Leben unmöglich

Die Menschen in Gaza leiden unter extremer Trinkwassernot, eine Folge von Terror und Gegenterror. Die palästinensische und die israelische Regierung blockieren jede Lösung des Problems

Die Sonne färbt sich rot, sie berührt das Meer und taucht langsam hinter dem Horizont unter. Eine Brise bringt Abkühlung nach einem heißen Tag. Sanaa al-Ghul hört dem Rauschen der Wellen zu und schaut zu ihren Enkelkindern, die auf dem endlosen Sandstrand herumtollen. „Das Meer ist unser Leben“, sagt die 48-jährige Palästinenserin, die ihre Haare unter einem bunten Hidschab versteckt. „Wir gehen jeden Tag an den Strand, wenn es zu Hause keinen Strom gibt. Hier können wir für einen Augenblick unsere Sorgen vergessen.“

Von dem Café, in dem sie mit zwei Töchtern und einem Schwiegersohn sitzt, kann sie den gesamten Strand von Gaza überblicken. Sie bestellt Coca-Cola und Tee, dann packt sie das Essen aus, das sie zu Hause vorbereitet hat. „Wir können uns die Gerichte hier nicht leisten“, sagt sie und senkt den Kopf, als schäme sie sich ihrer Armut.

Ihre drei Enkelkinder graben Löcher im Sand und spritzen sich gegenseitig nass. Die idyllischen Strandbilder gaukeln eine Normalität vor, die es in Gaza nicht gibt. „Das Meer ist verschmutzt, die Kinder haben schon ein paar Mal Durchfall und juckenden Hautausschlag bekommen“, sagt Sanaa al-Ghul. „Doch ich bringe es nicht übers Herz, ihnen das Baden zu verbieten. Das ist die einzige Unterhaltung, die sie hier in Gaza haben können.“

Die Heimat der Familie al-Ghul, ein schmaler Landstrich an der östlichen Mittelmeerküste, halb so groß wie Hamburg, steht vor dem Kollaps. Ein aktueller Bericht der Vereinten Nationen (UN) bezeichnet den Gazastreifen als „unbewohnbar“. Bereits 2015 hatten die UN diesen Zustand vorausgesagt, allerdings erst für das Jahr 2020. Die Lage in dem Küstenstreifen habe sich schneller verschlimmert als angenommen, heißt es nun.

97 Prozent des Grundwassers sind so verschmutzt, dass es sich ohne aufwendige Entsalzung nicht zum Trinken eignet. Die schnell wachsende Bevölkerung – heute leben 1,8 Millionen Menschen in Gaza – verbraucht zu viel Wasser. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel rapide, Meerwasser sickert nach, und die Versalzung schreitet voran. Weil Kläranlagen marode sind und wegen Strommangels immer wieder ausfallen, ergießen sich zudem Millionen Liter ungeklärte Abwässer ins Mittelmeer oder werden in die Sanddünen geleitet. Auf vielen Kilometern ist die Küste biologisch tot.

Die Lösung des Problems ist theoretisch einfach. „Wir müssen schnell Meerwasserentsalzungsanlagen und Klärwerke bauen“, sagt Tamer Salibi, Leiter des Wasserreferats der palästinensischen Umweltbehörde EQA. „Unsere ausländischen Partner haben die Finanzierung bereits zugesagt.“ Doch in Gaza ist nichts einfach – vor allem seit der Machtübernahme durch die militant-islamische Hamas vor zehn Jahren.

Israel riegelte damals den Landstreifen komplett ab und verhängte eine Wirtschaftsblockade, die bis heute in Kraft ist. Dreimal fiel die israelische Armee danach in Gaza ein, um den Raketenbeschuss der israelischen Siedlungen zu beenden, wie es offiziell heißt. Dabei zerstörte sie gezielt Kraftwerke, Kläranlagen, Pumpstationen, Trinkwasserreservoirs und Brunnen, was die Wasserknappheit jedes Mal verschlimmerte. Da alle Lieferungen von Baustoffen und Anlagen nach Gaza von israelischen Behörden genehmigt werden müssen, entscheidet Tel Aviv über das Tempo des Wiederaufbaus. Der Bau von Klärwerken und Entsalzungsanlagen geht daher nur äußerst schleppend voran.

Sogar die Schäden der letzten Invasion von Juli 2014 sind noch immer nicht vollständig behoben. In Khuzaa, wo zwei Wassertürme, eine Moschee und Dutzende Wohnhäuser zerstört wurden, leben viele Familien immer noch in Notunterkünften. Der von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) finanzierte Wiederaufbau des Trinkwasserreservoirs auf dem Muntar-Hügel wurde erst im März 2017 abgeschlossen, ein Jahr später als geplant – Israel ließ die Ablassventile für den 5000-Tonnen-Tank nicht die Grenze passieren.

Dem Gazastreifen rennt die Zeit davon. „In zehn Jahren wird das Grundwasser so schlecht sein, dass sich eine Aufbereitung aus Kostengründen nicht mehr lohnen wird“, warnt Salibi. Bereits jetzt gibt es Brunnen, in denen das Wasser beinahe so salzig ist wie im Meer. Hinzu kommen andere Umweltgifte. Im Schnitt enthält das Grundwasser 500 bis 5000 Milligramm Chlorid je Liter – der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegte Grenzwert liegt bei 250 Milligramm. Ähnlich sieht es bei den Nitratwerten aus. Sie liegen in Gaza bei 100 bis 500 Milligramm – die WHO hält maximal 50 Milligramm als zumutbar.

Die Verschmutzung des Grundwassers liegt vor allem an der Übernutzung des Aquifers, so nennt man die wasserspeichernde unterirdische, poröse Gesteinsschicht. „Wir müssen die Entnahme aus dem Grundwasseraquifer drastisch reduzieren“, sagt Salibi. Gaza verbraucht jedes Jahr etwa 180 bis 220 Millionen Kubikmeter Wasser, davon werden 95 Prozent aus dem Aquifer gepumpt. Im gleichen Zeitraum fließen aber nur maximal 100 Millionen Kubikmeter Wasser nach. „Damit haben wir jedes Jahr ein Defizit von etwa 100 Millionen Kubikmetern“, so Salibi. „So geht das schon seit Jahren.“ Das Ergebnis: Der Grundwasserspiegel liegt an manchen Orten 20 Meter unter dem Meeresspiegel. Dort dringen Millionen Liter Salzwasser täglich ins Grundwasser.


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mare No. 124

No.124Oktober / November 2017

Von Andrzej Rybak und Massimo Berruti

Als Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, Mitte der 1980er zum ersten Mal in Gaza war, badete er im Meer und trank Bier an der Strandbar. Nun musste er sehen, wie sehr sich Gaza verändert hat. Das Meer stinkt nach Abwasser, und die Hamas führt ein strenges Regime, das Alkohol und Tanz verbietet.

Massimo Berruti, Jahrgang 1979, Fotograf in Rom, ist bekannt für seine Reportagen und Dokumentationen aus Krisengebieten. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den City of Perpignan Young Reporter’s Award und den Carmignac Gestion Prize of Photojournalism. Berruti wird vertreten von der Agentur VU.

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Vita Als Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, Mitte der 1980er zum ersten Mal in Gaza war, badete er im Meer und trank Bier an der Strandbar. Nun musste er sehen, wie sehr sich Gaza verändert hat. Das Meer stinkt nach Abwasser, und die Hamas führt ein strenges Regime, das Alkohol und Tanz verbietet.

Massimo Berruti, Jahrgang 1979, Fotograf in Rom, ist bekannt für seine Reportagen und Dokumentationen aus Krisengebieten. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den City of Perpignan Young Reporter’s Award und den Carmignac Gestion Prize of Photojournalism. Berruti wird vertreten von der Agentur VU.
Person Von Andrzej Rybak und Massimo Berruti
Vita Als Andrzej Rybak, Jahrgang 1958, Autor in Hamburg, Mitte der 1980er zum ersten Mal in Gaza war, badete er im Meer und trank Bier an der Strandbar. Nun musste er sehen, wie sehr sich Gaza verändert hat. Das Meer stinkt nach Abwasser, und die Hamas führt ein strenges Regime, das Alkohol und Tanz verbietet.

Massimo Berruti, Jahrgang 1979, Fotograf in Rom, ist bekannt für seine Reportagen und Dokumentationen aus Krisengebieten. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den City of Perpignan Young Reporter’s Award und den Carmignac Gestion Prize of Photojournalism. Berruti wird vertreten von der Agentur VU.
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