Lebenskünstler

Algenkultur – der Hamburger Künstler Edgar Lissel lässt seine Bilder in der Petrischale wachsen

In einer Ecke seines Ateliers lässt Edgar Lissel immer Licht an. Denn hier stehen Dutzende Petrischalen, in denen Blaualgen heranwachsen. Der Künstler nutzt eine Eigenschaft, der diese seit Milliarden Jahren folgen: Sie wachsen nach dem Licht. Die Algenkultur als eine Art Fotopapier: Wohin das Licht fällt, dorthin wachsen die Algen, verdichten sich zu dunklen Flächen. Wo es fehlt, bleibt es hell bis weiß. Später fotografiert Lissel die so entstandenen Bilder ab, vergrößert und rahmt sie. Es geht hier nicht um eine originelle Idee, ein Foto zu erzeugen. Lissel treibt Grundsätzliches an: Was vermag Licht? Was ist ein Bild? Gibt ein Foto Wirklichkeit wieder, wenn sich die Linse für fünf Hundertstelsekunden öffnet oder wenn es organisch über Tage und Wochen wächst? Für die Serie „Wasser licht(et) Geschichte“ projizierte Lissel Negative von Fotografien der Kieler U-Boot-Ruine „Kilian“ auf die Algenkulturen, die Positive heranwachsen ließen. Wie Algen sich porträtieren, zeigt die Serie „Selbstzeugnisse“. Sie folgten den Schattierungen von Mikroskopaufnahmen ihrer selbst, bilden sich in Originalgröße ab. „Vanitas“ geht einen Schritt weiter: Lissel legt organische Objekte zwischen Lichtquelle und Petrischale, etwa einen Apfel, der mit der Zeit verschrumpelt. Die Algen folgen dem Trocknungsprozess Schicht für Schicht. Etwas entsteht und etwas vergeht zugleich – das Bild bleibt. „Meine Arbeiten sind mehr als das Ergebnis einer Versuchsanordnung; sie gehören in den Kunstkontext“, sagt Lissel – auch wenn er längst eine Menge über die Algen weiß und lächelnd von einem tiefen Kontakt mit ihnen spricht. fkb

mare No. 39

No. 39August / September 2003

Von Frank Keil

Frank Keil, Jahrgang 1958, lebt und arbeitet in Hamburg.

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Vita Frank Keil, Jahrgang 1958, lebt und arbeitet in Hamburg.
Person Von Frank Keil
Vita Frank Keil, Jahrgang 1958, lebt und arbeitet in Hamburg.
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