Mallorcas Miraculixe

Das Pflücken von Meerfenchel ware einst ein Armeleutebrauch auf Mallorca. Heute ist das eingelegte Seemannsgemüse Delikatesse und Kennzeichen authentischer balearischer Küche

Wenn Miquel Ramis aus Llubí in Mallorcas Mitte zum Handy greift, dann rühren sich alle: Joan, Pep, Sebastià und einer, der genauso heißt wie der Chef, Miquel. Ruft der 64-jährige Unternehmer an, immer im Mai, dann holen sie die Sichel und die großen Säcke aus dem Schuppen und machen sich auf an die Ostküste der Insel.

„Bringt mir 400 Kilo, jeden Tag, und nicht alles auf einmal, sonst kommen die Frauen nicht nach“, hat ihnen der Konservenmann ins Handy gerufen. Jetzt sitzen die alten Männer schon in ihren Autos. 400 Kilo, 1200 Euro am Tag. Ein gutes Geschäft. Denn die Männer müssen nicht aufs Meer hinaus, sie müssen nicht tauchen oder sich gar abseilen. Sie gehen einfach über Mallorcas flache Ostküste und schneiden ein Kraut ab, dort, wo es anderen Pflanzen zu ungemütlich ist, im Niemandsland zwischen Erde und Wasser. Joan, Pep, Sebastià und Miquel sind Meerfenchelpflücker. Jedes Jahr im Mai ernten sie binnen zehn Tagen vier Tonnen und verdienen 12 000 Euro. Dafür unterbrechen die Rentner gerne ihren Müßiggang.

Spaziergängern, die in der Gischt herumklettern, fällt Crithmum maritimum kaum auf: Seine graugrünen, schmalen Blättchen wachsen wie kleine Finger ein paar Zentimeter nach oben. Seine Wurzeln krallen sich ins Gestein. Zum Leben reicht ihm Meerwasser, damit füllt der Meerfenchel seine Blätter; denn er ist eine zähe Sukkulente, die sich Jahr für Jahr ausbreitet und so die zackige, von Salz zerfressene Küste polstert.

Früher, vor 15 Jahren, da rissen Ignoranten noch ganze Löcher aus diesen Küstenkissen, die dann niemand mehr stopfen konnte. Doch seitdem Pflücker wie Miquel einmal im Jahr mit der Sichel kommen und die oberen Triebe abschneiden, seitdem Ausreißen verboten ist und man nur noch vor der Blüte ernten darf, wächst die Pflanze besser denn je.

Viel früher, als die Fischer noch weit ins Mittelmeer hinausfuhren, da fehlte der Meerfenchel in keinem Schiffsproviant. Wegen seines hohen Vitamin-C-Gehalts half er gegen Skorbut. „Wahrscheinlich hätte jedes Grünzeug getaugt“, sagt Konservenmann Miquel, „aber Fischer waren arme Leute, die hatten kein Land, um Gemüse anzubauen.“ Deshalb pflückten die Fischer das Kraut von der Küste und machten es mit Essig haltbar. Später aßen sie das salzig-saure Grünzeug auch an Land, als Geschmacksverstärker zum Graubrot. So wurde fonoll marí, der Meerfenchel, den Landlosen das, was Grundbesitzern Oliven und Kapern waren.

Heute ist aus diesem Armeleutebrauch ein Kennzeichen der Insel geworden. Man findet es hin und wieder in warmen Gerichten, vor allem aber als geschmackvolle Beilage auf der typischen kalten Platte pa amb oli, Brot mit Öl. Dieser Name ist heute untertrieben. Kehrt man in der Bar der Ölmühle Son Catiu ein, ganz in der Nähe von Miquels Konservenmanufaktur, dann bekommt man dort nicht nur zwei Scheiben ungesalzenen Graubrots mit Olivenöl und zerriebenen Tomaten, sondern auch luftgetrockneten Schinken oder Paprikastreichwurst, menorquinischen Rohmilchkäse oder Schlachtwurst mit Pfeffer und Anis, Sepia, Sardinen oder Thunfisch. Doch nur der wild gewachsene fonoll marí schmeckt nach Wind und Wellen. Deshalb steht er auf der Insel für gastronomisches Understatement.

Das hat auch Miquel erkannt. Die Nachfrage steigt. Er will jetzt Meerfenchel auf Plantagen ziehen, in Küstennähe, wo nichts recht gedeiht und die Bauern verzweifeln. Dann könnte er mehr ernten, mehr in die Fässer voller Salzlake in seinem Hof kippen, darin schwitzen lassen und abgießen. Er könnte den zwei Frauen mehr von dem Grünzeug geben, die es verlesen und in mit Essig gefüllte Gläser stopfen und das Etikett der Marke „Sa Llubinera“ daraufkleben. Er könnte mehr Meerfenchel verkaufen.

Doch Spaß hätte er dann weniger. Denn wenn bei den Freunden Miquels Name auf dem Display erscheint, dann wissen sie nicht nur: Es gibt Arbeit und Geld. Sie freuen sich dann auch auf die traditionelle Verabredung für den letzten, den zehnten Arbeitstag. „Auch die Buchhalterin ist dabei“, sagt Miquel. Wobei? Beim pa amb oli natürlich.


Überbackene Dorade mit Meerfenchel

Zutaten (für vier Personen)
Vier Doradenfilets zu je 200 g, 100 g Mehl, 100 ml Olivenöl, 1 Zwiebel,
3 Paprika, 4 Tomaten, 5 Meerfenchelzweige (zu beziehen über dermallor quiner.de oder mallorca-weine.de).


Zubereitung
Das Mehl mit Öl, Salz und Wasser zu einem Teig verkneten und ruhen lassen. Zwiebel, Paprika und Tomaten klein schneiden und mit Meerfenchel anbraten. Die Filets auf ein Backblech legen und
darauf das Gemüse verteilen. Das Ganze mit dem ausgerollten Teig bedecken und
in den vorgeheizten Ofen schieben. Bei mittlerer Hitze so lange backen, bis der Teig gebräunt ist.

Ölmühle Son Catiu
Carretera Inca–Artà (an der Landstraße zwischen Inca und Artà, kurz vor Llubí, von Inca kommend), Mallorca. Telefon +34 971 94 02 54. Geöffnet täglich von 8.30 bis 23 Uhr.

mare No. 85

No. 85April / Mai 2011

Von Brigitte Kramer und Pep Bonet

Brigitte Kramer, 1967 in München geboren, lebt seit vielen Jahren in Spanien, fast ihr halbes Leben. 
 Als sie Ende der 80er Jahre als Praktikantin in Barcelona ankam, wunderte sie sich darüber, dass es dort auch rothaarige Menschen gibt. Seitdem beobachtet und erlebt sie den Wandel des Landes und schreibt darüber für deutsche und spanische Zeitungen und Magazine. Gelernt hat sie ihr Handwerk an der Deutschen Journalistenschule in München. Später lebte und arbeitete sie zunächst als Stipendiatin der Süddeutschen Zeitung in Madrid, wo sie freiberuflich arbeitete, eine Kulturzeitschrift herausgab und Medienarbeit für Musiker machte. Seit neun Jahren ist sie nun auf Mallorca verwurzelt. Das Leben auf einer Insel findet sie sehr bereichernd: Anstatt in die Ferne zu schweifen, ist man gezwungen, in die Tiefe zu gehen. Als Autorin schürft sie am liebsten nach Geschichten, die ihr die Welt erklären, wie sie ist und wie sie war: Geschichte, Gesellschaft, Reise und Kultur sind ihre liebsten Ressorts.

, geboren 1974, ist Absolvent der Joop Swart Masterclass, Amsterdam. In den vergangenen Jahren hat er seine Arbeit hauptsächlich Langzeitprojekten in Afrika gewidmet. Seine sozialthematischen Dokumentationen z. Bsp. über Aids hat er in zwei Büchern und weltweit 35 Ausstellungen veröffentlicht. Bonets bekannteste Arbeit Faith in Chaos ist ein weiterführender Foto-Essay über die Folgen des Krieges in Sierra Leone. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet: 2009 und 2007 erhielt der den 2. Preis des World Press Photo Awards, 2005 den W. Eugene Smith Grant in der Kategorie „Humanistische Fotografie“. Bep Bonet lebt in Spanien. Er ist Gründungsmitglied der Agentur NOOR.

Mehr Informationen
Vita Brigitte Kramer, 1967 in München geboren, lebt seit vielen Jahren in Spanien, fast ihr halbes Leben. 
 Als sie Ende der 80er Jahre als Praktikantin in Barcelona ankam, wunderte sie sich darüber, dass es dort auch rothaarige Menschen gibt. Seitdem beobachtet und erlebt sie den Wandel des Landes und schreibt darüber für deutsche und spanische Zeitungen und Magazine. Gelernt hat sie ihr Handwerk an der Deutschen Journalistenschule in München. Später lebte und arbeitete sie zunächst als Stipendiatin der Süddeutschen Zeitung in Madrid, wo sie freiberuflich arbeitete, eine Kulturzeitschrift herausgab und Medienarbeit für Musiker machte. Seit neun Jahren ist sie nun auf Mallorca verwurzelt. Das Leben auf einer Insel findet sie sehr bereichernd: Anstatt in die Ferne zu schweifen, ist man gezwungen, in die Tiefe zu gehen. Als Autorin schürft sie am liebsten nach Geschichten, die ihr die Welt erklären, wie sie ist und wie sie war: Geschichte, Gesellschaft, Reise und Kultur sind ihre liebsten Ressorts.

, geboren 1974, ist Absolvent der Joop Swart Masterclass, Amsterdam. In den vergangenen Jahren hat er seine Arbeit hauptsächlich Langzeitprojekten in Afrika gewidmet. Seine sozialthematischen Dokumentationen z. Bsp. über Aids hat er in zwei Büchern und weltweit 35 Ausstellungen veröffentlicht. Bonets bekannteste Arbeit Faith in Chaos ist ein weiterführender Foto-Essay über die Folgen des Krieges in Sierra Leone. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet: 2009 und 2007 erhielt der den 2. Preis des World Press Photo Awards, 2005 den W. Eugene Smith Grant in der Kategorie „Humanistische Fotografie“. Bep Bonet lebt in Spanien. Er ist Gründungsmitglied der Agentur NOOR.
Person Von Brigitte Kramer und Pep Bonet
Vita Brigitte Kramer, 1967 in München geboren, lebt seit vielen Jahren in Spanien, fast ihr halbes Leben. 
 Als sie Ende der 80er Jahre als Praktikantin in Barcelona ankam, wunderte sie sich darüber, dass es dort auch rothaarige Menschen gibt. Seitdem beobachtet und erlebt sie den Wandel des Landes und schreibt darüber für deutsche und spanische Zeitungen und Magazine. Gelernt hat sie ihr Handwerk an der Deutschen Journalistenschule in München. Später lebte und arbeitete sie zunächst als Stipendiatin der Süddeutschen Zeitung in Madrid, wo sie freiberuflich arbeitete, eine Kulturzeitschrift herausgab und Medienarbeit für Musiker machte. Seit neun Jahren ist sie nun auf Mallorca verwurzelt. Das Leben auf einer Insel findet sie sehr bereichernd: Anstatt in die Ferne zu schweifen, ist man gezwungen, in die Tiefe zu gehen. Als Autorin schürft sie am liebsten nach Geschichten, die ihr die Welt erklären, wie sie ist und wie sie war: Geschichte, Gesellschaft, Reise und Kultur sind ihre liebsten Ressorts.

, geboren 1974, ist Absolvent der Joop Swart Masterclass, Amsterdam. In den vergangenen Jahren hat er seine Arbeit hauptsächlich Langzeitprojekten in Afrika gewidmet. Seine sozialthematischen Dokumentationen z. Bsp. über Aids hat er in zwei Büchern und weltweit 35 Ausstellungen veröffentlicht. Bonets bekannteste Arbeit Faith in Chaos ist ein weiterführender Foto-Essay über die Folgen des Krieges in Sierra Leone. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet: 2009 und 2007 erhielt der den 2. Preis des World Press Photo Awards, 2005 den W. Eugene Smith Grant in der Kategorie „Humanistische Fotografie“. Bep Bonet lebt in Spanien. Er ist Gründungsmitglied der Agentur NOOR.
Person Von Brigitte Kramer und Pep Bonet