Malediven I: Schatten im Paradies

Für die Touristen sind die Malediven Sonne, Sand und Freiheit. Für die Einheimischen aber ist es ein Staat, der seine Bürger unterdrückt, terrorisiert, foltert

Es ist Montag im Indischen Ozean, Juni 2007 – Auf den Straßen von Malé, Hauptstadt der Republik Malediven, steht sich im Weg, was vorwärts will, Fahrräder, Motorräder, Autos, Laster, Menschen – vom Minarett lädt ein Sänger zum Gebet.

Sie möchte, hat eine Frau gesagt, die heute Morgen zum Schnorcheln anreiste in einem Flugzeug namens Edelweiß, dass ihre Asche, wenn es so weit sei, ins göttlichgrüne Wasser der Malediven gefächert werde, Paradies auf Erden, hat sie gesagt, als sie den Airbus verließ, eine Schweizerin, zum fünften Mal im Land, das fast nichts ist als Wasser.

Heiß und feucht, mittags – Durch Malé geht kein Wind, kein Hund um diese Zeit. Hier lebt ein Drittel des Volkes in seiner einzigen Stadt, ein Geschwür aus Pflaster und Beton, 100000 Menschen auf zwei Quadratkilometern, Malé ist eine Insel, überbucht und ungezogen. Alles hier ist eine Insel, der Flughafen, das Öllager, das Gefängnis, die Urlaubsnester der Fremden, die Malé nie sehen, nie riechen, weil sie, kaum aus dem Flieger, sich auf ein Schnellboot retten, das sie ins Reservat bringt, 200 Euro die Nacht oder 2000, White Sands Resort, Sun Island Resort, Palm Tree Resort, Laguna Beach Resort, jedes auf Korallen gebaut, unerreichbar für Einheimische.

In der Zeitung von gestern ist zu lesen, Seine Exzellenz Präsident Maumoon Abdul Gayoom, politisches und religiöses Oberhaupt aller Malediver, habe eine Tunfischdosenfabrik eröffnet und vor Rührung geweint, als ihn die Arbeiterinnen mit Gesang beehrten, Seine Exzellenz.

Ja, sagt der Taxifahrer, es gibt hier einen Hund, den jeder kennt.
Er lächelt, zwängt sein Auto durch Gassen, die wenig breiter sind als der Wagen, die Häuser hier haben keine Nummern, nur Namen.

Das Haus, in dem Mariyam Manike lebt, heißt Asia, ein Schlafzimmer, eine Küche, Wellblech und nackter Beton, es liegt am Shariu Wardee, rosaroter Weg, nicht zu finden für einen, der noch nie in Malé war. Barfuß sitzt die Frau an ihrer Nähmaschine, ein grünes Tuch um den Kopf, weiße Rüschen an den Ärmeln der Jacke, sie sitzt und redet und weiß nicht, wohin mit ihren Händen. Evan Naseem war ihr zweiter Sohn, ein guter Mensch, drogensüchtig, gestorben am 19. September 2003, Mittwoch. Wieder hatten sie Evan mit Drogen erwischt, wieder auf die Gefängnisinsel Maafushi verdammt, südlich von Malé. Es gab Streit unter den Männern, ein Zellenblock warf Steine auf den anderen, C3 gegen C5, Evan nahm nicht teil. Dann holten ihn die Wärter, als sie Ruhe befahlen, aus der Zelle.
Ich war nicht dabei, sagte Evan.
Komm raus, rief der Wärter.
Fass mich nicht an, schrie Evan und griff sich ein Stück Holz. Sie kamen zu zehnt, banden ihn im Freien an eine Stange, die Hände über dem Kopf, sie schlugen mit Fäusten, mit Schuhen und Stöcken, Evan verlor das Bewusstsein, kam wieder zu sich, und als er keine Antwort mehr gab, 20 Minuten nach elf, ließen sie ihn liegen im weißen Sand, schafften die Leiche am Morgen des 20. September 2003 in die Hauptstadt Malé, Indira Gandhi Memorial Hospital. Bruch der siebten Rippe rechts, Lungenkollaps, 19-jährig.
Präsident Gayoom, seit 29 Jahren im Amt, dienstältester Staatschef Asiens, einst Freund von Saddam Hussein, hält sich 5000 Polizisten, Soldaten, Schläger, einen auf 60 Bürger. Seine Sicherheit ist ihm, gemäß Staatsbudget 2007, 1146 Millionen Rufiyaa wert, 90 Millionen amerikanische Dollar, die Pflege seines Palasts, eine weiße, weite Villa, begabt mit Schießscharten und Erkern, 11,6 Millionen Dollar, das präsidentielle Büro 9,5 Millionen, die Justiz 7,3 Millionen.
Mariyam Manike weiß nicht, wohin mit ihren Händen.
Am Morgen des 20. September vor vier Jahren, sieben Uhr, klopfte jemand an meine Tür, ein Gefängniswärter. Ich müsse seinen Chef anrufen, den obersten Wärter aller Wärter.
Dein Sohn ist tot, sagte der Wärter aller Wärter.
Weshalb?
Komm hierher.
Sie führten die Mutter zur Leiche des Sohnes, Mariyam Manike sah nur sein Gesicht, sie wusste, sie hatten ihn getötet, und riss das Tuch weg, das ihn umhüllte. Blaue Flecken, Wunden, Blut.
Jemand sagte: Die Leiche muss, wie Gott es befiehlt, sofort ins Grab.
Nicht bevor man sie fotografiert hat, schrie Mariyam, nicht bevor die Welt sie gesehen hat.

Sie brachten Evan Naseem auf den Friedhof neben der Abfallsammelstelle, hohe, weiße Mauern, Hunderte waren dort, auch der Präsident, umwattet von Polizisten, viele begannen, als die Leiche in die Erde glitt, zu murren, zu lärmen. Schreiend zogen sie später durch die Stadt Malé und wurden immer mehr, Tausende, sie legten Feuer, zündeten Polizeistationen an, das Gerichtsgebäude, das alte Parlament, und im Gefängnis von Maafushi erhoben sich Gefangene, die Wärter schossen, töteten drei, verletzten 17. Aber Maumoon Abdul Gayoom, zurück in seiner Festung, lobte in eine Kamera: Es blieb uns, um unser Volk vor Kriminellen zu schützen, keine andere Wahl. Er befahl ein Ausgangsverbot, rief, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes, den Notstand aus, setzte die Verfassung außer Kraft, Artikel 15–1(c): Leben, Freiheit, Leib, Name, Ruf oder das Eigentum einer Person dürfen keine nachteilige Behandlung erfahren, außer sie ist im Gesetz vorgesehen.


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mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Erwin Koch und Francesco Zizola

Erwin Koch, Jahrgang 1956, schreibt Reportagen, Hörspiele und Romane. Er lebt in der Nähe von Luzern, Schweiz. Badeferien sind ihm ein Graus. Deshalb waren ihm die Malediven nie ein Thema. Umso erstaunter war er, im Ferienparadies auf Folter und Totschlag zu stoßen.

Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf in Rom und Gewinner des World Press Photo Award, dokumentiert seit vielen Jahren das Schicksal von Bürgerkriegsopfern im Sudan und in Angola.

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Vita Erwin Koch, Jahrgang 1956, schreibt Reportagen, Hörspiele und Romane. Er lebt in der Nähe von Luzern, Schweiz. Badeferien sind ihm ein Graus. Deshalb waren ihm die Malediven nie ein Thema. Umso erstaunter war er, im Ferienparadies auf Folter und Totschlag zu stoßen.

Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf in Rom und Gewinner des World Press Photo Award, dokumentiert seit vielen Jahren das Schicksal von Bürgerkriegsopfern im Sudan und in Angola.
Person Von Erwin Koch und Francesco Zizola
Vita Erwin Koch, Jahrgang 1956, schreibt Reportagen, Hörspiele und Romane. Er lebt in der Nähe von Luzern, Schweiz. Badeferien sind ihm ein Graus. Deshalb waren ihm die Malediven nie ein Thema. Umso erstaunter war er, im Ferienparadies auf Folter und Totschlag zu stoßen.

Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf in Rom und Gewinner des World Press Photo Award, dokumentiert seit vielen Jahren das Schicksal von Bürgerkriegsopfern im Sudan und in Angola.
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