von Veracruz. An Bord ein hoher Gast – Maximilian von Habsburg, ehemaliger Marinekommandant und zukünftiger Kaiser von Mexiko, der den dortigen republikanischen Rebellen das Fürchten beibringen soll. Das Schiff setzt ihn ab und dampft zurück in die Heimat. Ein halbes Jahr vergeht, da nehmen die Aufständischen den Habsburger gefangen und erschießen ihn standrechtlich. Lange schon liegt der tote Kaiser in einer Holzkiste in der tropisch heißen Sonne, bis die „Novara“ erneut vor Veracruz kreuzt. Was hilft es? Maximilian muss an Bord, daheim in Wien wartet man auf ihn. Und des Kaisers letzte Seereise beginnt.
Der heute in Istanbul lebende österreichische Schriftsteller Robert Gratzer hat mit „Lorbeerreiser“ einen wunderbaren Roman montiert. Er führt uns zurück in die Tage der K.K.-Monarchie, als die im 18. Jahrhundert aus der Donauflottille hervorgegangene österreichische Kriegsmarine ihre besten Tage erlebte: 1864 Seesieg vor Helgoland über die Dänen; Sieg bei Lissa 1866 über die nach nationaler Unabhängigkeit strebenden Italiener. Dazu zahlreiche wissenschaftliche Expeditionen, geographische, meteorologische, hydrographische Forschungen. Immer wie- der jedoch kehrt der Leser auch in die Kärntner Bergwelt ein, wo die Marine mittellose Bauernjungen anwirbt, wo stellvertretend für viele Johann Stefans Sohn heranwächst, der nie den zur See fahrenden Vater kennen lernen wird.
Dabei handelt es sich keineswegs um eine Fantasieproduktion; die Geschichte beruht auf gründlichen Recherchen. Gratzer stützt sich auf das noch unveröffentlichte Tagebuch des Matrosen Johann Stefan, der von 1851 bis 1881 auf österreichischen Kriegsschiffen als Maschinist fuhr. Hinterlassen hat Stefan einige hundert Seiten Text: kurze, präzise Angaben zu Wind und Wetter, Routen und Ankerplätzen, Kanonenschüssen und Einschlägen; militärisch knappe Notizen, die fast gänzlich frei von Emotionen sind. Zwischen diese kargen Zeilen setzt Gratzer Eigenes: Er schmückt aus, was der Matrose Stefan nur andeutet, und zeigt dessen ungelebtes Leben als Bauer wie Vater anhand volkskundlicher Details aus seiner Heimat Kärnten.
Man ist beim Lesen hin- und hergeschüttelt zwischen diesen beiden Welten, zwischen Aufbruch und Ohnmacht. Denn mag der Wind auch auffrischen, mögen sich die Segel kraftvoll blähen, schnell herrscht auf dem Meer zwischen Casablanca und Kuba in den Mannschaftsräumen eine ähnliche Enge und Finsternis wie in der österreichischen Bergwelt. Bald weiß man nicht, wo man verlorener ist. Frank Keil
Robert Gratzer: „Lorbeerreiser“, Roman, Bibliothek der Provinz, Weitra, 2001, 251 Seiten, 21,99 Euro
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