Lirum Garum Löffelstiel

Eine Würzsauce aus Fisch war die Allroundzutat der Küche im antiken Rom, allgegenwärtig wie heute Pfeffer und Salz

Anständige Bildungsbürger, die wir sind, wollen wir gelegentlich eine kulinarische Zeitreise unternehmen. Kochen und Essen „wie die alten Römer“ etwa wird gerne von Volkshochschulen und in Slow-Food-Seminaren angeboten. Die erhofften wollüstigen Gelage in liegender Position stoßen dabei im Vorfeld auf pikante Schwierigkeiten, wenn etwa „gebrühte Flamingos“, das „gut zerschnittene Fleisch von Drosseln“ oder die „Drüsen eines jungen Ziegenbocks“ zu beschaffen sind. Und wer, bitte schön, wollte nicht schon immer mal „stark riechende Vögel aller Art“ mit Liebstöckel, Thymian, Minze, Pfeffer, Sellerie, Nelken und Honig zu einer schwer leckeren Sauce aufkochen? Bei diesem Rezept des römischen Feinschmeckers Marcus Gavius Apicius, der zu Zeiten des Kaisers Tiberius lebte, ist noch eine andere wichtige Zutat aufgeführt, um die es an dieser Stelle gehen soll: Garum, die berühmte Fischsauce der alten Römer.

Garum war der Tausendsassa im römischen Kochtopf, so allgegenwärtig wie heute Salz und Pfeffer. Es als Maggi der Römer zu bezeichnen wäre allerdings zu einfach, denn Garum bestand ausschließlich aus natürlichen Zutaten und wurde in einem zeitraubenden Verfahren handwerklich hergestellt. Auch geschmacklich liegen Welten dazwischen. Schon eher kann man es mit japanischen Sojasaucen vergleichen oder mit den Fischsaucen Kambodschas und Vietnams.

Garum war das Standardgewürz der römischen Küche, es muss aber seinen Ursprung in Griechenland gehabt haben, wo eine garos genannte Sauce die Küche prägte und nach dem gleichen Verfahren hergestellt wurde. „Die Fischsauce“, schreibt der Volkskundler Gunther Hirschfelder, „gehörte zu den wenigen Nahrungselementen, die die römische Küche nahezu unverändert von ihrem griechischen Vorbild übernahm.“

Bei den Römern zirkulierten vermutlich Hunderte Rezepturen für die Garumherstellung. Allen gemeinsam ist das Grundprinzip: Die Sauce ist nichts anderes als die Essenz „vergorener“ Fische, die mit Gewürzen, Wein, Wasser oder Essig gemischt wurde. Die Zersetzung des Fischeiweißes war allerdings keine klassische Gärung, sondern eine gezielte und kontrollierte Fermentation. Man nahm verschiedene Fische, vorzugsweise Makrelen, Sprotten oder Sardellen, häufig aber auch Innereien und andere Fischabfälle, mischte sie mit sehr viel Salz und verschiedenen Gewürzen, schichtete die Zutaten in große Gefäße, die monatelang unter freiem Himmel der Sonne ausgesetzt wurden. Die schottische Historikerin Reay Tannahill vergleicht in ihrer „Kulturgeschichte des Essens“ die Szenerie der Garumherstellung mit der Arbeit in den großen Hafenstädten. Körbe voller Fische seien von den Arbeitern in große Bottiche eingelegt worden. „Auf jede Lage Fisch kommt eine Lage Salz, bis der Bottich voll ist.“

Gelegentlich wurde die ganze Gemengelage umgerührt. Im Lauf der Zeit verdaute sich der Fisch praktisch selbst, aber ohne dabei zu faulen, denn das Salz konservierte. Bei dieser langsamen Fermentation entstand eine Flüssigkeit, die nach Abschluss der Prozedur von den festen Bestandteilen getrennt wurde.

Die so gewonnene Sauce war das Garum, die salzig-kräftige Würze der Römer, die in manchen Beschreibungen auch einfach liquamen (Flüssigkeit) genannt wird. Was an Feststoffen ausgefiltert wurde, das sogenannte allec, fand ebenfalls dankbare Abnehmer, obwohl es vermutlich einigermaßen ordinär schmeckte. Die Flüssigkeit wurde zur weiteren Konzentration in Kesseln über dem Feuer eingedickt. Natürlich gab es verschiedene Qualitäten: „Makrelengarum in 1-a-Qualität“ war eine Amphore beschriftet, die im Golf von Fos nahe der französischen Rhônemündung gefunden wurde. Es gab Öno-, Hydro- und Oxygarum, mit Wein, Wasser und Essig gemischte Konzentrate, oder Garum Piperatum, also mit Pfeffer aromatisiert.

Die Geruchsattacke bei der Garumproduktion dürfte einem kräftigen Haken der Klitschko-Brüder entsprochen haben. Deshalb wurde die Herstellung aus den Wohngebieten ausgelagert vor die Tore der Stadt. Sie war eine industrialisierte und keine häusliche Angelegenheit. Die Garumhersteller gehörten damit zu den ersten Lebensmittelfabrikanten im Sinn heutiger Convenienceprodukte, also vorgefertigter Speisen und Zutaten. Die besten Abfüllungen von Garum wurden in kleinen Amphoren transportiert und im ganzen Imperium zu hohen Preisen gehandelt. Wurde die Sauce aus besonders edlen Fischen oder Krustentieren gewonnen, galt sie als Köstlichkeit. Auch als medizinisches Heilmittel wurde Garum gegen so unterschiedliche Leiden wie Hundebisse, Geschwüre, Diarrhö und andere Leibbeschwerden eingesetzt.


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  mare No. 72

No. 72Februar / März 2009

Von Manfred Kriener und Olaf Hajek

Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt in Berlin und ist einer von zwei Chefredakteuren des neuen Umweltmagazins zeo2. Als unerschrockener kulinarischer Selbstmacher hat er versuchsweise eine Garum-Schnellversion aus Sardellen hergestellt und sie für „gewöhnungsbedürftig“ befunden.

Olaf Hajek ist einer der bekanntesten deutschen Illustratoren. Mit Leichtigkeit überschreitet er permanent die Grenzen zwischen Illustrationen für Magazine und freien künstlerischen Arbeiten und hat - in zahllosen Bildern seinen ganz persönlichen Stil kultiviert.

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Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt in Berlin und ist einer von zwei Chefredakteuren des neuen Umweltmagazins zeo2. Als unerschrockener kulinarischer Selbstmacher hat er versuchsweise eine Garum-Schnellversion aus Sardellen hergestellt und sie für „gewöhnungsbedürftig“ befunden.

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Person Von Manfred Kriener und Olaf Hajek
Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt in Berlin und ist einer von zwei Chefredakteuren des neuen Umweltmagazins zeo2. Als unerschrockener kulinarischer Selbstmacher hat er versuchsweise eine Garum-Schnellversion aus Sardellen hergestellt und sie für „gewöhnungsbedürftig“ befunden.

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