Macht Seemacht Weltmacht?

Schifffahrt ist zwar das Rückgrat der Globalisierung, doch die Geschichte zeigt: Flotten allein tragen kein Imperium

Dass der Seehandel und die Entstehung großer Vermögen zusammenhängen, gehört zum wirtschaftsgeschichtlichen Grundwissen. Wer in Mittelalter und früher Neuzeit Fernhandel auf dem Landweg betrieb, musste auf Schritt und Tritt Steuern und Wegzölle entrichten, und das schmälerte die Gewinne. Dagegen hatten es die Überseekaufleute mit den Risiken der Seefahrt zu tun. Aber gegen Schiffbruch konnte man sich versichern oder auf die Gunst des Glückes setzen. Die Tribute an die kleinen und großen Territorialherren jedoch waren permanent zu entrichten; selbst im Bund mit dem Glück konnte man ihnen nicht entkommen.

Die Differenz von Land und Meer hat nicht nur bei der Bildung von großen Vermögen, sondern auch bei der Entstehung von großräumlichen Ordnungen eine zentrale Rolle gespielt. Seereiche unterscheiden sich in ihren Organisationsprinzipien grundlegend von Landreichen, und beide entwickeln gegenüber ihrer Umgebung eine unterschiedliche Attraktivität. Der den Verlauf des 19. Jahrhunderts prägende weltpolitische Gegensatz war – sieht man von dem napoleonischen Intermezzo ab – der zwischen dem Seeimperium der Briten und dem Landimperium der russischen Zaren. Die geostrategischen Konflikte der beiden Großreiche hielten sich in Grenzen und blieben auf zwei Regionen begrenzt: die Kontrolle des Bosporus als Verbindung zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer, was zum Krimkrieg führte, und die Absicherung Britisch-Indiens gegen den russischen Vorstoß nach Zentralasien durch die britische Besetzung Afghanistans. Die Russen verloren den Krimkrieg, die Briten scheiterten in Afghanistan.

Folgenreicher freilich war der ideenpolitische Gegensatz der beiden großräumlichen Ordnungen. Das russische Reich war autoritär und autokratisch, während das britische Empire liberal war und – zumindest in seinem Zentrum – demokratische Tendenzen aufwies. Wurden die politischen Interessen an der Peripherie beider Reiche eher nach geopolitischen Aspekten sortiert, so folgten die politischen Sympathien den ideenpolitischen Grundsätzen. Dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte, war absehbar. So wurde das unter preußischer Führung geeinte Deutschland durch die konträren Prinzipien der beiden Ordnungen ebenso angezogen wie abgestoßen: Das Bürgertum orientierte sich eher an den Briten, der ostelbische Adel hielt es überwiegend mit den Russen. Gleichzeitig strebte man den Status einer respektablen Seemacht an und beanspruchte die ökonomische Dominanz in Mittel- und Osteuropa.

Die Folge war das Scheitern der deutschen Imperiumsbildung, weil man im Ersten Weltkrieg Russen und Briten gleichermaßen zu Feinden hatte. Imperienbildungen in der Zwischenzone von Land und Meer sind hoch riskant, zumeist scheitern sie. Napoleon ist ein anderes Beispiel dafür. Aber der Reihe nach.

Beim Blick auf die frühen Hochkulturen fallen zunächst nur die Reichsbildungen entlang der großen Flusstäler ins Auge: am Nil, in Mesopotamien sowie am Jangtse und am Gelben Fluss. Fruchtbare Böden, regulierte Bewässerung, Arbeitsteiligkeit und die Ausweitung von Herrschaft begünstigten sich wechselseitig. Das regelmäßig erwirtschaftete Mehrprodukt ermöglichte den Ausbau der Bürokratie und die Aufstellung professioneller Heere. Das Heer schützte den Wohlstand gegen räuberische Nomaden, und die Bürokratie sorgte für Regelmäßigkeit und Berechenbarkeit im Inneren. Auf dieser Grundlage dehnten sich Macht und Herrschaft aus, und wir begegnen den ersten Großreichen, die nachhaltige Spuren in der Geschichte hinterlassen haben.

Allzu leicht wird daneben die fluidere Bildung von Seereichen übersehen: die der Phönizier etwa oder der Griechen, namentlich der Athener, schließlich der Karthager. Während Landimperien eine Fülle archäologischer Zeugnisse hinterlassen und selbst ihre Grenzanlagen, wie der römische Limes oder die Chinesische Mauer, zu besichtigen sind, verschwimmen die Spuren der Seeimperien im Meer. Nur ihre Stützpunkte an Land können von den Archäologen rekonstruiert werden, aber die Verbindungslinien zwischen den Stützpunkten, die das Wesen der Seereiche ausmachen, sind spurlos verschwunden. Die Schiffe, die sie befahren haben, sind vermodert oder gesunken, und so fehlt die Anschaubarkeit jener Reichsbildungen, die im Wesentlichen aus der Verdichtung von Handelsbeziehungen bestanden.


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mare No. 61

No. 61April / Mai 2007

Von Herfried Münkler

Herfried Münkler, geboren 1951, Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat Bücher über Machiavelli und Hobbes, neue Kriege und Imperien geschrieben. Gegenwärtig beschäftigt er sich mit dem Thema Sicherheit und Risiko und geht der Frage nach, ob und inwieweit Populationen, die zum Meer hin ausgerichtet sind, eine höhere Bereitschaft zum Risiko besitzen als dem Meer abgewandte Völker.

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Vita Herfried Münkler, geboren 1951, Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat Bücher über Machiavelli und Hobbes, neue Kriege und Imperien geschrieben. Gegenwärtig beschäftigt er sich mit dem Thema Sicherheit und Risiko und geht der Frage nach, ob und inwieweit Populationen, die zum Meer hin ausgerichtet sind, eine höhere Bereitschaft zum Risiko besitzen als dem Meer abgewandte Völker.
Person Von Herfried Münkler
Vita Herfried Münkler, geboren 1951, Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat Bücher über Machiavelli und Hobbes, neue Kriege und Imperien geschrieben. Gegenwärtig beschäftigt er sich mit dem Thema Sicherheit und Risiko und geht der Frage nach, ob und inwieweit Populationen, die zum Meer hin ausgerichtet sind, eine höhere Bereitschaft zum Risiko besitzen als dem Meer abgewandte Völker.
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