Machen wir die Stürme selbst?

Der Streit ist fast entschieden. Ein Zwischenbericht

Das Weltklima ist ein wankelmütiger Geselle. Von Natur aus seit jeher launisch, offenbart sich sein unausgeglichenes Wesen erst recht in den letzten 12000 Jahren. Warme nacheiszeitliche Phasen wechseln abrupt mit ausgesprochenen Kälteperioden. Um das Jahr 900 besiedeln die Wikinger Grönland, in England gedeiht Wein; im Spätmittelalter dagegen, während der sogenannten Kleinen Eiszeit, friert regelmäßig die Themse zu. Temperatursprünge von bis zu fünf Grad Celsius binnen weniger Jahrzehnte – Wissenschaftler sind verblüfft, was ihnen Baumringe, Meeressedimente, Eisbohrkerne und andere Klimaarchive so alles preisgeben. Unser Globus auf einem naturgegebenen Zickzackkurs zwischen Fieber und Frost – so stellt sich der jüngste Abschnitt der Erdgeschichte nach heutiger Kenntnis dar.

In Person des Homo oeconomicus bürdet der Mensch unserer Atmosphäre seit dem Beginn des Industriezeitalters im vorigen Jahrhundert nach und nach immer mehr Abgase auf. Kraftwerke, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und Haushalte in den entwickelten Ländern pusten heute jedes Jahr etliche Milliarden Tonnen klimawirksamer Spurengase in die Luft. Der Nachschub ist so immens, daß sich die Erde unweigerlich erwärmt, wie viele Experten befürchten. Sie sprechen vom zusätzlichen Treibhauseffekt – dem „anthropogenen“. Verursacher: der Mensch.

Normale Klimaschwankungen kontra hausgemachte Erwärmung – wer will das auseinanderhalten? Was ist natürlich an den gegenwärtigen Temperaturtrends, was anthropogen? Gibt es wirklich schon, wonach alle Welt fragt: den untrüglichen Fingerabdruck des Menschen am Thermostaten der Erde?

Der Indizienprozeß ist in vollem Gange. Meteorologen und Atmosphärenforscher hadern zwar weiter mit der natürlichen Klimavariabilität, weil ein mögliches hausgemachtes Erwärmungssignal (bisher) nicht zweifelsfrei aus dem gewöhnlichen Klimarauschen herausragt. Das ist ganz so, als warte ein Meeresbeobachter auf eine größere als die historisch verbriefte Jahrhundertwelle – weil nur ein derartiges Extremereignis die Annahme entkräften könnte, es gehe noch immer alles mit rechten Dingen zu.

Doch trotz der erschwerten Täteridentifizierung fügt sich vieles mittlerweile in das Bild vom „Treibhausfaktor Mensch“. Der Zwischenstaatliche Ausschuß für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), eine Art Weltklimarat der Vereinten Nationen, hielt schon vor zwei Jahren „einen erkennbaren menschlichen Einfluß auf das globale Klima“ für naheliegend. Inzwischen klingt das schon bestimmter, etwa bei Peter Hupfer von der Humboldt-Universität Berlin und Christian Schönwiese von der Universität Frankfurt am Main. Die beiden deutschen Forscher werten die „zunehmende Dynamik des Klimas durchaus als Zeichen des Beginns eines anthropogen gesteuerten Klimawandels“.

Ein forcierter Treibhauseffekt ließe naturgemäß auch die Ozeane nicht kalt: Er macht, daß das Weltmeer Land gewinnt, wenn man so will. Weil sich die oberflächennahen Wasserschichten bei erhöhter Temperatur thermisch ausdehnen, steigt der Meeresspiegel im Mittel an. Ein möglicher vermehrter Schmelzwasserzufluß von den Kontinenten verstärkt den Effekt. Die Folge: Mitunter dichtbevölkerten Küstenstrichen und kleinen Meeresinseln droht die Überflutung.

Schon heute liegen Fakten auf dem Tisch, die in diese Richtung deuten. So ist am weltweiten Erwärmungstrend nicht mehr zu rütteln. Die global gemittelte Lufttemperatur hat seit Ende des 19. Jahrhunderts um bis zu 0,6 Grad Celsius zugelegt. Neuerdings beschleunigt sich dieser Trend noch. Zur Zeit beträgt der Fieberschub plus 0,13 Grad pro Dekade. Das alles ist durch kontinuierliche Messungen von Bodenstationen belegt.

Derweil haben US-amerikanische Wettersatelliten ihre Kreditwürdigkeit als Temperaturwächter aus dem All verspielt. Der ohnehin bloß 20jährigen Meßreihe ihrer Mikrowelleninstrumente zufolge schien sich die Erdatmosphäre in rund 3,5 Kilometern Höhe abzukühlen – ein eklatanter Widerspruch zu den gängigen Treibhausprognosen. Seit kurzem aber sind die Daten, auf die sich IPCC-Kritiker und „Skeptiker“ in der Klimadebatte nur allzu gerne beriefen, als Artefakt entlarvt. Bei der Temperaturermittlung aus dem Orbit war vernachlässigt worden, daß die Satelliten infolge atmosphärischer Reibung permanent absinken. Unter Berücksichtigung dieses Höhenverlustes ergibt sich ein anderes Bild, wie kalifornische Fernerkundungsexperten im August darlegten. Demnach steigt die Temperatur auch in größeren Höhen der irdischen Wetterschicht („Troposphäre“) leicht an.

Kälter wird es erst in der Stratosphäre, dem zweiten Stockwerk der irdischen Lufthülle in Höhen ab sechs bis zwölf Kilometern, je nach geographischer Breite. Daß das Thermometer dort fällt, stützt ebenfalls die Vorstellung vom Klimawandel. Denn Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas halten die langwellige Wärmestrahlung der Erde in der Troposphäre zurück. Nimmt ihre Konzentration zu, dann, so schließen die Klimatologen, heizt sich das globale Glashaus auf; höheren Luftschichten aber geht Strahlungsenergie und damit Wärme verloren. Also kühlt die Stratosphäre ab. Das Umweltdirektorat der EU-Kommission gibt den Temperaturtrend mit minus 0,4 Grad Celsius pro Dekade in der unteren Stratosphäre an. Die darüberliegende Mesosphäre kühle sogar um rund 4 Grad in zehn Jahren ab.

Nachdenklich stimmen auch Meldungen, wonach in jüngster Zeit regelmäßig die Welt(temperatur)rekorde purzeln. So waren nach den Analysen US-amerikanischer Geowissenschaftler drei der letzten acht Jahre die wärmsten seit mindestens sechs Jahrhunderten, gemessen an den aus Klimaarchiven rekonstruierten Durchschnittstemperaturen auf der Nordhalbkugel. In ihrer im April in der Zeitschrift „Nature“ publizierten Studie fragte die Forschergruppe um Ray Bradley von der Universität von Massachusetts in Amherst auch danach, was das irdische Klima am stärksten präge: Veränderungen der solaren Strahlstärke, Vulkanpartikel oder das Potpourri von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Ergebnis: Die Klimaschwankungen der letzten 400 Jahre seien von allen drei Faktoren beeinflußt worden, doch hätten sich „im 20. Jahrhundert Treibhausgase zur treibenden Kraft entwickelt“.

Verwundern kann ein solcher Befund im Grunde nicht. Denn seit dem Beginn des Industriezeitalters legte das aus der Verbrennung von Öl, Kohle und anderen fossilen Energieträgern stammende Kohlendioxid (CO2) um fast ein Drittel zu. Lachgas (N2O) aus den Hauptquellen Stickstoffdüngung, Nylonproduktion, Verkehr und Biomasse-Verbrennung ist heute um zirka 13 Prozent höher konzentriert. Der Anteil von Methan, abgesondert von Rindermägen, Reisfeldern, Mülldeponien und leckgeschlagenen Erdgaspipelines, wuchs gar um das 1,5fache. „Insgesamt hat sich der Treibhauseffekt der Atmosphäre eindeutig erhöht“, resümiert Hartmut Graßl, Direktor des Klimaforschungsprogramms der in Genf ansässigen Welt-Meteorologie-Organisation (WMO).

Einen definitiven Schuldspruch über den Menschen verhängen mag die große Mehrzahl der Klimaforscher aber noch nicht. Dies sei ohnehin „mehr eine akademische Frage“, meint Klaus Hasselmann, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut (MPI) für Meteorologie. Entscheidend sei, „daß wir langfristig eine Klimaänderung bekommen, wenn wir nichts dagegen unternehmen“. Davon, so der Meteorologe, „sind eigentlich alle Wissenschaftler hundertprozentig überzeugt“. Also verfahren sie ganz nach dem Motto „Im Zweifelsfall gegen den Angeklagten“. Solange kein Gegenbeweis vorliegt, sprich: kein aktueller Klimatrend dem Modell von der anthropogenen Treibhausaufheizung zuwiderläuft, gilt der Mensch weiter als mutmaßlicher Haupttäter. Und bisher liegt kaum für ihn Entlastendes vor.

Im Gegenteil. Die aktuelle Erderwärmung zeigt ein bestimmtes, mehrdimensionales Muster. Je nach geographischem Ort, Höhenniveau der Atmosphäre und Jahreszeit unterscheiden sich die Temperaturtrends. Dieses globale „Wärmebild“ lasse sich am ehesten mit menschlichen Klimaeinflüssen begründen, ermittelten britische, australische und US-amerikanische Forscher schon vor zwei Jahren. Die Gruppe hatte ihre Computermodelle mit diversen Klimafaktoren gefüttert – und stellte fest: „Wenn man Treibhausgase, Ozonabbau in der Stratosphäre und Anstieg von Sulfat-Aerosolen in Bodennähe berücksichtigt, also drei menschliche Faktoren, dann stimmen Temperaturbeobachtungen und Modellvorhersagen am besten überein“, so Ben Santer vom Lawrence Livermore National Laboratory in den USA. Wobei zu ergänzen wäre: Auch Ozon (O3) und Sulfat sind klimawirksam. Dreiatomiger Sauerstoff schluckt Wärmestrahlung und ist daher ein Treibhausgas; die vornehmlich aus Industrieschloten der Nordhalbkugel quellenden Schwefel-Aerosole streuen einfallendes Sonnenlicht, enthalten der irdischen Wetterküche also Heizenergie vor – und kühlen somit das Treibhaus Erde.


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mare No. 11

No. 11Dezember / Januar 1998

Von Volker Mrasek

Volker Mrasek, geboren 1962, studierte Biologie in Köln. Heute lebt und arbeitet er als freier Journalist mit dem Spezialgebiet Atmosphären- und Umweltforschung in Erftstadt

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Vita Volker Mrasek, geboren 1962, studierte Biologie in Köln. Heute lebt und arbeitet er als freier Journalist mit dem Spezialgebiet Atmosphären- und Umweltforschung in Erftstadt
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