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Der Dhau auf den Grund gegangen
Ein Bildband, der mehr zeigt als Bilder: Beat Presser ist nicht nur Fotograf, sondern auch Berichterstatter seiner abenteuerlichen Reisen

Eine Dhau im Gegenlicht. Vorne eine Palme, deren Blätter akkurat ins Bild ragen. Im Hintergrund weitere Schiffe, dahinter das große Nichts, die Weite des Meeres. Schon beim Betrachten des Covers des neuen Buches Beat Pressers bekommt man Sehnsuchtsgefühle – nur den weißen Sandstrand, den müssen wir uns dazudenken, denn der ist auf der Fotografie nicht mehr zu sehen. Auf Sansibar oder in Dubai werden sie touristisch vermarktet: Fahrten mit den Dhaus, jenen vor allem rund um den Indischen Ozean zu findenden Booten mit Dreieckssegeln, die sich seit mindestens 1000 Jahren nur unwesentlich verändert haben und bis heute auf traditionelle Weise mit Drechsel, Hobel und Axt, aus Holz und Kokosfasern gebaut werden.

Das Buch „Dhau. Beatus Piratus auf Sindbads Spuren“ versteht sich als eine fotografische Hommage an den Bootstyp – und die Fotografie auf dem Cover ist ungewöhnlich für diese Bilder. Im Buchinneren dominieren dokumentarische Aufnahmen den aufwendigen Arbeitsprozess. Bevor ein Schiff in See stechen kann, müssen Hunderte Löcher in das Holz gebohrt werden – nur einer von vielen Schritten zum Glück des eigenen Bootes.

„Dhau“ oder „Dau“ ist das europäische Wort für etwa ein Dutzend Bootstypen mit langem Vordersteven, die der Fischerei dienen, in größeren Varianten aber auch als strapazierfähige Frachtschiffe zwischen Ostafrika, China und Indien zum Einsatz kamen. Bis heute umwölkt der süße Duft des Exotischen die Dhau. Seefahrerlegenden wie die von Sindbad dem Seefahrer kommen ohne eine prächtige Dhau nicht aus. In den Vereinigten Arabischen Emiraten sind die Schiffe ein Magnet des Tourismus, die zwischen Wolkenkratzern Authentizität und Historie vermitteln sollen; doch mit der traditionellen Herstellung nimmt man es oft nicht mehr so genau. Inzwischen kommen beim Bau auch Materialien wie Fiberglas und Stahlnägel zum Einsatz.

Dagegen setzt Beat Presser oft karge Schwarz-Weiß-Bilder, die den Aufbau eines solchen Schiffes dokumentieren. Der 1952 geborene Schweizer hat lange als Modefotograf gearbeitet, später dann die abgelegensten Ecken der Welt ausgeleuchtet – viel beachtet wurden vor allem seine Kinski-Fotografien am Set von „Fitzcarraldo“ und „Cobra Verde“. Auf „Sindbads Spuren“ zeigt sich Presser als ein Fotograf, dessen Bilder beides sein wollen: sachlich-detaillierte Dokumentation, aber auch atmosphärisches Stimmungsbild. Beides gelingt, und im körnigen Schwarz-Weiß verliert noch jeder Traumstrand den Hautgout des touristischen Blicks. Die vor allem in Sansibar, auf den Inseln Mafia, Pemba und auf Madagaskar entstandenen Fotografien dokumentieren den Bau der Schiffe aus Teak und Mangrovenholz, illustrieren Alltag und Leben am Meer; dazu kommen unprätentiöse Porträts der Menschen, die Presser auf seinen Reisen getroffen hat.

Zu etwas Besonderem wird das sorgsam gestaltete Buch auch dadurch, dass es Fotobuch und gleichzeitig Reisebericht ist. Nach einer Einführung in die Dhauschifffahrt durch Abdul Sheriff, Leiter des Zanzibar Indian Ocean Research Institute, folgt ein Bericht über die 2009 und 2010 unternommenen Reisen Pressers, die den Fotografen als spannenden Erzähler ausweisen. Denn seine Reisen zu den Ursprüngen der Dhauschifffahrt entwickeln sich zu einem nicht ungefährlichen Abenteuer, inklusive Begegnungen mit Piraten, Schmugglern und einer Beinahemeuterei gegen einen allzu sorglosen, inkompetenten Kapitän. Unter dem Titel „Auf Sindbads Spuren“ zeigt das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven eine Auswahl von Beat Pressers Fotografien. Marc Peschke

Beat Presser, Abdul Sheriff: „Dhau. Beatus Piratus auf Sindbads Spuren“, Moser Verlag, München, 2011,160 Seiten, 58 Euro

Ausstellung „Auf Sindbads Spuren“, Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven, bis 30. Oktober


Ewigkeit am Haken
16 Angelgeschichten von Anton Tschechow bis Thor Heyerdahl

Kein dicker Fisch, eher ein schillerndes Fischlein ist dieses schöne, kleine Buch. 16 Geschichten rund ums Angeln hat der Schweizer Unionsverlag mit Leinen und Lesebändchen verpackt – schon als Objekt ist es ein guter Fang.

Beginnt man zu schmökern, zwischen Meister Anton Tschechow, der Neuseeländerin Keri Hulme oder dem norwegischen Abenteurer Thor Heyerdahl, da erkennt man wieder die Vorteile der Literatur, im Vergleich zum Angelsport und generell zum Leben. Sie strafft die Schnur der Spannung durch raffendes Erzählen und wird szenisch, sobald es zappelt: Aufregung pur also.

Deshalb sollte man ein Buch übers Angeln auch nicht mit Selbigem vergleichen. Schon gar nicht, wenn den Lesern die besten Happen auf so köstliche Weise serviert werden. Wer möchte nicht mit Anton Tschechow eine Aalraupe aus dem Wurzelwerk einer Weide herausziehen („Pack sie bei den Kiemen, bei den Kiemen!“), mit Keri Hulme die Wanderung winziger Sprotten erleben („eine sagenhafte Masse Lebens … brodelnder Sprottenschaum, wahnsinnig, wild, entschlossen, ein Fluss aus Leben“), mit Thor Heyerdahl im Pazifik gegen Haie kämpfen oder mit Juri Rytchëus Augen den Walfang betrachten? Beim Angeln geht es bekanntlich um mehr als Beutefang. Es geht um Selbstfindung, und es geht darum, wie Norman Mclean in seiner Erzählung „In der Mitte entspringt ein Fluss“ schreibt, „die Ewigkeit zu einem Augenblick zu verdichten“. Im Seichten angeln die Autoren dieser Sammlung gewiss nicht. Brigitte Kramer

Brigitte Heinrich (Hrsg.): „Der große Fang – Geschichten von Fisch und Mensch“, Unionsverlag, Zürich, 2011,250 Seiten, 12,90 Euro

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 88. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 88

No. 88Oktober / November 2011

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